Zum poetischen Werk von Salvatore A. Sanna. Группа авторов

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aufgetragenen Farben an expressionistische Landschaften an; Samaden (ebenfalls Wacholderblüten) präsentiert eine rote Blüte nach Art der Neuen Sachlichkeit, isoliert inmitten einer Winterlandschaft. Einige Gedichte bilden Raum-Installationen derart plastisch nach, dass der Leser, obwohl Sanna fast völlig ohne beschreibende Elemente auskommt, die archetypischen Figuren greifbar vor sich zu sehen meint; dazu zählen der Radio hörende Einsiedler am See (L’eremita…) oder die Schwangere auf der Rasenfläche (Sur la pelouse…, beide Löwen-Maul); noch sorgfältiger inszeniert Quadratscha (Wacholderblüten) ein inferno-rotes Interieur, einen bedrohlich wirkenden Un-Ort.

      Vielschichtig, aufgebrochen in eine Folge fragmentierter bildlicher Splitter stellt Sanna dagegen Alte Kunst dar – und bedient sich dabei eines unerwartet elegischen Tones; Pisa und Parma (Feste) breiten aus, wie bei der Betrachtung des Pisaner Campo Santo oder des Baptisteriums zu Parma die Kunst der italienischen Frührenaissance als kenntnisreiche „visione/del particolare“ (Parma, S. 282) er- und belebt wird. Nicht der weit ausholenden, beschreibenden Gesamtschau, Rapport des Bildungsreisenden, sondern den für viele Betrachter belanglosen Details, sei es der bronzene Hippogryph oder ein antikes Relief, gilt die Aufmerksamkeit des Autors, der, vor dem Baptisterium zu Parma stehend, seine eigene (dichterische) Existenz in der Lünette des Südportals dargestellt findet. Beide Male allerdings holt Sanna, ganz illusionsdurchbrechend, sich und den Leser wieder in die Wirklichkeit zurück: Der Blick auf diese Kunst, übrigens ein symbolischer „sguardo in alto“ (Parma), übersieht keineswegs den distanzierenden Rahmen.

      Ungleich wirkungsmächtiger (und faszinierender) aber sind die Rätsel-Bilder, die Sanna dem Leser aufgibt. So skizziert das Gedicht Hôtel-Dieu (Feste) eine entlegene mittelalterliche Heiligenlegende, lässt sich aber von seiner Struktur her genauso als suggestive Reihung einzelner Bilder lesen, als quasi-surrealistische Einladung zum freien Assoziieren, und insbesondere die vom Schlussvers vorgeschlagene Aufhebung der passiven Rezeptionshaltung öffnet das auf den ersten Blick hermetisch wirkende Gedicht beträchtlich. Selten trifft die interpretatorische Binsenweisheit, dass bedeutende Lyrik den Leser zu allererst mit sich selbst konfrontiert, mehr zu. Sanna fordert regelrecht dazu auf, gleichsam den Gang ins Bild zu tun, d.h. die weitgefassten Symbole (Einhorn, Heiliger, Eichenzweig) mit Leben zu erfüllen und damit das Gedicht erst zu vollenden. Ganz zur enigmatischen Chiffre wird das klassische Wappentier des Dichters, der Schwan, der längst nicht mehr seine symbolistischen Kreise zieht, sondern, reines Zeichen, im Sturzflug auf einen See herabstößt: „Effemeride di un week-end:/picchiata/del cigno/nelle acque/del lago“ (Löwen-Maul, S. 176). Unverkennbar: Sanna schreibt die pictura eines Emblems, dessen inscriptio und subscriptio fehlen; das Symbol des Schwans wird für die Gegenwart nicht neu besetzt, sondern fern jeder interpretatorischen Eindeutigkeit zu einem seines Inhalts beraubten leeren Zeichen erklärt. – Mitunter erteilt Sanna dem Leser, der nach Erläuterung fragt, eine klare Absage: Nachdem er die verschneite Winterlandschaft beschrieben hat („La neve riposa/sui bracci lunghi degli abeti/curvi come tube tibetane“, Wacholderblüten, S. 104), schlägt er, statt den ungewöhnlichen Vergleich weiter auszuführen, eine schneeglitzernde Volte („Attendi un suono/ma ricade una pioggia/di polvere bianca/che brilla al sole“). Zwei Gedichte belegen ausdrücklich, welch hohe, ja so scheint es, zentrale Bedeutung Sanna dem „segno“ innerhalb seines Werkes beimisst. Manche Zeichen wirken kraft ihrer selbst lange nach, bis sie sich allmählich enthüllen: „Non è il senso/che lascia tracce/ma il segno/e per capirlo/occorre spesso/tutta una vita“ (Feste, S. 234), andere beanspruchen womöglich, überlegt der Autor, Allgemeingültigkeit über ihr Bezugssystem hinaus („Ho scoperto il rosso/nel verde della natura/Che significhi/fermati/come il rosso del semaforo?“, Wacholderblüten, S. 86). Am Beispiel des zweigeteilten und gespaltenen, halb menschlichen, halb tierischen Fabelwesens thematisiert Centauri (Wacholderblüten) das für Sanna grundsätzlich problematische Wesen des Zeichens selbst: „Fatale/la disamina/sul segno/Fuoco?/Si!/Ma dove?“ (S. 112) Das versteckte (göttliche) Feuer, worunter wohl der jedem bedeutenden Zeichen noch eigene Rest des Numinosen bzw. des Undeutbaren zu verstehen wäre, behalten diese Bilder weiterhin, und daher rühren ihr Glanz und ihre Größe.

