Maigret verliert eine Verehrerin. Georges Simenon

Maigret verliert eine Verehrerin - Georges  Simenon


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Ihre Polen, Maigret?«

      »Ich warte. Heute Nacht will ich mich selbst auf die Lauer legen. Wenn wir bis morgen nichts Neues haben, werde ich versuchen, die Frau allein zu erwischen.«

      Eine üble Bande. Drei Verbrechen in sechs Monaten. Immer auf abgelegenen Bauernhöfen im Norden. Brutale Raubmorde, bei denen die Opfer mit Axthieben umgebracht worden waren.

      Der Nebel verfärbte sich golden. Die Lampen waren nun nicht mehr nötig. Der Chef zog eine Akte zu sich heran.

      »Wenn Sie heute Vormittag einen Augenblick Zeit hätten, Maigret … Eine Vermisstenanzeige … Es handelt sich um einen jungen Mann von neunzehn, den Sohn eines Großindustriellen, der …«

      »Geben Sie mir die Akte.«

      Der Rapport dauerte eine halbe Stunde. Hin und wieder drang das Klingeln des Telefons durch den dichten Zigaretten- und Pfeifenrauch.

      »Gut, Herr Minister … Ja, Herr Minister …«

      Währenddessen hörte man auf dem breiten Flur die Inspektoren kommen und gehen, Türen schlagen und in allen Zimmern die Telefone klingeln.

      Mit den Papieren unterm Arm kehrte auch Maigret in sein Büro zurück. Er dachte über die polnische Bande nach. Achtlos legte er die Akten auf den Anmeldezettel, den Cécile ausgefüllt hatte. Er hatte sich kaum gesetzt, als der Bürodiener anklopfte.

      »Es ist wegen der jungen Frau …«

      »Was ist mir ihr?«

      »Empfangen Sie sie?«

      »Gleich.«

      Erst wollte er die Sache erledigen, die der Chef ihm soeben aufgetragen hatte. Er hatte mit dem jungen Mann schon zu tun gehabt und wusste, wo er ihn finden würde.

      »Hallo? Bitte verbinden Sie mich mit dem Hôtel Myosotis in der Rue Blanche.«

      Ein zweifelhaftes Hotel, in dem noch andere junge Leute wie er verkehrten, die dem Kokain frönten und aus ihren sittenwidrigen Gewohnheiten kein Geheimnis machten.

      »Hallo? … Nun, Francis, ich denke, ich werde Ihren Laden endgültig dichtmachen müssen … Was? … Pech für Sie! Sie übertreiben … Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann schicken Sie mir sofort den kleinen Duchemin … Oder besser noch, bringen Sie ihn selber her … Ich habe etwas mit ihm zu bereden … Aber ja! Er ist bei Ihnen. Und wenn er es nicht ist, werden Sie ihn bestimmt bis zum Mittag für mich ausfindig machen … Ich zähle auf Sie!«

      Schon kam ein Anruf auf einer anderen Leitung. Ein verlegener Untersuchungsrichter.

      »Kommissar Maigret? … Es geht um Pénicaud, Herr Kommissar. Er behauptet, Sie hätten sein Geständnis durch Einschüchterung erzwungen, ihn sich in Ihrem Büro ausziehen und fünf Stunden lang splitternackt dort sitzen lassen.«

      Auch die Inspektoren warteten, den Hut auf dem Kopf und die Zigarette im Mund, im Büro nebenan auf seine Anweisungen. Es war elf Uhr, als ihm Cécile wieder einfiel. Er drückte auf den Klingelknopf.

      »Lassen Sie die junge Frau herein.«

      Kurz darauf kam der Bürodiener allein zurück.

      »Sie ist nicht mehr da, Herr Kommissar.«

      »Ach!«

      Zuerst zuckte er mit den Schultern. Dann, während er sich wieder setzte, runzelte er die Stirn. Das passte so gar nicht zu Cécile, die einmal sieben Stunden lang reglos im Warteraum gesessen hatte. Er suchte unter den Papierstapeln auf seinem Schreibtisch ihren Anmeldezettel. Schließlich fand er ihn unter der Akte des jungen Duchemin.

      Sie müssen mich unbedingt empfangen. Heute Nacht ist etwas Schreckliches passiert.

      Cécile Pardon

      Auf sein Klingeln hin kam wieder der Bürodiener.

