Tote Vögel singen nicht. Christian Klinger

Tote Vögel singen nicht - Christian Klinger


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mich gegen ihren weichen, aber kalten Körper und versuchte, so gut es ging, sie mit meinem eigenen abzudecken.

      „Sehen Sie nicht, dass Sie stören?“, presste ich heraus, meinen Mund auf das Gesicht der Leiche gedrückt.

      „Oh, Entschuldigung …“

      Das Zimmermädchen zog die Tür hinter sich zu und ich fragte mich, ob sie irgendetwas anderes gesehen haben mochte als zwei, die zur Sache kamen. Ich musste jetzt schnell sein. Den Plan, draußen den Brandmelder zu betätigen und dann einige Minuten zu warten, bis die Gäste das Hotel wegen des Alarms verlassen hatten, um das Zimmer in Brand zu setzen, verwarf ich wieder. So ein Feuer lässt sich schwer kontrollieren und ich würde nicht viel gewinnen, wenn ich meine Spuren vernichtete, um einen Mord, den ich nicht begangen hatte, zu vertuschen, dafür aber womöglich andere Menschen auf dem Gewissen hätte. Oder ich flüchtete vor den Flammen und zehn Sekunden später war das Feuer von der Sprinkleranlage gelöscht.

      Das brachte mich auf eine andere Idee. Sicher war die Polizei schon auf dem Weg. Ich ging zur Tür und lauschte, ob vom Gang Geräusche zu vernehmen waren. Als ich nichts hörte, verließ ich das Zimmer und nahm den Feuerlöscher, wie er in jeder Etage angebracht war, aus seiner Halterung. Ich kehrte ins Zimmer zurück und begann den Löschschaum zu verteilen. Mit Schneewittchen fing ich an. Immerhin hatte ich gerade auf ihr gelegen. Sie verschwand unter dem weißen Schaum wie eine verirrte Tourengeherin im Winter, verschluckt von Eis und Schnee. Als nur mehr die Umrisse zu erkennen waren, tat sie mir plötzlich leid. Solange ich unter Anspannung stehe, ist das Empathiezentrum in mir blockiert. Mir geht es da wie den amerikanischen GIs, die, solange sie am Kämpfen und am Töten sind, kein Mitleid empfinden und die dann nach Jahren, als Veteranen, daheim durchknallen. Jetzt musste ich weinen. Das passierte mir manchmal und ich konnte es nicht kontrollieren. Ich musste aufpassen, dass ich nicht im Gerichtssaal in Tränen ausbrach.

      Ich würde zu gern vergessen, wie es mich damals mitten in einer Scheidungsverhandlung überkommen war. Der Richter fragte sofort, ob etwas nicht In Ordnung sei, und ich musste eine Ausrede finden. Ich schützte vor, dass mir die armen Kinder unendlich leidtäten. Denn nach so einer Trennung waren sie entweder innerlich zerrissen oder sie würden als unnötiger Ballast hin und her geschoben werden. Das scheidungswütige Paar, das eben noch um die letzten stinkenden Socken gestritten hatte, fiel sich in die Arme und begann ebenfalls zu schluchzen. Die Scheidung wurde abgeblasen und ich verdiente viel weniger Geld. Das war der eigentliche Grund zum Weinen.

      Jetzt war es Schneewittchen, die meine Emotion außer Kontrolle gebracht hatte. Mir tat aber auch leid, dass ich keinen Sex mit ihr gehabt hatte. Selbst als Leiche hatte sie noch ihren Reiz. Dieser Gedanke ließ mich den Kopf schütteln. Eine nekrophile Ader in mir wäre ebenso neu gewesen wie die des Gewalttäters, aber vielleicht zweifelte der Mörder an meiner Person und hatte deshalb ihre Schamlippen vernietet, um mich vom Sex mit einer Leiche abzuhalten?

      Während ich diese Gedanken wälzte, war das Bett völlig unter der Decke aus Löschschaum verschwunden. Ich hoffte, dass ich nicht noch einen Feuerlöscher holen musste, weil der erste bald leer sein würde. Aber letztlich schaffte ich es, alles in dem Raum damit zu überziehen. Ich warf Schneewittchen einen letzten Blick zu, nahm ihre Tasche an mich, drückte dann am Gang das Glas für den Alarm ein, und während die Feuermelder ihr schrilles Pfeifen von der Decke warfen, nahm ich den Lift in die Garage. Unten fragte ich mich, wieso wir über die Garage kommen konnten, wenn wir doch mit dem Taxi zum Hotel gefahren waren.