      III

      Für die (durchaus kritische) Auseinandersetzung Sannas mit der deutschen wie mit der italienischen Dichtung des 20. Jahrhunderts stehen exemplarisch die Namen Gottfried Benn und Eugenio Montale. Benn übt auf Sanna insofern einen zumindest mittelbaren Einfluss aus, als er, nach Kriegsende zum identitätsstiftenden Autor und idealen Vertreter einer im konservativen Sinne verstandenen Moderne erklärt, mit seinen Statischen Gedichten (1949) sowie den folgenden Sammlungen Fragmente (1951), Destillationen (1953) und Aprèslude (1955) tatsächlich bis Anfang der 1960er Jahre das literarische Leben der Bundesrepublik beherrscht. Die kurzfristige Sympathie mit dem Nationalsozialismus und seine aristokratisch begriffene „Innere Emigration“ schaden ihm dabei nicht, im Gegenteil, mit der Rehabilitation Benns erteilt sich, inzwischen selbstbewusst geworden, das Adenauer-Deutschland eine literarisch-politische Absolution. Benns Ruhm – unter anderem erhielt er 1953 von Theodor Heuss das Bundesverdienstkreuz – gründet, abgesehen davon, dass ernsthafte Konkurrenten fehlen, hauptsächlich auf seiner entschieden vertretenen Position des apolitischen, ichbezogenen Dichters, der, jegliches Engagement ablehnend, eine im Grunde romantisch-eskapistische, also sehr deutsche Gefühlslyrik ins 20. Jahrhundert hinüberrettet. Am restaurativen Literaturverständnis jener Zeit, das einem von außen kommenden, unvoreingenommenen Blick umso deutlicher wird, setzt Sannas kritische Beschäftigung an. Obwohl sich eine Reihe Reminiszenzen, intertextueller Bezüge oder Parallel-Stellen zu Versen und Gedichten Benns leicht nachweisen lassen, vor allem in der ersten Sammlung Fünfzehn Jahre Augenblicke, lehnt Sanna schnell Benns zynische Haltung des elitären und kultur-pessimistischen Dichters ab und verneint entschieden die Frage, ob eine aus der Zeit gelöste Haltung der Kunst um der Kunst willen nachahmenswert sei. Vordergründig politisch gibt sich freilich Sanna nie; es fehlen, sieht man von Carnevale ’59 (Wacholderblüten) ab, Auseinandersetzungen mit der unmittelbaren deutschen Vergangenheit; nur ein einziges Mal, in Erano i frutti ancora/ verdastri… (Mnemosyne), ereignet sich plötzlich ein flashback in die Vergangenheit, öffnen sich die „falde/d’un tempo barbarico“ (S. 352). Vielmehr widmen sich – und hierin liegt Sannas Engagement, das ihn von Benns sprichwörtlichem Nihilismus trennt – wiederholt Gedichte den sich verändernden gesellschaftlichen Zuständen im Deutschland und Italien der späten 1960er und 1970er Jahre (etwa Ingrid, Filastrocca oder Paternale in Wacholderblüten); Vorbild dieser nie belehrenden, aber oft ironischen Betrachtungsweise dürfte Heinrich Heine sein, über dessen Epen Atta Troll und Deutschland. Ein Wintermärchen Sanna promovierte (vgl. Hoppla… und Parcheggio, beide Löwen-Maul).

      Der zweite Autor, für Sanna ungleich leitbildhafter, ist Montale. Sanna erkennt in ihm den wohl internationalsten italienischen Autor des 20. Jahrhunderts, denjenigen, der durch Rezensionen und eigene Übersetzungen (hauptsächlich aus dem Englischen, u.a. Dylan Thomas, T.S. Eliot, Ezra Pound) die zeitgenössische ausländische Literatur dem italienischen Publikum vorstellt. Montale erscheint als Modell des zwischen den Literaturen vermittelnden, des europäischen Dichters mit weltliterarischem Hintergrund; außerdem ignorierte Montale nie das Zeitgeschehen, dafür steht, was zu seinem hohen Ansehen nach dem Krieg ebenfalls wesentlich beitrug, seine eindeutige Ablehnung des Faschismus. Von dieser in Montale beispielhaft vorgebildeten Rolle des Dichters abgesehen, regen insbesondere die zweite Periode, die späten Zyklen, Sanna an, der, als Montale 1981 stirbt, in seiner Würdigung darauf hinweist, dass die italienische (oder allgemein die moderne) Lyrik gerade aus diesen gemeinhin für gering geachteten Gedichtsammlungen zu einer Erneuerung gelangen könne. Aus Satura (1971), dem Diario del ’71 e del ’72 (1973) und dem Quaderno di quattro anni (1977) zieht Sanna poetologischen Gewinn, beobachtet den ganz neuartigen Notat-Charakter einer Lyrik, die, allem Pathos misstrauend, das Gedicht auf nie zuvor gekannte Weise in den Alltag einbettet. Sein stark an der arte povera ausgerichtetes, zutiefst mimetisches Gestaltungsprinzip thematisiert Montale selbst in Realismo non magico (Satura II), darin er einer allen Zaubers beraubten Wirklichkeit das Wort redet, einer ernüchterten Wirklichkeit, die auf die Frage


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