Politik – Kirche – politische Kirche (1919–2019). Группа авторов

Politik – Kirche – politische Kirche (1919–2019) - Группа авторов


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Weg bezeichnet werden darf, jedoch nicht als beständiger Weg. Ein sprachlich formulierter Weg könnte ein Stück weit erfolgreich leiten, er würde sich später jedoch als nicht weiterführend erweisen. „Beständig“ heißt hier: In allen Situationen des Lebens in dessen Vielgestaltigkeit passend. Jede explizite Theorie gelingenden Lebens bleibt hinter der Ganzheit des Lebens zurück und blendet gewisse Aspekte aus. Dementsprechend wird es an mehreren Stellen als Kennzeichen des gelingenden Verhaltens angesehen, dass es „lange“ (久 jiu) zu dauern vermag7.

      Das Dao tritt im Daodejing in mindestens dreifacher Funktion auf: Erstens als Entstehungsprinzip aller Dinge, zweitens als natürliches Bewegungsprinzip der Dinge (und insbesondere der Lebewesen) in ihrem Sein – also gewissermaßen als „Lauf der Dinge“. Drittens ist das Dao der Weg des rechten Verhaltens, des De. Alle drei Funktionen stehen in enger Beziehung zueinander. So ist es entscheidend, dass das Dao nicht nur Richtschnur des gelingenden Verhaltens ist, sondern alle Wesen in deren Veränderung und Verhalten bereits bestimmt. Nur so ist es erklärbar, dass sich der Mensch an einem nicht aussprechbaren praktischen Prinzip orientieren kann.

      Warum sieht das Daodejing das Dao – das erste Prinzip – als etwas nicht Sagbares an? Mit dem Dargelegten habe ich die These plausibel zu machen versucht, dass die Motivation hierfür im praktischen Bereich liegt. Die Negativität im Theoretischen – in einer metaphysischen Kosmogonie – gründet in einer negativen praktischen Philosophie. Die Unsagbarkeit des Dao als des Entstehungsprinzips aller Dinge korreliert mit der Unsagbarkeit des Wegs zum gelingenden Leben. Für den Primat des Praktischen gegenüber dem Theoretischen spricht auch, dass in den beiden ältesten einigermaßen vollständig erhaltenen Handschriften des Daodejing die beiden Teile – „Dao“ und „De“ – vertauscht sind8. Diese Fassungen beginnen nicht mit den metaphysischen Ausführungen von Kapitel 1 und dem eher theoretisch fokussierten ersten Teil, sondern mit dem vorwiegend praktische Fragen behandelnden Teil „De“ und den oben aus Kapitel 38 zitierten Sätzen. Wenn diese Interpretation zutrifft, so ist die Theorie des Dao als ersten Prinzips als Korrelat einer vermutlich zuerst existierenden praktischen negativen Philosophie zu deuten. Im Hintergrund steht die Erfahrung einer spontanen, ungebundenen und freien Existenzweise, welche gerade durch das Ablassen von Vorgaben erreicht wird.

      Die chinesische Philosophie ist allgemein dadurch charakterisiert, dass ihr Hauptinteresse den praktischen Fragen, der Suche nach dem „Weg“, gilt9. Im Vergleich mit anderen Philosophien der klassischen Epoche (ca. 6.–3. Jh. v. Chr.), wie etwa mit denjenigen von Konfuzius, Menzius oder Xunzi, ist die metaphysisch-kosmologische Seite im Daodejing deutlich stärker ausgeprägt. Die gegebene Interpretation zeigt, dass sich dieses neue kosmologische Interesse in engem Bezug zu Fragen der Gestaltung der Praxis entfaltet. Für seine Formung sind praktische Motive entscheidend.

      Die These von der Unsagbarkeit des beständigen Dao hat Laozi nicht daran gehindert, in affirmativer Weise über dieses zu reden. Jede negative Philosophie steht vor dem Dilemma, wie über ein nicht diskursiv Einholbares gesprochen werden kann. Als ein eindrucksvolles Beispiel für eine Möglichkeit, damit umzugehen, kann der erste Teil von Kapitel 25 dienen:

      Es gibt da ein Ding, im Trüben vollbracht,

      vor Himmel und Erde entstanden.

      So still, so leer

      steht es allein und ändert sich nicht.

      Man kann es als die Mutter von Himmel und Erde ansehen.

      Seinen Namen kenne ich nicht.

      Soll ich es bezeichnen, so nenne ich es den Weg (Dao).

      Gezwungen, ihm einen Namen zu geben, nenne ich es: Groß.

      Groß bedeutet: Fortgehen.

      Fortgehen bedeutet: Fern sein.

      Fern sein bedeutet: Umkehren.10

      In poetischer Sprache umschreibt der Text jenes Erste und zögert noch bei der Einführung eines Wortes dafür. Auch die Bezeichnung als „Dao“ ist nur eine äußerliche Hilfe, um überhaupt über es reden zu können. Will man ihm sprachlich näher kommen, so muss auf einen so nichtssagenden Begriff wie „groß“ bzw. „das Große“ zurückgegriffen werden. Alles Reden über das Dao steht unter der Maßgabe, dass es zwar Aspekte davon treffen kann, aber seine Größe und Umfassendheit reduziert.

