Kakanien oder ka Kakanien?. Группа авторов

Kakanien oder ka Kakanien? - Группа авторов


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die Armee gewesen ist“. In diesem Prozess habe die josephinische Geistlichkeit eine wichtige Rolle gespielt, die – nach Joseph II. – „die nächste, die franziszeische Beamtengeneration“ herangezogen habe. Diese Beamten „haben im guten wie oft im minder löblichen Sinne nun auch den ‚österreichischen Menschen‘ möglich gemacht, um nicht zu sagen hervorgebracht“ (ebd.).

      Freilich, dieser „österreichische Mensch“, wenn es ihn überhaupt je gegeben hat, war schon 1967, als ihm Alphons Lhotsky jenen ergreifenden Nachruf widmete, tot, und er wird auch niemals wieder zum Leben erweckt werden. Die Aufforderung zum Misstrauen möge als sein Erbe gelten.

      Wir wollen unsere fragmentarischen Beobachtungen mit der Frage beenden, ob und in welcher Weise Musils Mann ohne Eigenschaften im Unterricht verwendet werden kann.

      Man sollte dies erwägen, schon wegen der sprachlichen und gedanklichen Schulung der Nachkommen, und zweitens wegen der steten Musil’schen Bemühung um die treffendste Beschreibung von Sachverhalten aller Art, freilich immer gebrochen durch seine ironische Darstellungsweise. Nach einer Beobachtung Nicola Mitterers, die sie mir freundlicherweise vor einigen Tagen mündlich mitgeteilt hat, stellte es sich allerdings als untunlich heraus, das Einleitungskapitel (,Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht‘) zu verwenden. Schülerinnen und Schüler reagierten verwundert bis fadisiert auf diesen eigentümlichen Einstieg, der mit einem nur scheinbar präzisen, tatsächlich aber auch schon ironisch gebrochenen und unwahrscheinlichen Wetterbericht beginnt – denn meteorologisch ist gerade diese scheinbar so präzise Darstellung absurd (vgl. Wolf 2011, 266). Freilich fehlt den meisten von uns die nötige physikalische Vorbildung, um diese Absurdität zu erkennen. In den allermeisten Klassen werden wir daher mit dem ersten Kapitel des Mann ohne Eigenschaften kein sehr positives Echo erregen.

      Anders das achte, das Kakanien-Kapitel. Es könnte gute Dienste leisten in einer Kooperation zwischen den Fächern „Deutsch“ und „Geschichte und Sozialkunde“ bzw. „Politische Bildung“. Denn in der Tat bietet Musil einen wunderbaren Einstieg in eine Sozialgeschichte der späten Donaumonarchie, deren wichtigste integrative Faktoren hier angesprochen wurden: die Bürokratie, die Armee, in den schönen Bildern vom „papierweißen Arm der Verwaltung“ oder von den Straßen, die wie Flüsse der Ordnung, wie „Bänder aus hellem Soldatenzwillich“ das Reich durchzogen. Auch einige zentrale Paradoxien dieses Staatswesens werden angedeutet: liberale Verfassung, klerikale Regierungsweise, aber doch freisinniges Leben der Bürger (wir haben oben auch die Problematik dieser Zuordnungen diskutiert!). Die Nationalitätenkämpfe. Und mit der Beschreibung der neun verschiedenen Charaktere eines jeden Menschen hat Musil so nebenbei die Rollentheorie der Soziologie literarisch entfaltet (zu Musils Gesellschaftsbeobachtung vgl. Kuzmics/Mozetič 2003). Alle hier genannten „Charaktere“ (oder Rollen) sind wichtig für soziale Gruppenbildung: der Beruf, die nationale ebenso wie die Staatszugehörigkeit (welche eine so unentrinnbare Gruppenzugehörigkeit wie zum Militär, seit der allgemeinen Wehrpflicht von 1868, statuiert), die Klassenzugehörigkeit, regionale Bindungen, Geschlecht.

      Musil entwarf darüber hinaus in Ansätzen eine Theorie der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Am Anfang des zitierten Kapitels skizziert er, als von ihm selbst so genannte „soziale Zwangsvorstellung“, das Bild einer „Art überamerikanische Stadt“, wo

      alles mit der Stoppuhr in der Hand eilt oder stillsteht. Luft und Erde bilden einen Ameisenbau, von den Stockwerken der Verkehrsstraßen durchzogen. Luftzüge, Erdzüge, Untererdzüge, Rohrpostmenschensendungen, Kraftwagenketten rasen horizontal, Schnellaufzüge pumpen vertikal Menschenmassen von einer Verkehrsebene in die andere […]. (Musil 2016a, 45)

      Diese für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts recht vertraut klingende Schilderung kann in dem darein verwickelten Zeitgenossen plötzlich das Bedürfnis erwecken:

      Aussteigen! Abspringen! Ein Heimweh nach Aufgehaltenwerden, Nichtsichentwickeln, Steckenbleiben, Zurückkehren zu einem Punkt, der vor der falschen Abzweigung liegt! Und in der guten alten Zeit, als es das Kaisertum Österreich noch gab, konnte man in einem solchen Falle den Zug der Zeit verlassen, sich in einen gewöhnlichen Zug einer gewöhnlichen Eisenbahn setzen und in die Heimat zurückfahren. (Musil 2016a, 47)

      Das heißt nun auch: Entwicklung, Modernisierung, verstärkte Massenmobilität ist eine Sache der großen Städte, während das Land als eine Zone langsamen Wandels, ja Stillstandes gesehen wird.

      Mit diesen knappen Bemerkungen lassen wir’s bewenden. Sonst wird noch ein Roman draus, freilich kein Musil’scher.

      Anmerkungen

      Literaturverzeichnis

      BERNHARD,


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