Tote Vögel singen nicht. Christian Klinger

Tote Vögel singen nicht - Christian Klinger


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bis gebucht wäre.

      „Das sagst du jetzt schon seit einer Woche und schön langsam glaub ich es dir nicht mehr. Also klemm dich hinter den Computer und mach endlich die Überweisung, sonst lass ich dich hier nicht mehr raus!“

      Ich fasste sie an der Schulter und schob sie sanft weg. „Zuerst musst du mich einmal vorbeilassen, sonst kann ich nicht an den Computer in meinem Zimmer, um das E-Banking zu checken. Vielleicht braucht das ein Update“, sagte ich, wohl wissend, dass das hier kein technisches Problem war.

      Mein Büro war so eng, dass der Durchgang zu meinem Zimmer zwischen Draganas Schreibtisch und der Wand eigentlich nur Platz für einen ausgemergelten Fakir ließ. Regelmäßig streifte ich mit meinem Bauch über ihre Tischplatte. Umgekehrt hatte das den Vorteil, dass auch aufgebrachte Klienten nicht unangemeldet in mein Büro platzen konnten. Sie mussten vorbei am Zerberus, den Dragana perfekt zu verkörpern wusste.

      Dragana wich einen Schritt zurück und ich roch ihre Haut und ihr süßes Parfum. Eine Spur zu lieblich für eine Frau nach dem Wechsel, dachte ich. Mein Oberarm streifte ihren Busen. Er war füllig und weich. Es war Jahre her, dass wir regelmäßig miteinander geschlafen hatten. Damals waren ihre Brüste voll und fest wie ein aufgepumpter WM-Fußball. Sie war jetzt, trotz der vielen Falten um Mund und Augen, immer noch rassig. Sie hatte den Charme des Balkans. Schön und heruntergekommen, mit der Hoffnung auf bessere Zeiten und der standhaften Ignoranz des Umstands, dass ihre besten Jahre vorbei waren. Die in die Haare gesteckte Brille, die sie zum Arbeiten am Computer benötigte, verlieh ihr einen reifen Sex-Appeal.

      Als ich mich durch den Durchschlupf gezwängt hatte, ärgerte ich mich über sie. In solchen Momenten wollte ich sie am liebsten rauswerfen. Doch den Ärger überwog die Erkenntnis, dass ich kaum jemanden finden würde, der für so wenig Kohle mit so viel Engagement für mich arbeiten würde.

      Außerdem brachte sie einige Mandanten aus ihrem serbischen Umfeld. Alles Gauner, Schieber und Bankrotteure. Wahrscheinlich hätten diese Gestalten meiner Dienste gar nicht bedurft, weil man ihnen von offizieller Seite ohnehin selten beikam. Oder auch gar nicht beikommen wollte. Mein Beitrag, die Durchsetzung der ordentlichen Strafrechtspflege abzuwehren, war im Vergleich zur Unfähigkeit und Laschheit der Behörden gering. Denn wenn man es richtig anlegte, war fast alles möglich.

      Brauchen Sie ein Auto? Jaguar, Audi, BMW? Kein Problem, kann ich Ihnen alles billig besorgen. Die Sache läuft easy. Ich suche einen, der das Fahrzeug least, am besten über seine marode Firma. Sie kaufen es von der Firma und melden es im Ausland auf sich an. Ein Wohnsitz im Ausland ist aus steuerlichen Gründen und auch aus Gründen der Strafverfolgung immer von Vorteil. Sie erwerben gutgläubig das Eigentum und die Leasinggesellschaft verliert es. Sollte diese die Karosse wiederfinden, dann ist ihr Recht daran schon lange untergegangen. Wir machen den Kaufvertrag. Ganz wasserfest. Sie zahlen natürlich nur einen Bruchteil der aufscheinenden Summe. So haben wir alle was davon. Zwischenzeitig ist der Firmenchef, der dieses Kunststück ein paar Mal durchgezogen hat, längst in irgendeinem montenegrinischen Tal verschwunden. Offiziell habe ich natürlich nichts damit zu tun. Wer will schon mit solchen Betrügereien in Zusammenhang gebracht werden?

      Drogen kann ich Ihnen über meine afghanischen Klienten besorgen oder unangenehme Nachbarn von meinen tschetschenischen Freunden in Sachen „Nachbarschaftshilfe“ beraten lassen. Warum ich mich mit all diesem Abschaum abgebe? Ganz einfach: Ich bin Anwalt.

      Ich ließ mich in meinen Bürosessel fallen, schaltete den Computer auf meinem Schreibtisch an und überlegte, wo ich das Geld für Draganas Gehalt oder wenigstens einen Vorschuss abzweigen konnte. Ein Kollege hatte mir vorgestern eine Überweisung von knapp fünftausend Eiern avisiert. Wider Erwarten hatte ich einen Rechtsstreit gewonnen und der gegnerische Anwalt hatte mitgeteilt, dass er keine Berufung einlegen werde. Der eingeklagte Betrag sollte also schon auf meinem Konto eingelangt sein. Ich würde ihn zur Zahlung an Dragana verwenden und meinem Mandanten erklären, dass die Berufungsfrist noch offen wäre und man diese abwarten müsse. Das verschaffte mir bis zu zwei Wochen Zeit.

