Guy de Maupassant: Bel Ami (Deutsche Ausgabe). Guy de Maupassant

Guy de Maupassant: Bel Ami (Deutsche Ausgabe) - Guy de Maupassant


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      Vorbemerkung des Herausgebers

      PARIS, UM DAS JAHR 1880: Der ehemalige, inzwischen fast mittellose Unteroffizier Georges Duroy hat weder einen stolzen Stammbaum, noch überragende Bildung – jedoch bissigen Ehrgeiz, an die Spitze der Pariser Gesellschaft zu gelangen. Was er auf der Habenseite verbucht, sind sein Charme, sein gutes Aussehen und eine gute Portion Skrupellosigkeit. Als er zufällig einen alten Bekannten trifft, verschafft dieser ihm eine Stelle als Reporter bei einer großen Pariser Tageszeitung. Schreiben kann er nicht, wie er schnell selbst merkt; aber das ficht ihn nicht an: Er lässt sich von der Ehefrau seines Bekannten helfen. Später, als dieser stirbt, heiratet er die Witwe. Doch sie ist ihm nicht genug, wie sich schnell zeigt. Nun beginnt Duroys Aufstieg erst, und er schleicht sich langsam aber zielstrebig immer weiter nach oben in der Hierarchie des Pariser Gesellschaft.

      *

      ÜBER DEN AUTOR: Henry René Albert Guy de Maupassant (1850–1893) gilt neben Balzac, Flaubert und Zola als einer der großen französischen Erzähler des 19. Jahrhunderts. Er führte ein unstetes Leben, reiste viel, wechselte häufig den Wohnort, hatte zahlreiche Affären, was ihm auch eine Syphilis einbrachte, an deren Spätfolgen er schon mit 43 Jahren starb.

      Maupassants Schreibstil ist nüchtern und modern, fast reportagehaft. Er moralisiert nicht und verbrämt nicht, sondern lässt die Schicksale seiner Protagonisten oft gnadenlos aufeinanderprallen. Nach seiner biologistischen Sicht ist der Mensch »kein moralisch handelndes, sondern ein biologisch unzulängliches, triebhaft fixiertes Wesen animalischen Zuschnitts – ein unfertiger Entwurf« (sinngemäß zitiert nach Ernst Kemmer). »Das Hauptanliegen der Romanciers« so Maupassant selbst, »ist die Beobachtung und die Darstellung der menschlichen Leidenschaften, der guten wie der schlechten ... [Schriftsteller] haben nicht die Mission zu moralisieren, zu geißeln oder zu belehren.« Als wahrer Anti-Romantiker wird Maupassant zum Mitbegründer des modernen Romans.

      Den Vielschreiber Maupassant – er brachte es auf etwa 300 Novellen und sechs Romane – machten seine Werke wohlhabend, doch die schwere Erkrankung ließ ihn die Zeit seines Erfolgs kaum noch genießen. © Redaktion eClassica, 2020

      ERSTER TEIL

      I.

      DIE KASSIERERIN gab auf sein 5-Francs-Stück das Geld heraus und Georges Duroy verließ das Lokal. Stattlich gewachsen, richtete er sich auf mit der Haltung eines ehemaligen Unteroffiziers und drehte schneidig-militärisch seinen Schnurrbart zwischen den Fingern. Er warf auf die übriggebliebenen Gäste einen schnellen, flüchtigen Blick; einen jener Blicke des schönen Burschen, die unfehlbar treffen, wie der Raubvogel seine Beute.

      Die Frauen blickten ihm neugierig nach: es waren drei kleine Nähmädchen, eine Musiklehrerin unbestimmten Alters, schlecht gekämmt, nachlässig gekleidet mit einem alten, verstaubten Hut und einem Kleid, das niemals sitzen wollte. Dazu zwei bürgerliche Frauen mit ihren Männern, Stammgäste der kleinen Kneipe, in der man nicht ›à la carte‹ speiste.

      Auf der Straße blieb er einen Augenblick stehen und überlegte, was er unternehmen sollte. Es war der 28. Juni — in der Tasche blieben ihm 3 Francs 40 Centimes für den Rest des Monats übrig. Dafür konnte er sich zwei Mittagessen leisten, dann allerdings kein Frühstück, oder umgekehrt. Er überlegte sich, dass ein Frühstück nur 22 Sous, ein Mittagessen dagegen 30 kostete. Begnügte er sich bloß mit dem Frühstück, so würden ihm 1 Francs 20 Centimes verbleiben, das bedeutete zweimal Würstchen mit Brot und zwei Glas Bier auf dem Boulevard. Dies war sein kostspieliges Vergnügen, das er sich abends gönnte.

      Daraufhin ging er die Rue Notre-Dame de Lorette hinunter.

      So schritt er dahin, wie zur Zeit, als er die Husarenuniform trug, in strammer Haltung mit etwas gespreizten Beinen, wie ein Reiter, der eben vom Pferd gestiegen ist. Ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen, ging er seinen Weg durch die Straßenmenge. Er stieß die Passanten und wollte niemandem ausweichen. Seinen alten Zylinderhut rückte er etwas auf das eine Ohr, und laut klangen seine Schritte auf dem Pflaster. Verächtlich und herausfordernd betrachtete er die Menschen, die Häuser, die ganze Stadt: er — der schicke, schneidige Soldat, der zufällig Zivilist war.