      Dennoch scheut sich das Daodejing nicht, jenen ungreifbaren Lauf der Dinge auch inhaltlich zu charakterisieren und dabei praktische Hinweise zu geben. Ein wichtiges Gesetz des Dao ist die Bezogenheit der Gegensätze und ihr Kreislauf, der das Starke in das Schwache überführt und umgekehrt. Daraus ergibt sich als praktische Konsequenz die Bevorzugung des gemeinhin als negativ Angesehenen: des Schwachen, des Weichen und auch des Weiblichen. Denn wer sich auf das Harte versteift, wird zerbrechen, während die Weichheit das Potential zum Harten hat.

      Das Dao, das oberste Prinzip der Welt und insbesondere aller Wohlordnung, wird im Daodejing mehrfach als das Eine bezeichnet11. Es ist dasjenige, welches allen Strukturen Einheit verleiht, sofern diese es in ihnen wirken lassen. Dagegen legt Kapitel 42 ein Modell der Kosmogonie dar, in welchem das Dao das Eine erst erzeugt, welches anschließend in weitere Differenzierungen übergeht. Dies entspricht dem Gedanken, dass das Dao ein Unbestimmtes ist, welches alle Bestimmtheit aus sich heraussetzt. Da alle Rede vom Dao ohnehin cum grano salis zu lesen ist, mag dieser Widerspruch als Ausdruck der Vielgestaltigkeit und Unfassbarkeit des Dao zu lesen sein12.

      2. Plotin

      Gehen wir nun zur Philosophie Plotins über. Für diesen ist das oberste Prinzip das Eine, aus welchem sich stufenweise die gesamte Wirklichkeit entfaltet. Werner Beierwaltes beschreibt dieses Entfaltungsgeschehen folgendermaßen:

      Plotin denkt die Wirklichkeit im ganzen als eine in sich gestufte, in der eine geistige Bewegung wirksam ist, die von einem Ersten ausgeht und aus dessen Selbstentfaltung wieder in dieses zurückgeht. Dieses Erste und (für den Rückbezug) zugleich Letzte ist das Eine selbst – mit dem Guten selbst ein und dasselbe: universal umfassende Ursache alles Einzelnen und Anderen als es selbst. Als eine in sich in-differente Fülle läßt sie Alles durch sich jeweils es selbst sein, wirkt in diesem als dessen Einheits-, Seins- und Lebens-Grund.1

      Jegliches Seiendes ist eines, und diese Einheit kann es nur vom Einen selbst haben. Der Geist ist im pointierten Sinne Einer, insofern er sich dem Einen zuwendet und daraus Einheit empfängt. Damit ist alles nicht nur aus dem Einen entstanden, sondern richtet sich auch im Gegenzug auf dieses aus und kann nur so das sein, was es ist. Trotz seiner gedanklichen absoluten Transzendenz ist das Eine in jeglichem Seienden wirksam als dasjenige, was dieses eint und so überhaupt sein lässt.

      Das Eine ist für Plotin das absolut Eine, welches keinerlei Teile hat. Da es ohne Teile keine Grenzen haben kann, treffen die üblichen Begriffe es nicht, denn jeder Begriff begrenzt und jede Prädikation führt bereits eine Differenz von Subjekt und Prädikat ein. Das Eine ist damit aus logischen Gründen im eigentlichen Sinne unsagbar. Im Hintergrund hierfür steht eine mystische Erfahrung absoluten Einsseins – nicht eines Einsseins mit dem Einen, denn hier wäre noch Differenz, sondern des Einsseins schlechthin, in welchem es kein unterscheidbares Selbst mehr gibt.

      Sprachlich nähert sich Plotin dem Einen vorwiegend über Negationen, an einzelnen Stellen interessanterweise aber auch über positive Begriffe, welche Rede dann aber als uneigentlich gekennzeichnet werden muss. Hier ist insbesondere die Enneade VI 8 zu nennen, in welcher der Ausdruck οἷον „gleichsam“ zu dieser Qualifizierung dient2. Dort werden dem Einen Begriffe wie Wirksamkeit (ἐνέργεια), Wille oder Vermögen (δύναμις) zugesprochen – sie müssen jedoch ganz anders verstanden werden als wenn sie für Einzeldinge verwendet werden. So scheint ein Prädikat wie „Wirksamkeit“ ein Zweites vorauszusetzen, auf welches das Wirkende wirkt bzw. welches es hervorbringt. Plotin präzisiert:

      Hiergegen ist nun zu erwidern, dass überhaupt Jener nicht dem Hervorgebrachten gleichzustellen ist, sondern dem Hervorbringenden; dabei haben wir sein Hervorbringen als absolut anzusprechen, nicht,


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