Berufliche Belastungen bewältigen. Группа авторов

Berufliche Belastungen bewältigen - Группа авторов


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Situation gesehen. Sie soll professionell und angemessen auf die Menschen eingehen. Das sind hohe fachliche und ethische Standards. Die Folgen von als überfordernd empfundenen Anforderungen stellen sich nicht immer unverzüglich ein. Wenn die Fachkraft ihren KlientInnen in vielen Fällen nicht mehr gerecht werden kann, bleiben auch bei ihr Bedürfnisse unbefriedigt. Damit führt dieses Dilemma automatisch auf beiden Seiten der helfenden Beziehung zu Frustrationen. Zum einen vielleicht gewillt, ihre Arbeit bestmöglich auszuführen, wächst bei den Helfenden das »Gefühl des Versagens« mit jedem durch strukturell verursachte Hemmnisse unbefriedigt bleibenden Bedürfnis ihrer Klientel. Zudem: Die durch den daraus resultierenden Zeitdruck ebenso unbefriedigten eigenen Bedürfnisse werden u. U. zurückgestellt. Infolgedessen erleben MitarbeiterInnen einen Frühdienst ohne Frühstückspause oder unbezahlte Überstunden nicht als ungewöhnlich, sondern – gefangen in ihrer Realität – als unveränderbar.

      Auch stellt ein zu häufig wechselnder Kontakt zu verschiedenen AdressatInnen, verbunden mit der Notwendigkeit, sich ständig neu einstellen zu müssen, eine weitere Variation dieser Problematik dar. Es lässt sich ebenso vermuten, dass von der Fachkraft nicht geteilte Normen – von einer vorgeschriebenen Berufsbekleidung bis hin zum Piercingverbot – Gefahren strukturell bzw. kulturell erlebter Gewalt bergen. Wenn etwa von einer Pflegefachfrau erwartet wird, die Regeln des Krankenhauses einzuhalten, und diese Erwartungen den persönlichen Auffassungen widersprechen, wirkt bereits die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation belastend. Darüber hinaus: Der körperlichen und seelischen Regeneration wirkt die Schichtarbeit entgegen, die sich meist aus Früh-, Spät- und Nachtschichten sowie Wochenendarbeit zusammensetzt. Die Arbeit wider den circadianen Rhythmus – insbesondere die Nachtarbeit – begünstigt gesundheitliche Schäden. Auch ist der Tagschlaf nach der Nachtarbeit oft durch Lärm und Lichtverhältnisse gestört, es kommt zu unzureichenden REM-Phasen (Traumschlafphasen), die eigentlich die Wiederherstellung der geistigen Leistungsfähigkeit gewährleisten sollen. Zusätzlich schädigt der Schichtdienst mit wechselnden Arbeitszeiten oder ein kurzfristig erstellter (Wochenend-)Dienstplan auch das soziale Leben der Fachkräfte (vgl. Domnowski 2010, S. 35 ff.).

      Wenn strukturelle bzw. kulturelle Gewalt indirekt über Gesetze, Normen, wirtschaftliche Zwänge und Organisationsformen als die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse behindernd erlebt wird, übernehmen betroffene Helfende vielleicht keine persönliche Verantwortung für ihr Handeln, rechtfertigen sich, »durch die Umstände« zum Handeln gezwungen zu sein. Solche Ansichten sind dann änderungsresistent, sie fördern Abhängigkeits- und Fremdbestimmungsgefühle sämtlicher Beteiligten und manifestieren sich in den direkten Formen von Gewalt: aktive und passive Vernachlässigungen und körperliche und seelische Misshandlungen, gegen den Willen des Anderen in der Gewaltbeziehung. Mögliche Folge: Helfende entwickeln das Gefühl, sich in vorgegebene Organisations- und Teamstrukturen einfinden zu müssen, was u. U. durch die Ohnmachtserfahrung nachhaltig zur Reduktion eigener fachlicher Ansprüche verführen kann.

      Frustrationen im Team: Teams als soziale Gebilde formen sich aus Gruppenbildungsprozessen, denen Einzelinteressen der MitarbeiterInnen jedoch entgegenstehen können. Es kommt zu spontanen Anpassungen oder zu Abwehr mit Sanktionen. Ebenso sind aufgrund hohen Anpassungsdrucks Tendenzen der Annäherung der Mitglieder denkbar. Diese Prozesse selektieren das Handeln der Mitglieder. Die Qualität der Kooperation von Teammitgliedern hängt also grundsätzlich davon ab, inwieweit verschiedene Bedürfnisse im Einklang miteinander sind. Jedoch: Überfordernde Arbeitsbedingungen über einen längeren Zeitraum beeinträchtigen eine teamorientierte, verantwortungsvolle und konzentrierte Bewältigung sowie einen hohen fachlichen Standard. Festgefügte Rangordnungen sind das Ergebnis von Über- und Unterordnungen im Rahmen hierarchischer sozialer Beziehungen. Hieraus entstehen formelle wie auch informelle Machtstrukturen, die der Bedürfnisbefriedigung im Wege stehen können. Diese strukturellen Gegebenheiten müssen von den MitarbeiterInnen zunächst erfasst und dann kontrolliert werden können. Dazu ist eine gelungene Kommunikation nötig; denn sie vermittelt eine Übersicht über die Strukturen, Arbeitsabläufe, Standards und Zielsetzungen der Einrichtung und bietet ein ungefähres Bild von den Erwartungen an Kooperation, Umgang mit der Klientel und die eigene Person. Die Qualität der Zusammenarbeit besitzt bei Helfenden eine große Bedeutung – auch hinsichtlich der Arbeitsqualität, weil sie diese fördern oder blockieren kann. Diese Blockade kann durch eine knappe Personalbesetzung mitverursacht werden, die es der einzelnen Fachkraft unmöglich macht, ihre Tätigkeit kooperativ zu gestalten. Dies führt zur Frustration aller Teammitglieder durch

