Ein Wagnis aus Liebe. Susan Anne Mason
schaute er wieder auf die Papiere vor ihm und räusperte sich, bevor er weitersprach: „Ich bin ehrlich mit Ihnen, Grace. Ich werde Ihnen nicht verheimlichen, dass meine Mutter und ich schon Dutzende Gespräche mit Bewerberinnen geführt haben. Viele davon waren hoch qualifiziert, doch immer gab es den einen oder anderen Charakterzug an ihnen, der mir nicht gefallen hat. Ich suche eine junge, kraftvolle Frau, die genug Energie hat, um mit Christian zu spielen, aber auch, um sich durchzusetzen, wenn nötig. Eine Frau, die ihm ein guter Mutterersatz wäre“, sagte er und wirkte, als müsste er seine Gedanken ordnen.
Das war Graces Gelegenheit. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“
„Natürlich.“
„Sie sind nicht verheiratet, oder?“
„Richtig.“
„Und was ist, wenn Sie eines Tages heiraten?“ Wenn er ihr Fragen über die fernere Zukunft stellen konnte, dann auch sie.
„Machen Sie sich Sorgen darüber, wie sicher diese Stelle ist?“
„Ja, sozusagen.“
„Wenn es so weit ist, hoffe ich natürlich, dass meine künftige Frau Christian genauso lieben wird wie ich und dass sie ihm eine gute Mutter sein möchte. Doch eine Heirat wäre nicht unbedingt auch das Aus für ein Kindermädchen. In unseren Kreisen sind Kindermädchen oder Gouvernanten keine Seltenheit.“ Dann hielt Andrew inne. „Wie dem auch sei, sollte es tatsächlich dazu kommen, dass wir Ihre Dienste nicht länger benötigen, würden wir Sie das natürlich rechtzeitig wissen lassen und Sie angemessen entschädigen.“
„Das klingt gerecht.“
Nach diesem letzten Kommentar stand Andrew auf und kam um den Tisch zu ihr herum. „Also gut, Grace. Ich werde mich noch mit meiner Familie besprechen müssen und Ihnen dann Bescheid geben, wie wir uns entschieden haben. Wie kann ich Sie am besten erreichen?“
„Am besten hinterlassen Sie wieder eine Nachricht bei Pastor Burke.“
„Sehr gut. Dann wäre es das erst einmal“, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen. „Vielen Dank, Grace. Wir melden uns baldmöglichst.“
Andrew schien nett und vertrauensvoll zu sein. Und auch als sie ihm die Hand gab, hatte sie ein gutes Gefühl dabei. Sie bedankte sich und wurde hinausgeführt.
Auch wenn Andrews Identität Grace zunächst überrumpelt hatte, hatte sie das Gespräch doch ganz gut bewältigt, dachte sie beim Hinausgehen. Nun lag alles in Gottes Hand und sie musste die Entscheidung der Eastons abwarten und akzeptieren. Immerhin schien ihnen der kleine Christian viel zu bedeuten. Das war gut. Und doch wäre es vorteilhaft, im selben Haus zu wohnen, um die Situation wirklich einschätzen zu können. Ob sie ihn wohl einfach an ein Kindermädchen abgeben und sich dann nicht weiter um ihn kümmern würden? Oder sahen sie ihn als echtes Familienmitglied an?
Diese und weitere Fragen schwirrten Grace durch den Kopf. Erst die Antworten darauf würden ihr Frieden über Christians Zukunft in dieser Familie bringen.
Als Andrew die Tür hinter Grace schloss, atmete er laut hörbar aus. Er hätte nicht gedacht, dass er die junge Frau von neulich jemals wiedersehen würde, und nun überlegte er sogar, sie als Kindermädchen einzustellen – was für ein Zufall.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und dachte daran, wie hübsch sie aussah in ihrem blauen Kostüm und dem farblich passenden Hut auf dem dunklen Haar. Wieder einmal hatte er sich fast in ihren warmen braunen Augen verloren, die Ehrlichkeit ausstrahlten, manchmal aber auch etwas zu verbergen schienen.
War es zu verrückt, sie einzustellen?
