Kakanien oder ka Kakanien?. Группа авторов

Kakanien oder ka Kakanien? - Группа авторов


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allen außer Alexej. Ich gab sie ihm tröpfchenweise in den Mund und schmierte damit sogar meine Brustwarze ein, doch sobald die Milch an seine Zunge kam, verzog der Kleine das Gesicht. Ich versuchte, die Milch mit Wasser zu verdünnen, sie warm zu machen, zum Schluss gab ich sogar eine Prise Salz hinzu, doch Alexej lehnte alle meine Kostproben ab.

      Die Zusatznahrung des Arztes war dennoch nicht umsonst. Ich trank Alexejs Milch und mir schien wirklich, dass ich dadurch mehr Milch bildete. Leider kam schon in der Woche drauf eine viel kleinere Dose aus Zóny an. Neben dem eigenen Napf blieb nichts für Tauschgeschäfte übrig.

      Die Blechbüchsen fanden im Lager als Töpfe Verwendung. Die erste hatte ich als Weitling behalten, um darin die Lappen auszuwaschen, die ich als Windeln nutzte. Es dauerte nicht lange und Anna setzte bei den Frauen auch unseren Tabak um. Sie tauschte ihn gegen Hagebutten ein, die sie für Tee trocknete. Im Winter würde das Kind Vitamine brauchen.

      Aus: Pavol Rankov (2011): Matky. Banská Bystrica: Edition Ryba, 102–109. Aus dem Slowakischen von Ines Sebesta. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Übersetzerin. Die deutsche Übersetzung des Romans erscheint 2020 unter dem Titel MÜTTER. Der Weg der Wölfin durch den Gulag beim Berliner Verlag Anthea.

Kakanien im Wandel – Annäherungen

      Musils Kakanien

      Die Frage nach dem Realitätsgehalt eines literarischen Topos

       Ernst Bruckmüller

      Musil als Quelle?

      Ob die literarische Schilderung Kakaniens im achten Kapitel des Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil eher als realistische Schilderung des alten Österreich (oder Österreich-Ungarn?) oder eher als literarische Überhöhung bzw. Verfremdung anzusehen ist, ist für Germanisten nicht besonders relevant. Für Historiker (und -innen) ist diese bekannte Stelle hingegen eine nur allzu große Versuchung, sie zu zitieren – man erspart sich angesichts der Eleganz der Musil’schen Sätze eigene Formulierungsmühsal. Der Autor dieser unmaßgeblichen Zeilen ist dieser Versuchung selbst erlegen (Bruckmüller 2001, 282–284).

      Allerdings hat uns Musil selbst ein paar wichtige Warnschilder aufgestellt. So versichert er an einer Stelle, dass „weder an dieser Stelle noch in der Folge der glaubwürdige Versuch unternommen werden wird, ein Historienbild zu malen und mit der Wirklichkeit in Wettbewerb zu treten“ (Musil 2016a, 270; vgl. Wolf 2011, 32). Und an anderer Stelle betont Musil, dass ihn „die reale Erklärung des realen Geschehens“ nicht interessiere (Musil 2015a; vgl. Wolf 2011, 32). Später (1941) gestand Musil selbst, der Roman sei ihm doch unter der Hand „ein historischer Roman“ geworden (Musil 2015b; vgl. Wolf 2011, 32). Zu dieser Zeit war Kakanien ja angesichts des von Hitler ausgelösten Zweiten Weltkrieges und unfassbarer Gräuel aller Art schon sehr weit weg von der realen Welt der damaligen Europäer. Die den Hintergrund für Musils so zahlreiche verschiedene menschliche Typen und Charaktere bildende Habsburgermonarchie war durch den zweiten, gegenüber 1918 erheblich schlimmeren zivilisatorischen Bruch von 1933/45 nur mehr als relativ harmlose, leicht skurrile Erscheinung erinnerbar.

      Auch der Doyen der österreichischen Geschichtsforschung, Gerald Stourzh, warnte übrigens davor, Musil unbesehen als ,Quelle‘ für die Analyse der Gesellschaft und des politischen Systems der Habsburgermonarchie zu verwenden (vgl. Stourzh 1991, 64). Er betonte, dass Musils Kakanien sehr stark aus der Wiener Sicht skizziert sei und Ungarn nur unzureichend mit einbeziehe. Stourzh versuchte dies an Hand des bekannten Diktums über den Staatsnamen zu belegen: Kakanien

      nannte sich schriftlich Österreichisch-Ungarische Monarchie und ließ sich mündlich Österreich rufen; mit einem Namen also, den es mit feierlichem Staatsschwur abgelegt hatte, aber in allen Gefühlsangelegenheiten beibehielt, zum Zeichen, daß Gefühle ebenso wichtig sind wie Staatsrecht und Vorschriften nicht den wirklichen Lebensernst bedeuten. (Musil 2016a, 49)

