"Bodhisattvaweg" und "Imitatio Christi" im Lebensgang Rudolf Steiners. Andreas Neider


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      Andreas Neider

      «Bodhisattva-Weg»

       und «Imitatio Christi»

       im Lebensgang Rudolf Steiners

       Eine esoterisch-biografische Studie

      Verlag Freies Geistesleben

      Inhalt

       Prolog

       Einführung

1.Vier Arten des Verständnisses eines Bodhisattva
2.Der Bodhisattva-Weg und das Bodhisattva-Ideal im Mahayana-Buddhismus
3.Der Bodhisattva-Weg in Die Stimme der Stille von H. P. Blavatsky
4.Der Bodhisattva-Weg und der «große Hüter der Schwelle» in Rudolf Steiners Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? – Novalis und die «Imitatio Christi» – Die Verbindung von Buddhismus und Christentum
5.Der «große Hüter der Schwelle» in Die Geheimwissenschaft im Umriss – Wie der Christus sich offenbart
6.Spirituelle Ökonomie und «das Gestanden-Haben vor dem Mysterium von Golgatha» – Das Bodhisattva-Prinzip im Lichte der «Imitatio Christi»
7.Das Bodhisattva-Prinzip und der Ursprung des «sozialen Hauptgesetzes»
8.Der Bodhisattva-Weg und das Michael-Christus-Erleben – Anna Samwebers Frage nach dem Wesen der Individualität Rudolf Steiners

       Nachwort – Das Bodhisattva-Prinzip in Zeiten des Klimawandels und der Corona-Krise

       Anmerkungen

       Denken mit dem Herz

      Prolog

      Novalis berichtet im 5. Kapitel seiner einzigen von ihm vollendeten größeren und zu Lebzeiten publizierten Dichtung, den Hymnen an die Nacht, in einer denkwürdigen Passage von einem griechischen Sänger, der die frohe Botschaft der Geburt des Christus auf Erden nach Osten, nach «Indostan» brachte, wo sie «tausendzweigig emporwuchs».1

      Diese Passage2 sei als Vorspann unseren nachfolgenden Betrachtungen vorangestellt. Der Grund dazu wird sich im Laufe der Lektüre bald erschließen.

      «Von ferner Küste, unter Hellas heiterm Himmel geboren, kam ein Sänger nach Palästina und ergab sein ganzes Herz dem Wunderkinde:

      Der Jüngling bist du, der seit langer Zeit

      Auf unsern Gräbern steht in tiefen Sinnen;

      Ein tröstlich Zeichen in der Dunkelheit –

      Der höhern Menschheit freudiges Beginnen.

      Was uns gesenkt in tiefe Traurigkeit

      Zieht uns mit süßer Sehnsucht nun von hinnen.

      Im Tode ward das ewge Leben kund,

      Du bist der Tod und machst uns erst gesund.

      Der Sänger zog voll Freudigkeit nach Indostan – das Herz von süßer Liebe trunken; und schüttete in feurigen Gesängen es unter jenem milden Himmel aus, dass tausend Herzen sich zu ihm neigten, und die fröhliche Botschaft tausendzweigig emporwuchs.»

      Im ersten der Geistlichen Lieder von Novalis findet sich hierzu noch eine Parallelstelle, die auf denselben Kontext weist:

      «Hat Christus sich mir kund gegeben,

      Und bin ich seiner erst gewiss,

      Wie schnell verzehrt ein lichtes Leben

      Die bodenlose Finsternis.

      Mit ihm bin ich erst Mensch geworden;

      Das Schicksal wird verklärt durch ihn,

      Und Indien muss selbst im Norden

      Um den Geliebten fröhlich blühn.»3

      Einführung

      Rudolf Steiner hat in seinem Schulungsbuch Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?4 im letzten Kapitel ein Gespräch wiedergegeben, das sich zwischen dem Geistesschüler und dem «großen Hüter der Schwelle» abspielt. In diesem Gespräch wird der zu der bis dahin höchsten Stufe der Einweihung gelangte Geistesschüler vor eine Wahl gestellt: Sich entweder nicht weiter auf Erden zu verkörpern, weil das für ihn aufgrund seiner hohen Entwicklung nicht mehr notwendig ist; oder, sich, ohne dass dazu eine karmische Notwendigkeit bestünde, trotzdem immer wieder auf Erden zu inkarnieren, um der Befreiung aller anderen Menschenwesen willen, mit denen der auch noch so hochentwickelte Mensch ja durch die Menschheitsentwicklung von Anfang an verbunden ist.5

      Der «große Hüter» erscheint in diesem Gespräch als eine höhere Stufe der zuvor auf dem Weg der Selbsterkenntnis sich vor den Geistesschüler hinstellenden Gestalt des «kleinen Hüters der Schwelle», die dem Schüler den Eintritt in die Erkenntnis der geistigen Welt solange verwehrt, bis er sich selbst als durch irdische Verstrickungen verunreinigte Wesenheit erkannt und von diesen Verstrickungen befreit hat. Als ein solch Befreiter tritt der Schüler dann vor den «großen Hüter» hin, der ihn nun auf seine menschheitlichen Aufgaben und Verpflichtungen hinweist und ihn dabei vor die erwähnte Wahl zweier Wege stellt.

      Wenn man sich etwas mit dem Buddhismus beschäftigt hat, dann braucht es nicht viel, um in diesem Gespräch mit dem großen Hüter das im Buddhismus sogenannte «Bodhisattva-Ideal» wiederzuerkennen. Dieses mit einer Art von Gelöbnis verbundene «Bodhisattva-Ideal» ist im Buddhismus Bestandteil eines Schulungsweges, dem Weg eines Bodhisattva. Auf welche Weise es entstanden ist und wie es auch heute noch verwendet wird, soll im Folgenden weiter dargestellt werden. Kannte Rudolf Steiner dieses Bodhisattva-Ideal des Buddhismus und wenn ja, woher war es ihm bekannt?

      Es erscheint bei genauerer Untersuchung ziemlich wahrscheinlich, dass Rudolf Steiner bei der Wiedergabe des Gespräches mit dem «großen Hüter der Schwelle» eine Quelle benutzt hat, die in einem der letzten Bücher von H. P. Blavatsky identifiziert werden kann: Die Stimme der Stille. In diesem Buch gibt Blavatsky den als Bodhisattva-Weg im Buddhismus geläufigen Schulungsweg in der ihr eigenen, poetisch erscheinenden Sprache wieder. Dieses Buch ist in Rudolf Steiners Bibliothek vorhanden, und er hat es sogar teilweise aus dem Englischen übertragen.6 Wie wir sehen werden, hat Rudolf Steiner diese Vorlage jedoch in einer stark metamorphosierten Form aufgegriffen. Dabei entsteht aber auch die Frage, ob es für dieses Gespräch, in dem es ja um die Selbstaufopferung des auf dieser Stufe angelangten Geistesschülers geht, nicht auch innerhalb der mitteleuropäischen Tradition einen weiteren Bezugspunkt gegeben hat.

      In


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