Er bemerkte Schritte auf den Treppen und kurz darauf stand Virginia im Foyer. „Und?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Was denkst du? Ist Grace nicht einfach perfekt für diese Stelle?“
„Nun ja, so weit würde ich nicht gehen. Sie hat kein Arbeitszeugnis und ihr fehlt auch die Erfahrung.“
„Papperlapapp. Ich kann es sofort sehen, wenn jemand ein gutes Herz hat. Und Sie würde Christian genauso sehr lieben wie wir.“ Dann verschränkte sie die Arme. „Außerdem: Bisher haben wir lauter gute Zeugnisse gesehen und was hat das gebracht? Gar nichts.“
„Wohl wahr“, gab Andrew mit einem Schulterzucken zurück. „Aber ich werde noch mit Mutter reden, bevor ich irgendetwas entscheide.“
Virginia lächelte und tätschelte ihm liebevoll den Arm. „Natürlich. Ich bin mir sicher, dass du alle Vor- und Nachteile genau abwägen wirst, bis du zu einer vernünftigen Entscheidung kommst“, neckte sie ihn.
„Wenn du das sagst, klingt es, als sei das etwas Schlechtes.“
„Nicht unbedingt. Aber ein bisschen mehr Spontaneität würde dir guttun, Drew. Manchmal muss man einfach auf seinen Instinkt hören.“
„Und was sagt dein Instinkt?“
„Dass Grace eine wirklich nette, mitfühlende Frau ist. Und ein großes Herz für Kinder hat.“
„Ich werde das im Hinterkopf behalten“, sagte er und gab seiner Schwester einen Kuss auf die Wange. „Christian schläft gerade?“
„Ja. Ich hole mir jetzt einen Tee, und wenn er wieder aufwacht, gehe ich mit ihm spazieren. Wie immer.“
„Wenn wir uns tatsächlich für Grace entscheiden sollten, müsste jemand sie anlernen und ihr alles zeigen. Wäre das in Ordnung für dich?“
„Natürlich. Ich bin doch sowieso bei Christian. Das wird sich auch nicht einfach ändern, nur weil er dann ein Kindermädchen hat. Vor allem nicht, wo ich ihn schon bald für länger nicht mehr sehen kann“, sagte Virginia und ein Wink von Traurigkeit stand in ihrem Gesicht.
„Ginny“, sagte Andrew ruhig, „niemand zwingt dich, nach Europa zu reisen, wenn du nicht willst.“
„Aber ich muss gehen. Basil erwartet es von mir, das hast du selbst gesagt.“ Tapfer fügte sie hinzu: „Mach dir keine Gedanken, Drew. Alles wird gut.“
Und doch konnte er nicht anders, als sich um seine kleine Schwester zu sorgen. Basil war nur ihre Zweitwahl und das missfiel Andrew. Der Mann, den sie wirklich geliebt hatte, war schon zu Beginn des Krieges gefallen. Wenigstens war sie inzwischen wieder offener für den Gedanken an eine Ehe. Beinahe drei Jahre hatte sie gebraucht, um über Emmets Tod hinwegzukommen. Andrew sollte froh sein, dass Virginia sich wieder auf jemanden einließ. Er wusste, wie sehr sie sich eine Familie, eigene Kinder wünschte – und das hatte sie auch verdient.
Dann schüttelte er den Kopf, um seine unnützen Gedanken beiseitezuschieben. Stattdessen sollte er sich besser auf das Jetzt konzentrieren und seine Mutter aufsuchen, um ihr vom Gespräch mit Miss Foley zu berichten.
Kapitel 8
O Grace, | 14. August 1914 |
ist die Welt denn verrückt geworden? Ich kann es nicht fassen, dass wir uns im Krieg befinden! Mutter hat mir geschrieben, sie ist am Boden zerstört, weil Owen sich vielleicht freiwillig melden will. Ich kann sie verstehen – Frank will ebenso in den Kampf ziehen. Noch nie habe ich ihn so entschlossen gesehen, aber ich habe Angst. Was soll ich nur tun, Grace, wenn er wirklich geht?
Vor einigen Wochen haben seine Eltern von unserer Beziehung erfahren und es kam zu einem riesigen Streit. Er meinte, es sei ihm egal, was seine Eltern denken, und ich sei ihm wichtiger. Aber wenn das so ist, wieso will er mich dann allein lassen und in den Krieg gehen?
„Sind Sie wirklich sicher, dass Sie das tun wollen?“, fragte Mrs Chamberlain, die im Türrahmen von Graces Zimmer stand.
Als Grace kurz von ihrem Koffer aufblickte, sah sie die Sorgenfalten in Mrs C.s liebevollem Gesicht. Sofort verspürte Grace etwas