Ein neuer Anfang für die Liebe. Susan Anne Mason

Ein neuer Anfang für die Liebe - Susan Anne Mason


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der Dr.-Barnardo-Heime in London hierhergekommen und ich würde gern herausfinden, wo sie sich nun befinden.“

      Mit einem Mal verhärteten sich die Gesichtszüge der Frau. „Es tut mir leid, Sir, aber ich kann Ihnen keinerlei Informationen geben“, erklärte sie und schlug das lederne Buch vor ihr entschieden zu.

      Daraufhin ging Quinn einen Schritt auf den Schreibtisch zu. „Ich verstehe ja, dass es Regeln gibt, die befolgt werden müssen. Aber sicher können Sie wenigstens direkten Verwandten Auskunft geben über den Aufenthaltsort“, bat er und holte etwas aus seiner Jackentasche hervor. „Ich kann mich auch ausweisen, falls das hilft.“

      Die Frau stand auf und ihr genervter Blick zeigte in Richtung Treppe. „Ich bin nicht in der Position, Ihnen –“

      „Könnte ich dann bitte mit dem Verantwortlichen für dieses Heim sprechen?“

      Mit einer Hand am Blusenkragen seufzte die Frau und nickte. „Also gut, einen Moment bitte. Ich werde nachsehen, ob Mr Hobday Zeit für Sie hat“, gab sie nach und hieß Quinn auf einer Bank an der Wand warten.

      „Danke sehr“, sagte er, verbeugte sich kurz und nahm auf der Bank Platz, während die Frau die Treppe hochstieg. Sobald sie nicht mehr zu sehen war, schritt Quinn auf den Schreibtisch zu und streckte sich nach dem ledernen Buch aus. Mit pochendem Herzen schlug er es auf der ersten Seite auf. Namen und Daten waren darin aufgelistet.

      Eilig blätterte Quinn durch die Seiten, auf der Suche nach Einträgen von 1914, während er die Ohren nach Geräuschen von oben gespitzt hielt. Nach der Geschichte von Mrs Chamberlain und den schrecklichen Bedingungen, unter denen manche der Kinder litten, wollte Quinn es nicht riskieren, dass man ihm die Informationen über die Aufenthaltsorte seiner Brüder verwehrte. Während er blätterte, wurden seine Hände feucht. Schließlich sprang ihm ein Name ins Gesicht. Aspinall, Harrison. Alter: 7. Mr T. Wolfe in Caledon, Ontario.

      Er lernte die Daten auswendig und überflog die anderen Zeilen. Auf der nächsten Seite fand er Aspinall, Cecil. Alter: 11. Mr A. Simpson in Collingwood, Ontario.

      Im Kopf wiederholte Quinn die beiden Adressen mehrmals, schloss das Buch wieder und vergewisserte sich, dass es genau so lag, wie die Frau es zurückgelassen hatte. Dann setzte er sich erneut auf die Bank. Die feuchten Hände strich er auf den Oberschenkeln ab und bemühte sich, gleichmäßig zu atmen, um möglichst ruhig und kontrolliert zu wirken, wenn der Direktor kam.

      Schließlich vernahm er Schritte auf der Treppe und die Frau erschien wieder, gefolgt von einem schlanken Herrn, der vermutlich um die vierzig war. Als die beiden sich ihm näherten, stand Quinn auf.

      „Das ist Mr Aspinall“, stellte die Frau ihn vor, bevor sie wieder am Schreibtisch Platz nahm.

      „Danke, Mrs Allen“, erwiderte der Mann und machte mit ausgestreckter Hand einen Schritt auf Quinn zu. „Ich bin Mr Hobday, der Direktor dieses Heims. Am besten Sie begleiten mich in mein Büro. Dort können wir unter vier Augen sprechen.“

      Mit einem Nicken folgte Quinn ihm den Gang entlang zu einem großen Raum mit langen, rechteckigen Fenstern, die nach vorne auf die Straße zeigten.

      „Bitte, setzen Sie sich doch“, bot Mr Hobday ihm mit einer Geste zu einem der Stühle vor dem Schreibtisch an.

      „Danke.“ Quinn nahm Platz. Während er darauf wartete, dass sich auch Mr Hobday setzte, betete er für die richtigen Worte, um den Mann von seinem Anliegen zu überzeugen.

      „Wie ich höre, sind Sie auf der Suche nach Ihren Brüdern, Mr Aspinall“, begann der Direktor und verschränkte die Hände über dem Tisch.

      „Das ist richtig. Es geht um Harrison und Cecil Aspinall. Sie sind 1914 hierhergekommen, als meine Mutter schwer krank geworden ist und sich nicht länger um sie kümmern konnte. Ich habe zu dieser Zeit im Krieg gedient und hatte keine Ahnung, dass meine Mutter sie ins Heim gegeben hat.“ Wie immer musste er die Bitterkeit herunterschlucken, die aufkam, wenn er an diese Handlung seiner Mutter dachte. Wieso hatte sie ihm nicht erzählt, wie schlimm die Umstände waren? Wenn er davon gewusst hätte, hätte er vielleicht helfen können, den Kriegsdienst erst später antreten können.