      Stourzh fügt hinzu: In Budapest sahen die Dinge anders aus; es genüge, Péter Hanáks Darstellung der historischen Parallelaktion von 1898 in Ungarn, des Widerspiels von fünfzigjährigem Revolutionsgedenken und verkrampftem Thronbesteigungsjubiläum Franz Josephs zu lesen, um dies zu sehen (vgl. Stourzh 1991, 64). Stourzh kritisiert ferner – in einer Fußnote – die bekannte Formulierung Musils zum kakanischen Parlamentarismus:

      Man hatte ein Parlament, welches so gewaltigen Gebrauch von seiner Freiheit machte, daß man es gewöhnlich geschlossen hielt; aber man hatte auch einen Notstandsparagraphen, mit dessen Hilfe man ohne das Parlament auskam, und jedesmal, wenn alles sich schon über den Absolutismus freute, ordnete die Krone an, daß nun doch wieder parlamentarisch regiert werden müsse. (Musil 2016a, 49)

      Doch gab es diesen Notstandsparagraphen (Art. 14. des Gesetzes über die Reichsvertretung) eben nur in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern, also in „Cisleithanien“ – aber nicht in Ungarn! (Vgl. Stourzh 1991, 64) Wie auch immer – das Kakanien-Kapitel und spätere Teile des Buches, die sich mit Problemen des kollektiven Bewusstseins in jenem eigentümlichen Staatswesen befassten, sind nicht die Frucht essayistischer Schnellschüsse, sondern Ergebnisse eines komplexen und langwierigen Formulierungsprozesses, in dem es stets darum ging, auf den jeweiligen Sachverhalt passende Beschreibungen zu finden. Musil war ein hervorragender Kenner jener untergegangenen Welt. Er wusste daher sehr gut, worüber er schrieb.

      Es bleibt eine wesentliche, von Stourzh bereits angedeutete Unschärfe: Bei Musil gibt es nur ein Kakanien. Es waren aber in Wahrheit zwei: die österreichisch-ungarische Monarchie, die nach außen einheitlich auftrat (wenigstens prinzipiell, nicht immer) und deren Institutionen mit dem Kürzel „k.u.k.“ versehen waren (der Hof, die gemeinsame Armee, das gemeinsame diplomatische Corps waren „kaiserlich und königlich“), und der westliche Teil dieser Monarchie, „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“, deren Institutionen mit „k.k.“ (kaiserlich-königlich) abgekürzt wurden. Musil widmet sich zumeist dieser Ländergruppe, die seit 1915 auch offiziell „Österreich“ hieß, thematisiert aber in verschiedenen Abschnitten auch das Gemeinsame (oder nicht Gemeinsame) der gemeinsamen Monarchie.

      Die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur der Habsburgermonarchie in jenen knappen sieben Dekaden zwischen 1849 und 1918 ist in den letzten Jahrzehnten zu einem bevorzugten Forschungsgegenstand zahlreicher Historiker geworden. Ich erwähne hier vor allem das vielbändige Werk Die Habsburgermonarchie 1848–1918, das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wurde und wird (vgl. Wandruszka/Urbanitsch 1973–1993 bzw. Rumpler/ Urbanitsch 2000 ff.). Einen neuen Interpretationsversuch legte Pieter Judson (2017) vor. Und so weiter. Wir wollen uns nun einigen Aspekten der historischen kakanischen „Realität“ (die ja immer nur in Anführungszeichen möglich ist) und ihren Musil’schen Brechungen zuwenden.

      Schwarz-gelb und Rot-weiß-grün

      Im Kapitel 42 des Mann ohne Eigenschaften thematisiert Musil das österreichischungarische „Staatsgefühl“:

      Dieses österreichisch-ungarische Staatsgefühl war ein so sonderbar gebautes Wesen, daß es fast vergeblich erscheinen muß, es einem zu erklären, der es nicht selbst erlebt hat. Es bestand nicht etwa aus einem österreichischen und einem ungarischen Teil, die sich, wie man dann glauben könnte, ergänzten, sondern es bestand aus einem Ganzen und einem Teil, nämlich aus einem ungarischen und einem österreichisch-ungarischen Staatsgefühl, und dieses zweite war in Österreich zu Hause, wodurch das österreichische Staatsgefühl eigentlich vaterlandslos war. Der Österreicher kam nur in Ungarn vor, und dort als Abneigung; daheim nannte er sich einen Staatsangehörigen der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie, was das gleiche bedeutet wie einen Österreicher mehr einem Ungarn weniger diesen Ungarn, und er tat das nicht etwa mit Begeisterung, sondern einer Idee zuliebe, die ihm zuwider war, denn er konnte die Ungarn ebensowenig leiden wie die Ungarn ihn, wodurch der Zusammenhang noch verwickelter wurde. Viele nannten sich deshalb einfach einen Tschechen, Polen, Slowenen oder Deutschen, und damit begann jener weitere Zerfall und jene bekannten „unliebsamen Erscheinungen innenpolitischer Natur“, wie sie Graf Leinsdorf nannte, die nach ihm „das Werk unverantwortlicher,


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