Pandemie. Группа авторов

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stellte die Elektronik aus einer Auswahl von Wirkstoffpatronen, ähnlich den Farbbehältern bei Tintenstrahldruckern, die tagesaktuell optimale Desinfektionsmischung zusammen. Zum Abschluss der Behandlung wurde noch ein hauchdünner Film eines atmungsaktiven Sprühpflasters aufgetragen, das wie ein unsichtbarer Film die Haut am gesamten Körper bedeckte und mehrere Stunden vor Keimen schützte.

      Der Desinfektor war nicht billig. Das Gleiche galt für die regelmäßig zu ergänzenden Wirkstoffpatronen. Aber wenn es um die Gesundheit ging, war Huang nichts zu teuer. Zumal er sich in weiser Voraussicht mit Aktien des Geräteherstellers eingedeckt hatte. Die Wertpapiere legten seither erklecklich an Wert zu und schütteten ordentliche Dividenden aus.

      Huang stieg nackt aus dem Desinfektor und zog umgehend den Bademantel an. Er war gerade dabei, die Schutzmaske, welche Augen, Mund und Nase gegen die Strahlen- und Chemieattacke schützte, abzunehmen, als sich Mireille meldete: »Die Lieferung ist da, Chérie.«

      »Ich komme schon.« Er schlüpfte schnell in die warmen Pantoffeln. Nur keine kalten Füße. Unterkühlung der unteren Extremitäten, rief er sich in den Sinn, lassen das vegetative Nervensystem die Durchblutung der Atemwege drosseln. Die Nasenschleimhäute werden kalt und trocken, was Viren den Zugang erleichtert.

      Die Lieferschleuse befand sich zwischen der Balkontür und der Fensterfront. Alle Wohnhäuser waren an den Fassaden mit Sterillastenaufzügen nachgerüstet worden. Warenzusteller, inzwischen meist autonom fahrende Lieferscooter, schoben ihre Pakete unten hinein. In jeder Wohnung gab es eine Entnahmeklappe, die der Tür eines großen elektronischen Safes ähnelte.

      Die Digitalanzeige über der Schleuse leuchtete noch rot. Das blieb so, solange der Sterilisationsvorgang lief. Das Paket wurde vor der Freigabe gründlich desinfiziert, was einige Minuten in Anspruch nahm. Ein gelber Balken, der nach und nach ein weißes Feld am unteren Rand des kleinen Bildschirms füllte, zeigte den Fortschritt des Vorganges an. »Bitte Geduld«, stand darüber.

      Als der Balken das rechte Ende des Feldes erreichte, sprang die Farbe der Anzeige auf Grün. Mit einem metallischen Schnalzen löste sich die Verriegelung. Der Schriftzug änderte sich auf »Sicher zur Entnahme.«

      Huang zog die sich auf Augenhöhe befindliche Schleusentür auf. In der etwa waschmaschinengroßen Edelstahlkabine dahinter stand eine Kunststoffbox mit dem Markenzeichen des weltweit führenden Versandhauses. Huang bestellte fast alles bei diesem. Qualität hatte ihren Preis.

      »Die Lebensmittel«, kommentierte Mireille.

      Das Paket wog mindestens zehn Kilo, wahrscheinlich mehr. Huang schleppte es nach hinten zur Küchentheke.

      »Kann ich dir helfen?«, kicherte Mireille.

      »Sehr witzig«, kommentierte Huang und ging zurück, um die Schleuse zu schließen.

      Der Deckel der Box war rundherum mit einem breiten roten Klebeband versiegelt. Es trug den Aufdruck »Inhalt garantiert steril«.

      Huang machte sich daran, die Kiste auszupacken. Er legte Wert auf immunstärkende Ernährung. Karotten, Blumenkohl, Kiwi, Avocados, Walnüsse und eine Papaya kamen zum Vorschein. Eine Schachtel enthielt offenbar irgendein elektrisches Gerät. Huang warf einen Blick auf die Beschriftung: »Leinsamenprozessor. Haben wir das bestellt?«

      »Ich habe mir erlaubt, ihn auf die Liste zu setzen«, erklärte Mireille. »Röstet und mahlt frische Leinsamen in einem Arbeitsgang. Die beste Quelle für Omega-3-Fettsäuren, eine Wunderwaffe gegen Entzündungen.«

      »Aha.« Huang stellte das Wunderding in eines der Küchenregale.

      Nachdem auch Milch, Eier und frische Hühnerbrustfilets ihren Weg in den Kühlschrank gefunden hatten, stellte Huang die geleerte Box zurück in den Aufzug. Er warf einen Blick aus dem Fenster. Es nieselte nicht mehr, aber eine graue Wolkendecke bedeckte den Himmel.

