Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6. Inger Gammelgaard Madsen

Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6 - Inger Gammelgaard Madsen


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alle Neuigkeiten direkt in das digitale Universum hinaus senden konnte. Er seufzte resigniert.

      »Nachrichten-Online ist ein sehr seriöses Nachrichtenportal«, äffte er sie lautstark nach und versuchte ihre Stimme mit dem Nørrebro-Dialekt zu imitieren, was zu seiner eigenen Überraschung ziemlich gut klappte. Na klar, genauso wie alle anderen Sensationsmedien.

      »Was hast du gesagt?« Niels Nyborg füllte den kompletten Türrahmen aus. Argwöhnisch schaute er ihn an und glaubte sicher, dass Roland wirklich einen an der Klatsche hatte.

      »Sind sie auf dem Friedhof fertig?«, fragte Roland, um von seinem kleinen Selbstgespräch abzulenken.

      Niels zog seine Jacke an, sein Blick war beunruhigend. »Ja, da gibt’s nichts mehr zu holen. Sieht so aus, als wäre er allein gewesen, und was er im Grab seines Sohnes verloren hatte, werden wir wohl nie herausfinden. Aber die vom Traumazentrum haben angerufen. Eine sehr schwere Vergewaltigung. Eine Frau hat ihre Freundin heute Morgen gefunden und es ist wirklich ein Wunder, dass das Opfer überlebt hat. Sie ist gerade aus der OP aufgewacht.«

      »Ach du Scheiße.« Roland hatte bereits seine Jacke von der Stuhllehne gerissen, wo sie immer zum schnellen Ausrücken bereit hing. »Wo wurde sie gefunden?« Er versuchte mit Niels und dessen langen Beinen Schritt zu halten, während er die Jacke anzog. Eigentlich war es warm genug ohne, aber er wollte nicht nur im Hemd dort aufkreuzen.

      »In ihrer eigenen Wohnung. Wenn du zum Krankenhaus fährst, nehme ich mir zusammen mit ein paar Kriminaltechnikern die Wohnung in der Neuen Munkestraße vor. Ich habe sie schon kontaktiert.«

      Das alte Aarhuser Stadtkrankenhaus, gerade erst erweitert durch einen Anbau und einen neuen Flügel für das Dänische Neuro-Forschungszentrum, sollte jetzt bald geschlossen und durch das größte Riesen-Krankenhaus des Nordens auf den Feldern bei Skejby ersetzt werden. Gerüchten zufolge wollte die Universität die schönen alten Gebäude zwar übernehmen, aber dennoch war es ein Jammer, fand Roland.

      Roland setzte die Sonnenbrille auf, während er vom Parkplatz direkt zum Traumazentrum ging. Gott sei Dank hatten sie von sich aus angerufen und mitgeteilt, dass das Mädchen für einen Besuch der Polizei und eine Vernehmung bereit war, sonst würde man ihn ganz sicher sofort an der Pforte abweisen. Auch mit einer Dienstmarke bekam man hier keine Sonderbehandlung.

      Als er an die angelehnte Tür eines Büros klopfte, empfing man ihn auch nicht gerade mit offenen Armen. Eine kräftig gebaute Krankenschwester in einem offenbar zu engen und daher geöffneten Kittel sah sich seinen Ausweis skeptisch an und deutete auf eine Tür am anderen Ende des Flures. Und solche Leute belehrten einen über falsche Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel. Sie verwies auf die leitende Krankenschwester, im Hintergrund klingelten die Telefone unaufhörlich; dann knallte sie die Tür zu. Sie hatten viel zu tun. Stress konnte sich auf viele Arten zeigen und er wusste, dass sie es glücklicherweise nicht an den Patienten ausließen. Die letzte jährliche Evaluation der Patientenzufriedenheit hatte das Krankenhaus ganz an die Spitze geschickt. Er ging den Flur hinunter zu der bezeichneten Tür. Der Krankenhausgeruch ließ etwas in seinem Brustkorb verkrampfen und erschwerte ihm das Atmen, er bescherte ihm einfach zu viele hässliche Erinnerungen. Die Tür öffnete sich und eine schlanke, jüngere Frau mit zugeknöpftem Kittel kam ihm mit einem netten Lächeln entgegen. Vermutlich, weil sie noch nicht wusste, wer er war. Die dürfte ihn gerne über was auch immer belehren, dachte Roland bei sich. Er blickte auf das Namensschild auf ihrer Brusttasche, sie hieß Signe Hansen und war zu seinem großen Glück die Person, an die er sich wenden sollte.

      »Maja kann nicht besonders lange sprechen, aber es ist wichtig, dass sie Ihnen erzählt, woran sie sich erinnert, bevor sie bewusst oder unbewusst alle Details vergisst. Wann kommt Ihre Kollegin?« Sie steckte einen Kugelschreiber in die Brusttasche und schaute ihm weiter direkt in die Augen. Ihre waren grün mit braunen Einsprengseln um die Pupille herum.

      »Kollegin?« Verständnislos runzelte er die Stirn.