      Sein fertiggekaufter Anzug kostete nur 60 Francs, trotzdem trug er eine gewisse betont knallige Eleganz zur Schau; etwas ordinär, dafür echt und eindrucksvoll. Groß und schön gewachsen, hatte er dunkelblondes, rötliches, von Natur krauses Haar, das in der Mitte gescheitelt war; mit einem kecken Schnurrbart, der sich auf seiner Oberlippe kräuselte, und hellen, blauen Augen mit kleinen Pupillen, sah er dem Mordskerl aus einem Hintertreppenroman ähnlich.

      Es war ein heißer Sommertag. Kein frischer Luftzug regte sich in Paris. Die Stadt glühte wie ein Kessel und erstickte in der schwülen Nacht. Die Straßenkanäle hauchten üblen Duft aus ihren Granitrachen, und aus den Küchen und Kellerräumen drangen ekle Gerüche von Spülwasser und alten Speiseresten auf die Straße.

      Unter den Haustoren saßen die ›concierges‹ (Hauswarte) in Hemdsärmeln rittlings auf ihren Strohsesseln und rauchten die Pfeife. Träge schlichen die Menschen dahin, mit entblößtem Kopf, den Hut in der Hand tragend.

      Als Georges Duroy den Boulevard erreichte, blieb er stehen, unschlüssig, was er nun tun sollte. Er hatte Lust, in die Champs Elysée und die Avenue du Bois de Boulogne zu gehen, um unter den Bäumen etwas frische Luft zu schöpfen.

      Aber ein anderes Verlangen regte sich in ihm, und zwar nach einem Liebesabenteuer. Wie ihm so ein Abenteuer in den Weg laufen sollte, davon hatte er keine Ahnung, aber seit drei Monaten wartete er darauf jeden Tag und jeden Abend. Dank seiner schönen, stattlichen Erscheinung hatte er wohl hier und da ein bisschen Liebe kosten dürfen; genügen tat ihm das nicht, er hoffte immer auf mehr und auf Besseres.

      Mit heißem Blut aber leerer Tasche erregten ihn die Dirnen, die ihm an den Straßenecken zumurmelten: »Komm mit, feiner Junge«, doch er getraute sich nicht, ihnen zu folgen, denn bezahlen konnte er sie nicht, und dann träumte er auch von anderem, von etwas vornehmerer Liebe und minder gemeinen Küssen.

      Trotzdem liebte er die Orte, wo es von jenen öffentlichen Mädchen wimmelte; er suchte gern ihre Ball-Lokale, ihre Cafés, ihre Straßen auf. Er liebte, sie anzusprechen, sie zu duzen, ihre aufdringlichen Parfüms einzuatmen und ihre Nähe zu fühlen. Sie waren doch schließlich Frauen; Frauen, die zur Liebe bestimmt waren. Verachten tat er sie nicht, so wie jeder Mann sie verachtete, der im Schoß der Familie aufgewachsen ist.

      Er lenkte seine Schritte nach der Madeleine-Kirche und folgte dem Menschenstrom, der sich, von der Hitze bedrückt, schwerfällig dahinwälzte.

      Die Cafés waren überfüllt, dichtgedrängt saßen die Menschen am Bürgersteig, im grellen, blendenden Licht der erleuchteten Fenster. Vor ihnen auf kleinen runden oder viereckigen Tischen standen Gläser mit roten, gelben, grünen und in allen Farben schillernden Flüssigkeiten, und in den Karaffen sah man große, durchsichtige Eisstücke glänzen, die das schöne, klare Wasser kühlten.

      Duroys Schritte wurden langsamer, und das Verlangen nach einem erfrischenden Getränk trocknete ihm die Kehle. Ihn packte ein glühender Durst, ein Durst eines heißen Sommerabends; er dachte immerfort an das köstliche Gefühl, wenn ihm etwas Kaltes durch die Kehle rinnt. Wenn er sich aber heute auch nur zwei Glas Bier gestattete, dann war es morgen mit seinem kargen Abendbrot vorbei, und die Stunden des Hungers am Monatsende waren ihm nur zu wohl bekannt.

      Er sagte sich: »Bis zehn Uhr muss ich aushalten, und dann trinke ich einen Bock à l'Americain. Donnerwetter, habe ich jetzt einen Durst!« Und er blickte all diese Menschen an, die an den Tischen saßen, tranken und ihren Durst löschen konnten, soviel sie wollten. Und während er äußerlich keck und zuversichtlich an den Cafés vorüberging, taxierte er mit raschem Blick nach dem Aussehen und der Kleidung eines jeden Gastes, wieviel Geld er wohl mit sich trug. Eine Wut ergriff ihn gegen diese ruhig dasitzenden Leute. Wenn man ihre Taschen durchsuchte, so würde man Gold, Silber und Kleingeld finden. Durchschnittlich musste jeder wohl zwei Zwanzigfrancs-Stücke bei sich haben, etwa hundert Menschen saßen in jedem Café, und hundertmal zweimal zwanzig macht viertausend Francs. »Schweinehunde!«


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