Pandemie. Группа авторов

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er sich eigentlich erhofft.

      »Bin ich Patient Alpha für irgendetwas Neues? Haben irgendwelche Pseudoviren alle meine Tumorsuppressor-Gene stillgelegt und mein Körper gärt gerade wie ein riesiger Hefeklumpen? Werden sie es wenigstens nach mir benennen?«

      Der alte Mann schüttelte unter seinem Schutzanzug den Kopf. »Nein, nein, nichts dergleichen. Wir können sie jetzt nur noch in einen anderen Raum bringen.«

      Marvin rann eine Träne aus dem Augenwinkel. »In den Sterbe-Raum, stimmt’s?«

      Der Alte schüttelte den Kopf. »Aber woher denn? Nein, es geht in den OP. Sie haben schlicht und einfach eine Blinddarmentzündung. Das wird schon wieder, kein Problem.«

      EINSICHTEN

      von Marianne Labisch

      Sie werden gleich Zeuge eines bedeutungsvollen Zusammentreffens zweier Mädchen, beide Ergebnisse einer rigorosen Ein-Kind-Politik: Lenina ist ein Helikoptereltern-Einzelkind, verhätschelt und vertätschelt mit Parolen groß geworden, die sie für allgemeingültig hält und mit Eve, ein zweites Kind, das entsorgt werden musste, aber von einer Obdachlosen aus dem Abfalleimer entwendet wurde. Bitte seien Sie mit beiden nicht zu streng. Lenina wurde jeder Wunsch erfüllt, sie wurde umhegt und umpflegt, es fällt ihr schwer, sich außerhalb ihrer behüteten, schönen Welt zu behaupten und Eve ist für ihr Alter eigentlich zu zynisch, aber sie wurde von ihrem bisherigen Leben geprägt.

      Lenina stand am Gehege und konnte ihren Blick nicht von dem Bären abwenden. Der saß dort gemütlich in der Sonne und lutschte an seiner Erektion. Unweigerlich dachte sie wie praktisch es wäre, wenn der menschliche Körperbau ähnliche Handlungen zuließe. Die anderen Menschen um sie herum taten so, als sähen sie nicht, womit der Bär sich die Zeit vertrieb, aber Lenina stand fasziniert dort und vergaß für einen Moment alles um sich herum. Dieser eine Moment reichte, um ihr Leben vollkommen auf den Kopf zu stellen. Ihre Eltern merkten nicht, dass ihre Tochter am letzten Gehege zurückgeblieben war und stiegen in die Bahn. Ohne Kind. Erst als die Türen sich schlossen, der Zug sich in Bewegung setzte und der Vater einen Sitzplatz für seinen Augapfel, wie er seine Tochter gerne nannte, entdeckt hatte und ihn ihr zuweisen wollte, bemerkte er ihr Fehlen. Da es in dieser Geschichte nur am Rande um Leninas Eltern geht, verlassen wir die beiden und wenden uns lieber Eve zu.

      Eve hatte heute die Zoorunde zugelost bekommen. Auf der einen Seite mochte sie den Zoo bei gutem Wetter, obwohl sie prinzipiell nichts davon hielt, Tiere in viel zu kleinen Gehegen einzusperren, weil man dort gut gelaunte Leute traf und die Ausbeute sich meist erfreulich gestaltete. Die Augen der lieben Kleinen waren oft größer als ihr Magen und keiner von den Ärschen dachte daran, Reste aufzuheben und so wanderten sie in die Abfalleimer, wo Eve sie herausfischte. Pfandflaschen schienen den feinen Herrschaften auch zu schwer, als dass sie diese mit nach Hause genommen hätten. Gut, es kam ihr zugute, wenn die Säcke so handelten. Ihr bescherte dieses Betragen eine gute Ausbeute. Nur, dass sie sich für die Zoorunde ordentlich anziehen musste, gefiel ihr nicht. Sie kam sich dann immer verkleidet vor, aber in ihrer normalen Straßenkluft wäre sie sofort negativ aufgefallen und womöglich vom Wachpersonal entfernt worden, daher schluckte sie diese Kröte.

      Sie hatte gerade eine Tüte Kirschen aus dem Mülleimer gefischt, als sie heftig von einem Mädchen angerempelt wurde. Mit Mühe und Not gelang es ihr, die Tüte in der Hand zu behalten.

      »Hast du keine Augen im Kopf, du dumme Nuss?«, herrschte sie das Mädchen an. Dem Mädchen standen Tränen in den Augen. Sie blickte sich hektisch um und murmelte: »Entschuldigung, tut mir leid.« Hier machte sie eine Pause, sah noch einmal prüfend in die Runde und fragte dann: »Hast du vielleicht meine Eltern gesehen? Die standen eben noch hier.«

      »Wenn du mir verrätst, wie die aussehen, könnte ich die Frage eventuell beantworten«, entgegnete sie.