      »Sagen Sie, Léopold …« (Er hieß nicht wirklich Léopold, aber man hatte ihm diesen Spitznamen gegeben, weil er aussah wie der ehemalige belgische König.) »Wann ist sie gegangen?«

      »Ich weiß es nicht, Herr Kommissar. Ich bin in alle möglichen Büros gerufen worden … Vor einer halben Stunde war sie noch da …«

      »Saßen viele Leute im Warteraum?«

      »Zwei Personen für den Chef. Ein älterer Herr mit einem Rechtshilfeersuchen. Ansonsten … Ach, Sie wissen ja, vormittags herrscht hier ein ständiges Kommen und Gehen … Ich habe selber erst eben bemerkt, dass die Dame nicht mehr da ist.«

      Maigret spürte eine leichte Beunruhigung, ein Unbehagen in der Brust. Das gefiel ihm nicht. Man hatte sich über diese arme Cécile zu sehr lustig gemacht.

      »Falls Sie wiederkommt …«

      Nein, er überlegte es sich anders. Er rief einen seiner Inspektoren zu sich.

      »In wenigen Minuten wird der Besitzer des Hôtel Myosotis mit einem jungen Mann namens Duchemin hier auftauchen. Lassen Sie sie warten. Wenn ich bis zwölf noch nicht zurück bin, behalten Sie den jungen Mann hier und schicken Sie den Hotelier wieder an seine Arbeit.«

      Auf dem Pont Saint-Michel hätte er fast ein Taxi genommen, was ein schlechtes Zeichen war.

      Gerade deshalb tat er es dann doch nicht, sondern wartete auf die Straßenbahn. Sonst hätte er dieser Cécile zu viel Bedeutung beigemessen! Er hätte damit zugegeben …

      Anstatt sich aufzulösen war der Nebel noch dichter geworden, aber es war nicht mehr so kalt. Maigret stand auf der Plattform, rauchte seine Pfeife, und sein Kopf schaukelte im Takt der Erschütterungen und Bremsstöße hin und her.

      Wann war Cécile zum ersten Mal am Quai gewesen? Vor sechs Monaten ungefähr. Er hatte sein Notizbuch auf dem Schreibtisch liegen lassen, er konnte es nach seiner Rückkehr überprüfen. Sie hatte sofort nach Kommissar Maigret verlangt. Möglicherweise kannte sie seinen Namen aus der Zeitung. Sie schien eine ruhige Person zu sein. Ob sie sich bewusst war, dass sich ihre Geschichte wie das Produkt einer blühenden Fantasie anhörte?

      Sie bemühte sich, wohlüberlegt zu sprechen, indem sie den Kommissar fest anblickte und die unglaubwürdigen Stellen ihres Berichts durch ein Lächeln abmilderte.

      »Ich schwöre Ihnen, Herr Kommissar, dass ich nichts erfinde und mir auch nichts einbilde. Ich weiß genau, wo alles hingehört, weil ich es bin, die den Haushalt macht. Meine Tante hat nie ein Dienstmädchen gewollt. Als es das erste Mal passiert ist, dachte ich noch, dass ich mich irre. Aber danach habe ich genau aufgepasst, und gestern habe ich mir genau eingeprägt, wo sich jeder Gegenstand befand. Ich bin sogar noch weiter gegangen. Ich habe einen Faden quer vor die Eingangstür gespannt …

      Und dann waren nicht nur zwei Stühle verrückt, sondern auch der Faden war gerissen. Es hat also jemand unsere Wohnung betreten. Jemand hat sich eine Zeit lang im Wohnzimmer aufgehalten und den Sekretär meiner Tante aufgemacht, denn auch dort hatte ich ein Erkennungszeichen angebracht. Es ist das dritte Mal in zwei Monaten. Meine Tante kann sich seit Kurzem fast gar nicht mehr bewegen. Niemand außer mir hat einen Wohnungsschlüssel, und doch ist das Schloss nicht aufgebrochen worden. Ich wollte Tante Juliette nichts davon erzählen, um sie nicht zu beunruhigen. Ich bin aber sicher, dass nichts verschwunden ist. Sie hätte es mir gesagt, denn sie ist sehr misstrauisch.«

      »Alles in allem«, fasste Maigret ihren Bericht zusammen, »behaupten Sie also, dass zum dritten Mal in zwei Monaten ein Unbekannter in Ihre und die Wohnung Ihrer Tante eingedrungen ist, durch das Wohnzimmer gegangen ist und die Stühle verrückt hat …«

      »Die Schreibunterlage auch!«

      »… die Stühle und die Schreibunterlage verrückt und im Sekretär herumgewühlt hat, obwohl er abgeschlossen ist und auch nichts darauf hindeutet, dass er gewaltsam geöffnet wurde.«

      »Außerdem hat heute Nacht jemand im Wohnzimmer geraucht. Weder meine Tante noch ich rauchen. Gestern war auch niemand bei uns, und trotzdem hat es heute Morgen im Wohnzimmer nach Zigarettenrauch gerochen.«

      »Ich werde mir das einmal ansehen.«


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