      • fehlende Kapazitäten zur kollegialen Unterstützung

      • ein schlechtes Gewissen als »Einzelkämpfer«

      • das Gefühl des Versagens

      • die Abnahme des Selbstanspruchs

      • fehlende Reflexionskultur des Verhaltens

      • Vermeidung offener Kommunikation zugunsten asymmetrischer Formen

      • falsche Ersatzhandlungen und

      • übertriebene Kollegialität in anderen Bereichen.

      Es entstehen verschiedene Rollenkonflikte. Hornung und Lächler beschreiben das Problem verschiedener, sich widersprechender Rollenerwartungen, die zu Frustrationserfahrungen werden können (Hornung/Lächler 2018, S. 155 ff.). Zum Beispiel: Von einer neuen Fachkraft wird vielleicht erwartet, Gruppenregeln anzunehmen und nicht zu hinterfragen (Gruppendruck), obwohl dort geltende Regeln ihrem Fachwissen und Bestreben nach einer professionellen Arbeit widersprechen. So kann für sie ein innerer Konflikt entstehen zwischen den Anforderungen neuer KollegInnen und ihrem Selbstanspruch, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Auf Dauer zu einem nicht zu vereinbarenden Spagat verurteilt, führen Arbeitsunzufriedenheit, kollegialer Beziehungsstress und Motivationsverlustzunahme zu einer persönlich starken Belastung. Ebenso wirken informelle Machtstrukturen in Teams. Eine wesentliche Folge dieser informellen Aktivität ist Mobbing zwischen KollegInnen. So entstehen aber auch solche Gruppenregeln, die ein latentes Konfliktpotenzial des Teams verstärken, indem etwa Regeln der Einrichtungen zu konformierenden Gruppenregeln erklärt werden (sozialer Zwang), die wiederum zulasten der zu begleitenden Menschen gehen. Zweckrational geprägte Interaktionsformen, die alle Teammitglieder übernehmen, überlagern beispielsweise dann die Bedürfnisse der Klientel und führen nicht nur zu Entfremdungsprozessen. Regelmäßige Teamsitzungen sind unerlässlich, um Informationen aller am Hilfeprozess beteiligten Berufsgruppen gleichberechtigt zusammenzutragen. Nur daraus entsteht ein Gesamtbild der Team- und Klientensituation, woraus wiederum Teilziele einzelner helfender Berufsgruppen abgeleitet werden können. Die Regeln der klientenzentrierten Gesprächsführung ermöglichen einen demokratischen, einbeziehenden, kompetenzachtenden und respektierenden Umgang der Mitglieder. Ist es nicht möglich, eine akzeptable Lösung zu finden, unterstützt Supervision, bevor sich Konflikte verhärten (vgl. Menke 2015, S. 140 ff.).

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      2.3 Handlungsfeldbezogene Beispiele

      Gewalt und Aggression sind Themen, die zur Arbeit in helfenden Berufen gehören. Im Folgenden soll mittels eines handlungsfeldbezogenen Beispiels sichtbar werden, wie sich Gewalt verdeckt zeigen kann.

      »… entscheidend ist der Einzelfall!«

      Beispiel:

      Auf der chirurgischen Station eines Klinikums ist es die Norm, beim Rücktransport der PatientInnen aus dem OP zur Normalstation die Bettgitter beidseits hochzuziehen. Frau Papazyan, eine 65-jährige Patientin mit armenischen Wurzeln, wird von der gerade examinierten Pflegefachfrau Clara Deister nach einer Strumaresektion zurück auf das Zimmer gebracht. Einige Minuten nachdem die Patientin wieder in ihrem Zimmer ist, hören die Pflegenden laute Hilferufe, sie eilen in das Zimmer von Frau Papazyan und finden diese, total aufgelöst, auf dem Boden liegend vor. Aufgrund der Sturzhöhe durch die Bettgitter ist die Patientin sehr tief gefallen und hat sich einige Prellungen und Hämatome zugezogen. Erst als ihre Angehörigen am Nachmittag zu Besuch kommen, erfährt das Personal, dass Frau Papazyan im Armenienkrieg in den 90er Jahren verschleppt und in Gefangenschaft gehalten wurde. Seitdem hat sie große Angst vor geschlossenen


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