Dr. Laurin Staffel 17 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Dr. Laurin Staffel 17 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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man da irgendwie helfen?«, fragte Patrick den Arzt. »Die Kleine ist doch Bedienung im Club, wenn ich mich nicht irre.« An manche Gesichter konnte er sich also doch erinnern. »Braucht sie eine Stellung?«

      »Nein, Herr Heym, sie geht noch zur Schule. Sie hat sich im Club nur ein Taschengeld verdient. Der Vater ist schon lange krank, und von dem Krankengeld kommen sie kaum zurecht.«

      »Ich muss noch viel lernen«, sagte Patrick leise. »Wir sprechen später über diesen Fall. Vielleicht stehe ich schneller wieder hier auf dem Gang, als ich denken kann.«

      »Frau Heltcamp geht es so weit ganz gut«, bemerkte Dr. Sternberg.

      »Geh du doch schon zu Anja, ich komme nach, Patrick«, rief Uwe leise.

      Nanu, dachte Dr. Sternberg, sie sind per du? Dann ging er Patrick voraus zum Krankenzimmer.

      Leise öffnete er die Tür. Anja saß im Bett und las in einem Buch.

      »Sie bekommen Besuch, Frau Heltcamp«, sagte Dr. Sternberg.

      Anja blickte auf. Sie sah einen schlanken Mann im grauen Anzug, den sie nicht gleich erkannte, so sehr hatte sich Patrick während dieser Tage verändert. Er war blass und hielt momentan die Luft an. Dann griff er an seine Krawatte und rückte sie zurecht.

      »Ein hübsches Zimmer«, sagte er, noch halb zu Dr. Sternberg gewandt, aber keineswegs mit der an ihm gewohnten weltmännischen Sicherheit.

      Die Stimme erkannte Anja, und unwillkürlich vermeinte sie, die Worte zu hören, die er damals sagte, in jener Nacht, die so unendlich ferngerückt war.

      Auch sie hatte sich verändert. Selbst ihre Angehörigen sah sie mit anderen Augen, und als Patrick nähertrat, sah sie auch ihn anders als früher. Und doch schien er ihr vertraut.

      »Sie passen nicht in dieses Milieu.« Seine Worte von damals tönten in ihren Ohren.

      Seine linke Hand, in der er herrliche zartrosa Rosen hielt, hob sich leicht.

      »Darf ich näher kommen?«, fragte er, während sich Dr. Sternberg entfernte.

      »Bitte, Herr Heym«, erwiderte Anja leise, und dann streckte sie ihm die Hand entgegen.

      Er atmete hörbar auf, und nun legte sich sogar ein flüchtiges Lächeln um seinen schmalen Mund, der den spöttischen, halb verächtlichen Ausdruck ganz verloren hatte.

      Er ergriff ihre schmale Hand ganz behutsam, als wäre sie zerbrechlich, und so erschien es ihm auch, als er sich darüber neigte, und dann tat er etwas, was er nie zuvor im Leben getan hatte: Er legte leicht seine Lippen auf diese blasse zarte Hand.

      Anja war das Blut in die Wangen geschossen. Ihre Blicke trafen sich, und verlegen sagte sie: »Es sind wunderschöne Rosen.«

      »Uwe meinte, dass ich Sie besuchen dürfte«, sagte er stockend. »Er ist auch mitgekommen, aber er hat draußen jemanden getroffen.«

      »Wen denn?«, fragte Anja, genauso verlegen wie Patrick.

      »Ein Mädchen, das im Club mal gearbeitet hat. Wolter heißt sie wohl. Ihr Vater ist operiert worden.«

      »Die Nele?«, fragte Anja erschrocken. »O Gott, immer trifft es doch die Falschen.« Aber das sagte sie so, als würde sie sich selbst gar nicht einbeziehen.

      »Könnte ich etwas für das Mädchen tun?«, fragte Patrick Heym. »Sagen Sie es mir. Bisher bin ich ja wohl mit Scheuklappen herumgelaufen.«

      Anja sah ihn forschend an, nun nicht mehr so unsicher. »Ich auch«, sagte sie leise. »Ich denke, Uwe wird sich um Nele kümmern.«

      »Er hat sich auch sehr um mich gekümmert«, berichtete Patrick. »Haben Sie etwas dagegen, dass wir Freunde geworden sind?«

      »Was sollte ich dagegen haben? Sie haben mir das Leben gerettet.« Sie senkte den Blick. »Zuerst dachte ich, dass es vielleicht besser gewesen wäre, ich wäre nicht mehr aufgewacht, aber dann dachte ich an meine Eltern und an meinen Bruder. Wir haben uns sehr lieb.«

      »Ich weiß. Ich bin auch sehr froh, dass Sie leben, Anja. Aber wir wollen nicht mehr zurückdenken, nicht mehr daran rühren.«