      »Ja, aber das war doch eine ausdrückliche Bedingung, dass Sie eine Frau herschicken. Sonst kann Maja nicht erzählen, was passiert ist.«

      Roland verfluchte Niels innerlich, sollte er derjenige sein, der die Nachricht vom Krankenhaus entgegengenommen hatte.

      »Sie haben vielleicht keine Frauen bei der Polizei?«, fragte Signe Hansen in einem fast vorwurfsvollen Ton, hob eine dunkle Augenbrauen und wurde im selben Augenblick von dem Piepen des Pagers in ihrer Kitteltasche abgelenkt.

      »Doch, natürlich. Selbstverständlich haben wir auch weibliche Kollegen. Ich hole jemanden her.«

      »Gut. Sie kann mich einfach rufen, wenn sie soweit ist, ich sitze in diesem Büro.« Sie deutete auf die Tür, die ihm gerade vor der Nase zugeschlagen worden war. Er ging ins Wartezimmer, wo es erlaubt war, das Handy einzuschalten, und kontaktierte das Polizeipräsidium. Isabella war auf Streife, aber sie sollte sofort zum Krankenhaus geschickt werden, sobald der Diensthabende sie erreichte.

      An diesem Vormittag saß nur eine junge Frau im Wartezimmer. Hochkonzentriert tippte sie in ihr Smartphone und schaute nicht einmal auf, als er hereinkam. Heutzutage war es selten, dass man jungen Menschen in die Augen sehen konnte. Selbst sein ältestes Enkelkind, Marianna, gerade neun geworden, war immer in irgendetwas auf einem digitalen Bildschirm vertieft. Solange hatten die Eltern natürlich ihre Ruhe. Olivias Zwillinge in Italien waren zum Glück noch so klein, dass sie noch nicht an so etwas dachten. Aber das würde früh genug kommen. Er setzte sich und wartete, während er das Mädchen betrachtete. Sie war tatsächlich ganz hübsch, diese schöne Kombination aus blonden Haaren und braunen Augen, ganz natürlich, ungeschminkt, vielleicht ein bisschen Wimperntusche, die benutzten ja die meisten jungen Mädchen. Ihr Gesicht war sehr ernst, es waren bestimmt keine Witze, die sie ihren Freunden da gerade schickte. Plötzlich spielte der dünne Apparat eine aktuelle Popmelodie; er hatte sie oft im Radio gehört, wusste aber nicht, wie der Song hieß; das war nicht die Art Musik, die er normalerweise hörte. Sofort klemmte sie sich das Telefon ans Ohr und das schwache »Hi« drückte ebenso viel Ernst aus wie ihre Augen, die nun kurz in seine sahen. Sie schaute jedoch schnell wieder weg, fast als ob sie den zwischenmenschlichen Kontakt fürchtete, und blickte nach unten auf ihre Sneaker mit orangefarbenem Schnürsenkeln und Nike-Logo, und mit denen sie nun nervös zu wippen begann, während sie sprach. Es war unhöflich, die Privatgespräche anderer zu belauschen, dachte Roland, aber in diesem öffentlichen Bereich waren sie ja irgendwie nicht privat, und wenn er vermeiden sollte zu lauschen, müsste er den Raum verlassen. Da ging ihm auf, dass das Mädchen die Freundin sein musste, die Maja am Morgen gefunden hatte. Sie erklärte ihrem Telefongegenüber, dass sie immer noch auf Neuigkeiten warte und bleiben wolle, bis sie mit eigenen Augen gesehen habe, ob Maja okay war. Denn sie habe echt abgefuckt ausgesehen, als sie sie gefunden habe, aber sie würde über Facebook alle auf dem Laufenden halten, versprach sie. Als sie die Verbindung unterbrochen hatte, fing sie sofort wieder an, zu tippen. Roland nahm seinen Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn in ihr Sichtfeld.

      »Ich habe gehört, dass Sie Majas Freundin sind. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

      Das Mädchen schaute ihn misstrauisch an, es fiel ihr schwer, sich vom ihrem Smartphone loszureißen.

      »Ich muss das gerade noch abschicken.«

      »Okay.« Roland wartete und steckte den Ausweis wieder in die Tasche. Er schaute auf die Uhr. Isabella musste bald auftauchen.

      »Woher kann ich wissen, dass das eine richtige Dienstmarke ist?«, fragte sie unvermittelt, während sie weitertippte.

      Roland zuckte die Schultern. Vernünftiges Mädchen, vorsichtig zu sein war eine gute Sache. Er hoffte, sie war es auch, wenn sie sich im Internet bewegte, wo mindestens genauso viele Gefahren im Verborgenen lauerten.

      »Sie können ja eine SMS ans Polizeipräsidium schreiben und es sich bestätigen lassen.«

      Endlich schaute sie ihn an.

      »Wie heißen Sie?«, leitete er ein.

      »Nanette.«

      »Haben Sie auch einen Nachnamen?«

      »Sunds.«

      »Sie


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