      Nachdem ich zweitausend Euro auf Draganas Konto und den Rest auf meines überwiesen hatte, rief ich nach ihr. Sofort tauchte ihr Oberkörper hinter meinem Bildschirm auf. „Du musst endlich die restlichen Honorarnoten schreiben und verschicken“, sagte ich. Es war an der Zeit, die Früchte meiner Arbeit einzubringen.

      „Sind alle längst erledigt.“ Sie verzog dabei keine Miene. Mit diesem starren Gesichtsausdruck sah sie aus wie die Galionsfigur an einem Schiffsrumpf.

      „Und wieso seh’ ich dann keinen Zahlungseingang am Kanzleikonto?“

      Sie zuckte mit den Schultern und sagte beiläufig: „Weil deine Klienten nie zahlen.“

      Das war das Problem mit meiner Kundschaft. Die zahlten gar nichts, nicht einmal ihren Anwalt. Und leider, so musste ich mir eingestehen, war auch das Geschäftsmodell mit den Autos noch kein durchschlagender Erfolg. Die meisten Firmenchefs setzten sich damit selbst ins Ausland ab, um sie dort zu verkaufen. Nicht einmal diese Provision gönnten sie mir. So gesehen war ich über die Einladung für diesen Abend sehr froh, denn bei so einem Event lernt man immer neue Leute kennen. Und neue Leute sind neue Klienten, sage ich immer.

       2.

      Nachdem ich zwei Stunden der Vernehmung eines rumänischen Taschendiebs im Halbgesperre des Straflandesgerichts beigewohnt hatte, war ich nach Hause gegangen, um mich frisch zu machen. Gegen 20.00 Uhr brach ich zum Volksgarten auf. Ich hatte zwar keine Ahnung, welches hohe Tier hier zu einem Fest geladen hatte, aber wichtig war, dass sich viele andere hohe Tiere dort ein Stelldichein gaben. Ich griff in die Innentasche meines Jacketts und prüfte nach, ob ich genug Visitenkarten eingesteckt hatte. „Legal advice“ und „Offshore investments“ prangte in großen Lettern darauf. Klotzen statt kleckern war hier angebracht. Diese Schlüsselworte lockten im Normalfall betuchte Klienten an wie Zuckerwasser die Wespen. Ich hoffte, dass ein paar Krösusse an diesen Begriffen picken blieben. Reichtum ist eine Sucht. Wie bei Drogen ist man trotz gesteigerter Dosis nie zufrieden und glücklich. Das kann man ausnutzen. Das Problem bei der Geldwäsche ist nur, dass die Kunden meist noch gerissener und skrupelloser sind als man selbst.

      Dennoch war ich guter Dinge. An diesem Abend wurden die Karten neu gemischt. Irgendwann würde ich auf den richtigen Idioten treffen, den ich ausnehmen konnte wie eine Weihnachtsgans. Ich ging die letzten Schritte vom Bundeskanzleramt Richtung Ringstraße, die Konturen der mächtigen Gebäude lagen in einem blauen Schleier, der die Nacht ankündigte. Es musste sich etwas nachhaltig ändern in meinem Leben und ich spürte, dass dies an diesem Abend geschehen würde.

      Eine kleine Traube von Menschen hatte sich um den Eingang gebildet. Ein Schrank von einem Türsteher prüfte die Einladungen. Er diskutierte mit ein paar Jugendlichen. Die Youngsters konnten keine vorweisen, wollten aber dennoch tanzen. Als ich von hinten kam und mit meiner Einladung in der Luft wedelte, teilte der Pitbull am Einlass für mich die Menge. Ich dachte an die Geschichte aus der Bibel: das Rote Meer und Moses und der Typ mit dem Stiernacken war Gott. Der Gott des Einlasses. Ich merkte, wie die Kids ihre Augen auf mich richteten und wie ihr Neid am 160er-Faden aus feinster Alpakawolle klebte. Ich liebte diesen Anzug, auch wenn es kaum eine Textilie gab, die mehr Tierleid schuf. Der Türsteher, dessen Oberkörper verstörende Ähnlichkeit mit HULK aufwies, öffnete mir mit einer devoten Geste die Tür. Sofort ließen hämmernde Bässe die Luft zittern. Ich drehte mich zu den Jugendlichen hin und klopfte mit der Linken in die Armbeuge meines ausgestreckten Arms. Vafanculo!

      Diese Kinder mussten noch lernen, viel lernen. Du brauchst dich nicht an die Spielregeln zu halten, aber du musst sie kennen. Meine Einladung war ja auch nicht an mich gegangen. Ich gehe seit Kurzem in ein Fitness-Studio. Es liegt am Schillerplatz und ist exklusiv. Bei einem der wenigen Anwaltstreffen, die ich besuche – leidige gesellschaftliche Ereignisse mit lauter Schnöseln –, traf ich einen Kollegen, der mir von seinem Leid berichtete: Seine Frau zwinge ihn, mehr für seinen Körper zu tun. Gesund zu essen, nicht zu rauchen und nicht zu trinken und Sport zu treiben. Daher bleibe er so lange wie möglich im Büro. Nicht um zu arbeiten, sondern um zu essen, Alkohol zu trinken und zu rauchen. Als seine Frau Lunte gerochen habe, sei er gezwungen gewesen, sich in ihrem


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