      »Wie sieht unser Programm heute aus?«

      »Dein Ausgangsslot ist vormittags zwischen 10 und 11 Uhr«, klärte ihn Mireille auf. »Und am Abend das Interview mit dem Gesundheitsmikroskop. Sonst nichts Besonderes.«

      »Gut. Dann werde ich mal frühstücken. Am Nachmittag brauche ich Zeit, um mich auf den Fernsehauftritt vorzubereiten.«

      Mireille stellte das Frühstückmenü für ihren Meister jeden Tag nach demselben immunitätsstärkenden Grundsatz zusammen: Vitamine, Ballaststoffe, gesunde Proteine und Probiotika. Heute äußerte sich dies in einem Obstsalat aus Stachelbeeren und Kiwi, zwei weichgekochten Eiern und einer Schüssel Müsli mit Joghurt, ergänzt um eine Handvoll Mandeln.

      Huang aß bewusst langsam und kaute jeden Bissen gemächlich. Er saß an der Frühstückstheke, welche die Küchenzeile vom Rest des Raumes trennte. Auf der Schirmwand lief ein Beitrag über die letzten kleinen Läden der Stadt. Die meisten waren in den zwei Jahrzehnten des Gesundheitsnotstandes zugrunde gegangen.

      Der Inhaber eines Haarsalons sprach gerade über die Herausforderungen für sein Geschäft, verursacht durch die Ausgangsbeschränkungen und die strengen Regeln zum Social Distancing. Er wurstelte sich als Einmannbetrieb durch, was kein Problem war, angesichts der Tatsache, dass sich ohnehin jeweils nur ein einziger Kunde im Laden aufhalten durfte.

      »Zum Glück erbringe ich eine Dienstleistung, die nicht vom Versandhandel oder vom Homeoffice zu ersetzen ist«, erklärte er mit müdem Blick das Geheimnis seines wirtschaftlichen Fortbestandes. »Die meisten Leute legen ja jetzt weniger Wert auf die Haartracht, seit keine Feste, Theateraufführungen und so mehr stattfinden. Aber die alten Stammkunden von früher halten mich über Wasser.«

      In einem Feld am oberen rechten Rand des Schirmes erschien eine Linie aus Punkten, die sich wellenförmig auf und ab bewegten. Die Anzeige dafür, dass ein Zuschauer gerade einen Kommentar schrieb.

      Der Text erschien kurz darauf: »Die übertriebenen Notstandsmaßnahmen der Regierung haben sich als Mord am Mittelstand erwiesen. Fleißige kleine Geschäftsleute sind zu Nothilfeempfängern gemacht worden!«

      Im Nu stürzten Reaktionen wie ein Wasserfall aus Wortfetzen die ganze rechte Bildschirmwand hinunter.

      »Die Verhaltensregeln der Regierung infrage zu stellen, das ist Mord!«

      »Von wegen fleißig. Hauptsache die Kasse stimmt.«

      »Idiot! Begreifst du denn immer noch nicht?«

      »Gesundheit hat Vorrang vor Geschäft.«

      »Wir alle müssen Opfer bringen.«

      »Trottel.«

      »Manche begreifen es nie.«

      »Asoziales Schwein.«

      »Besser Nothilfe als tot.«

      »Wir müssen Leben retten, keine Geschäfte.«

      »Der Gipfel an Unvernunft.«

      »Sind Sie blind? – Sehen Sie denn nicht, was auf der Welt los ist?«

      »Verantwortungsloses Geschwafel.«

      Der ursprüngliche Kommentar wurde vom Schwall der Reaktionen nach oben verdrängt und verschwand vom Schirm.

      Huang dachte an seinen Vater. Auf genau diese Art hatte sich der alte Herr unbeliebt gemacht.

      Charly Huang betrieb ein Chinarestaurant, ein alteingesessenes Lokal in einer Kleinstadt. Dessen Eltern hatten es gegründet, bevor er geboren wurde. In Wirklichkeit lautete sein Vorname Chanming. Aber schon als Kind nannten ihn alle Charly. Er wurde als Einheimischer betrachtet.

      Trotzdem sorgte seine Verehelichung mit Karina Hofhall in manchen Kreisen für Getuschel und hochgezogene Augenbrauen. Gebührte es sich für die Tochter einer alten Bürgerfamilie, seit Generationen Inhaberin des elegantesten Lederwarenfachgeschäftes des Städtchens, einen Chinesen zu heiraten? Selbst wenn dieser im Inland geboren war und die Staatsbürgerschaft besaß?

      Das Gerede legte sich wieder. Der kleine Moritz kam auf die Welt; Chinalokal und Lederwarenladen gediehen prächtig; und Herr und Frau Huang zeigten sich stets spendenfreudig und hilfsbereit, wenn es


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