      „Das ist eine äußerst unangenehme Situation“, begann Mr Hobday mit einem Kopfschütteln. „Nichtsdestotrotz müssen Sie verstehen, dass ihre Mutter die Vormundschaft über ihre Kinder in dem Moment abgegeben hat, als sie sie ins Dr.-Barnardo-Heim gebracht hat. Und nun befinden sich die beiden in individuellen Arbeitsverträgen, durch die sie bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr an ihre Arbeitgeber gebunden sind“, erklärte der Direktor und schob einen Stapel Papiere zur Seite. „Ich sage Ihnen frei heraus, dass die Farmer jede Art von Einmischung Ihrerseits nicht dulden werden. Vermutlich wird man Sie sogar mit einem Gewehr vom Anwesen jagen, sollten Sie den Versuch unternehmen, Ihre Geschwister zu besuchen.“

      Bei diesen Worten ballte Quinn die Hände zu Fäusten. So wie Mr Hobday von seinen Brüdern sprach, klang es, als wären sie Gefangene, die eine Strafe abarbeiteten. In Quinn stieg ein Bild auf, wie Harry und Cecil an eisernen Ketten hingen, die sie an eine Scheunenwand fesselten. Nur mit Mühe gelang es Quinn, weiterhin ruhig zu atmen. Er konnte es sich nicht erlauben, die Fassung zu verlieren und den Mann zu verstimmen. Wenngleich er die Unterkünfte seiner Brüder bereits kannte, war er in Zukunft womöglich auf die Hilfe von Mr Hobday angewiesen. Deshalb zog Quinn es vor, den Direktor lieber auf seiner Seite zu wissen. „Ich verstehe, wie heikel diese Situation für Sie ist. Es bedarf eines besonderen Talentes, die Waage zu halten zwischen der Sorge um das Wohlergehen der Kinder und den Wünschen der Farmer, die ihre Dienste gern in Anspruch nehmen.“

      Die Falten auf Mr Hobdays Stirn glätteten sich. „In der Tat. Manchmal ist es wirklich eine undankbare Aufgabe.“

      „Sagen Sie, Mr Hobday, gibt es irgendeine Art von Kontrollbesuch, nachdem die Kinder einer Farm zugewiesen wurden? Um sicherzustellen, dass … beide Seiten zufrieden sind mit diesem Arrangement.“

      „Ja, die gibt es“, erwiderte er und entspannte sich. Zum ersten Mal sah er Quinn direkt an. „Wir senden Aufseher, die sowohl die Kinder als auch die Farmer befragen. Glauben Sie mir, diese Aufseher nehmen ihre Arbeit sehr ernst!“

      „Ich verstehe. Und wie oft kommt solch ein Kontrollbesuch vor?“

      „Einmal pro Jahr.“

      „Nur so selten? Es könnte also sein, dass ein Kind ein ganzes Jahr leidet, bevor jemand nach ihm sieht?“

      Wieder bildeten sich Falten auf Mr Hobdays Stirn. „Sobald ein Farmer unglücklich ist mit einem der Kinder, hören wir frühzeitig davon. Das versichere ich Ihnen.“

      „Zweifelsohne“, erwiderte Quinn und beugte sich vor. „Aber was, wenn ein Kind unzufrieden ist oder, schlimmer noch, schlecht behandelt wird? Welche Möglichkeiten hat es?“ Quinn kam nicht umhin, an Mrs Chamberlains Schwester zu denken. Welche Möglichkeiten hatte Annie, als sie sich in dieser unerträglichen Situation wiederfand?

      Missmutig presste Mr Hobday die Lippen zusammen. „Ich bin mir sicher, dass Sie es verstehen, wenn wir uns nicht immer um die Marotten undankbarer und oftmals ungezogener Kinder kümmern können, Mr Aspinall. Am Anfang fällt es jedem Kind schwer, sich einzugewöhnen. Aber mit der Zeit kommen die meisten gut auf den Farmen zurecht und entwickeln sich zu guten Arbeitskräften.“

      „Die meisten? Und was ist mit den anderen?“

      „Manche laufen weg oder veranstalten so einen Wirbel, dass die Arbeitgeber sich gezwungen sehen, die Kinder zurück ins Heim zu schicken. In solchen Fällen behalten wir die Jungen zunächst eine Zeit lang hier. Um ihr Verhalten anzupassen – eine Umschulung sozusagen –, und vermitteln sie dann an eine passendere Farm.“

      „Führen Sie Aufzeichnungen zu den einzelnen Kindern?“

      „In der Tat“, bejahte Mr Hobday und wandte sich auf seinem Stuhl, sodass er knarzte.

      „Würde es Ihnen etwas ausmachen, für mich nachzusehen, ob einer meiner Brüder solch eine ‚Umschulung‘ durchlebt hat? Damit würden Sie mich ein wenig beruhigen und gleichzeitig nicht mehr preisgeben,


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