      »Normal halt. Meine Mutter ist knapp einen Meter siebzig, schlank, blond und trägt ein Kleid mit Sonnenblumen drauf …«

      An dieser Stelle unterbrach Eve: »Die wäre mir aufgefallen, nein, tut mir leid, ein Sonnenblumenkleid habe ich nicht gesehen.« Sie wollte schon weitergehen, aber das Mädchen machte einen so verlorenen Eindruck, dass sie sich genötigt sah, ein wenig Zuspruch zu spenden. »Vielleicht warten sie draußen auf dich? Ist ja das letzte Gehege.«

      Im ersten Moment sah es aus, als keime neue Hoffnung in dem Mädchen auf, aber dann schüttelte sie energisch den Kopf. Wir sind mit der Gleitbahn gekommen und wenn sie nicht bemerkt haben, dass ich nicht dabei bin, dann sind sie jetzt längst auf dem Weg nach Hause.«

      »Na, dann fährst du halt hinterher. Das ist kein Problem, oder? Wie heißt du eigentlich?«

      »Lenina«, antwortete sie, schien nicht mit dem Vorschlag zufrieden zu sein.

      »Worauf wartest du noch? Steig in die Bahn und fahre deinen Eltern hinterher.«

      Lenina druckste herum und nestelte am Saum ihres blauen Kleides herum. Sie sah fast aus, wie ein Kleinkind, dabei schätze Eve sie ungefähr auf ihr Alter. Fünfzehn, plus minus ein, allerhöchstens zwei Jahre.

      »Ich kann nicht.«

      »Hä? Was kannst du nicht? Bahnfahren? Das kann jedes Kind. Das ist nichts Schweres. Stell dich nicht so an.« Eve packte Leninas Hand und zog sie mit sich. »Komm schon, ich packe dich jetzt da rein und dann ist alles in Butter.«

      Die Berührung schien Lenina zu elektrisieren. »Abstand!«, schrie sie und versuchte sich aus der Umklammerung zu lösen. Wie ein störrischer kleiner Esel bockte sie und bewegte sich nicht vom Fleck. »Ich habe kein Geld, für die Karte«, gab sie kleinlaut zu.

      Eve stöhnte. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Da stand so eine Wohlstandsgöre vor ihr und hatte kein Geld dabei? Wollte die sie verarschen?

      »Erzähl mir nix vom Pferd. Du wirst doch die paar Kröten für die Bahn dabei haben.«

      »Nein, mein Vater hat das Geld. Das hat er immer.«

      »Ich glaub’s nicht.«

      »Es ist aber die Wahrheit.« Nun kullerten tatsächlich die ersten Tränen ihre Wangen hinunter. »Am besten warte ich hier, bis sie zurückkommen. Sie werden merken, dass sie mich verloren haben und umkehren.«

      »Das kannst du knicken. Der Park schließt in fünf Minuten, bis dahin sind die nie zurück.«

      »Echt vielen Dank für deine aufbauenden Worte. Was soll ich denn nur tun?«

      Lenina machte einen so hilflosen Eindruck, dass es Eve schon fast wieder lustig vorkam. So unbeholfen konnte kein normaler Mensch sein. Wo kam die denn her? Lebte die auf dem Mond? Entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten legte Eve einen Arm auf Leninas Schultern und redete beschwichtigend auf sie ein. »Psst, hör auf zu heulen, alles wird gut. Jetzt kommst du erst mal mit mir, dann sehen wir weiter.« Leninas Körper versteifte sich und sie blickte Eve forschend an.

      »Du hältst dich schon wieder nicht an die Abstandsregel! Außerdem kenne ich dich gar nicht. Ich darf nicht mit Fremden gehen.«

      Oh, Mann, das durfte nicht wahr sein. Da bot sie schon mal jemandem Hilfe an und dann das! »Dann bleib halt hier stehen und heul rum«, warf Eve Lenina an den Kopf, zog den Arm zurück und ging davon. Hastige Schritte folgten ihr.

      »Warte, bitte. War nicht so gemeint.«

      Na, da hatte das dumme Gör die Rechnung ohne Eve gemacht. Die musste sich halt vorher überlegen, was sie so für einen Mist von sich gab. Sie ging weiter, als hätte sie nichts gehört.

      »Bitte!«, flehte Lenina herzerweichend und so drehte Eve sich zu ihr um und schnauzte: »Ich bin immer noch eine Fremde!«

      »Wie heißt du?«

      Von dieser Frage fühlte sich Eve überrumpelt. »Was?«

      »Wie ist dein Name?«

      »Eve, wozu willst du das wissen?«

      »Wenn ich deinen Namen kenne, bist du nicht mehr ganz so fremd.«

      »Seh


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