      »Und nicht darüber sprechen? Aber ich lese gerade ein Buch, dass man schreckliche Erlebnisse, welcher Art auch immer, nur bewältigen kann, wenn man zu gegebener Zeit darüber spricht. Jetzt ist dafür noch nicht die Zeit«, fuhr sie nachdenklich fort. »Aber ich bin sehr froh, dass Sie mich besuchen, Herr Heym, und dass ich Ihnen danken kann. Ich weiß, dass Sie meinetwegen sehr viel durchstehen mussten.«

      »Nicht Ihretwegen«, widersprach Patrick. »Ich will da nichts beschönigen. Mein Lebenswandel machte mich zu einem willkommenen Objekt. Mein bisheriger Lebenswandel. Für mich war es eine gute Lehre, tatsächlich einmal in Schwierigkeiten zu kommen.«

      »Das klingt gerade so, als wollten Sie in Schwierigkeiten kommen.«

      Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Es tat ihm weh, körperlich und seelisch weh, die Wunden auf Stirn und Wangen zu sehen, die ihr zugefügt worden waren. Und irgendwie musste das wohl sein Gesichtsausdruck verraten.

      Sie fuhr mit der Hand über die vernarbenden Wunden. »Das tut nicht mehr so weh«, sagte sie leise.

      »Mir tut es weh«, sagte Patrick rau. »Ich hätte doch die Möglichkeit gehabt, Sie an diesem Abend heimzubringen. Aber vielleicht hätten Sie es abgelehnt.«

      »Darüber will ich jetzt nicht nachdenken«, meinte Anja, »aber ich habe Ihre Worte in der Erinnerung behalten. Sie sagten zu mir, dass ich nicht in dieses Milieu gehöre. Sinngemäß.«

      »Ich habe Sie vorher nur einmal gesehen. Wir wurden uns im Club vorgestellt, erinnern Sie sich?«

      Anja nickte. Ihre Hände verschlangen sich ineinander. Sie lehnte sich zurück.

      »Sie waren sehr hoheitsvoll«, sagte Patrick.

      Diese Bemerkung zauberte tatsächlich ein Lächeln in ihr Gesicht. Er musste sie ansehen, er brachte kein Wort über die Lippen, weil nun ihr Blick aus einer weit entfernten Welt zurückzukehren schien.

      »Wenn ich nur so sicher gewesen wäre, wie ich immer erscheinen wollte«, sagte Anja, »und wenn Sie sich doch nur so menschlich gegeben hätten, wie Sie sind, Patrick Heym – wir wären beide nicht in eine so fatale Lage geraten.«

      »Aber wir sind es«, sagte er. »Und es wäre gut, wenn wir die Folgen irgendwie gemeinsam bewältigen könnten, Anja. Uwe wurde sehr schnell mein Freund, und darüber bin ich glücklich und dankbar. Vielleicht könnten auch wir Freunde werden?«

      »Gibt es wirklich eine echte Freundschaft zwischen Mann und Frau, Patrick?«, fragte Anja.

      »Ich glaube schon, wenn man immer ehrlich zueinander ist.«

      »In diesem Buch steht, dass Freundschaft nur auf gegenseitigem Verstehen basieren kann. Dass echte Freundschaft jeden Zweifel ausschließen muss, dass sie eine dauernde Aufgabe ist, einem anderen Menschen in jeglicher Bedrängnis beizustehen. Aber Worte gibt es so viele, und sie werden so leicht dahingeredet. Aber Dr. Laurin hat ein paar Worte zu mir gesagt, die ich nie vergessen werde: ›Ein treuer Freund trägt mehr zu unserem Glück bei als tausend Feinde zu unserem Unglück.‹ Ich muss darüber immerzu nachdenken. Wenn Uwe Sie seinen Freund nennt, möchte ich auch gern, dass Sie mein Freund werden, Patrick. Aber, bitte, verzeihen Sie es mir, wenn mir jetzt noch der Glaube fehlt, dass es wirklich möglich ist.«

      »Ich möchte es Ihnen gern beweisen, Anja. Ich habe viele Enttäuschungen hinnehmen müssen, aber keine so schlimme Erfahrung gemacht wie Sie. Jedoch haben mir einige Erlebnisse auch ganz hübsch zugesetzt, aber gerade in diesem Unheil habe ich positive Erfahrungen gemacht. Auch die, dass ich die Kraft habe, aus meinem Leben mehr zu machen, und das fällt leichter, wenn man Freunde hat.«

      »Haben Sie niemals eine Frau wirklich geliebt?«, fragte Anja nach einem längeren Schweigen.

      »Doch, meine Mutter und meine Tante. Jetzt liebe ich nur noch Lena. Sie müssen Lena kennenlernen, Anja. Sie ist die Güte selbst.


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