       4.

      Vor dem Hotel reflektierten Glasscheiben die Blaulichter der Feuerwehrfahrzeuge. Ein paar Männer in Montur stampften mit schweren Schritten in die Lobby, aus der noch vereinzelte Menschen hetzten, Erstaunen und Verwunderung und vielleicht auch Angst um das in den Zimmern zurückgelassene Hab und Gut in den Gesichtern. Die Vorsichtigen hatten wohl das Wichtigste in die Bauchtaschen gestopft. Und die Raucher hatten ihre Zigaretten gerettet.

      Ich empfand ein wenig Häme, als ich zwei Pärchen in sehr leichter Montur auf dem Gehsteig ausmachte. Die blonden Damen trugen Negligés und zeigten ihre Beine und sonstigen Reize, während deren Begleiter in Schlapfen unterwegs waren. Der eine hatte eine Jogginghose an, der andere Boxershorts und ein ärmelloses Shirt, aus dem vorne wie hinten schwarz gekräuselte Haare quollen. Ich betrachtete deren Visagen und war mir sicher, dass es sich um Russen handeln musste. Eine schiefe Nase wie Putin und ein aufgedunsenes Gesicht, Zeichen für zu viele Kartoffeln. Gekocht und auch in flüssiger Form. Und so einen Pelz auf Brust und Rücken braucht man nur in Sibirien.

      Zwei Feuerwehrmänner mit Atemschutzmasken liefen an mir vorbei in die Garage. Ich drehte ab und überlegte nun, wie viel Zeit mir blieb. In gut zehn bis fünfzehn Minuten würden sie das Hotel soweit gecheckt haben, um zu wissen, dass kein Feuer ausgebrochen war. Dann würden sie den Melder prüfen, von dem der Alarm gekommen war, und die dortige Etage unter die Lupe nehmen. Das würde vielleicht zehn Minuten dauern und dann etwa weitere zehn, bis das Blaulicht der Polizei mit jenem der Feuerwehr Hochzeit feiern konnte. Eine halbe Stunde, in der ich so viel Distanz wie möglich zwischen Schneewittchen und mich bringen sollte. Es durfte keine Flucht sein, sondern es sollte wie das Bemühen, einen knappen Termin einzuhalten, erscheinen.

      Ein Polizeifahrzeug näherte sich im Einsatz. Ich zwang mich, ihm nicht nachzusehen, drehte den Kopf aber doch leicht zurück. Als sich die Tonfolge immer weiter entfernte und die Töne tiefer wurden, eilte ich etwas entspannter weiter. Der Einsatz hatte nicht dem Hotel gegolten, zumindest noch nicht.

      Am Ring, ich ging gerade am Café Schwarzenberg vorbei, in dessen Schanigarten sich die Touristen um einen Platz rauften, fiel mir ein, dass ich ja gestern mit dem Auto gekommen war. Ich hatte es noch vor dem Volksgarten geparkt. Ich ging also vor bis zur Oper, und weil ich das Gefühl hatte, ein wenig wackelig auf den Beinen zu stehen, wollte ich dort in einen Ringwagen einsteigen, um mich die zwei Stationen bis zum Volksgarten bringen zu lassen. Ein Kaffee wäre ganz gut. Ich überlegte, die Ankerfiliale in der Passage aufzusuchen, um mir einen Cappuccino im Pappbecher zu besorgen. Ich betrat die Rolltreppe und plötzlich drehten sich nicht nur deren Antriebsräder.

      Als ich die Augen aufschlug, sah ich in zwei besorgte Gesichter. Eine dunkelhäutige Frau, die ein Kopftuch über ihre Haare gebunden hatte, und ein Typ ungefähr in meinem Alter, wie ich an den silbern schimmernden Bartstoppeln auf seinen Wangen sehen konnte.

      „Haben Sie sich wehgetan? Ist Ihnen nicht gut?“

      Er reichte mir die Hand und ich sah ein Schlangentattoo auf seinem rechten Unterarm. Mit einem Ruck hatte er mir hochgeholfen. Ich musste gestürzt sein.

      „Danke“, sagte ich und putzte den Staub von meinem Jackett. Die Bewegung verursachte leichten Schmerz, aber es schien nichts gebrochen zu sein, als ich loshumpelte. Der Mann gab meine Hand frei und die Frau legte mir ihre auf die Schulter.

      „Wollen nicht besser setzen?“, fragte sie mit Akzent.

      Ich schüttelte meinen Kopf. „Es geht schon“, sagte ich. „Ich brauche nur einen Kaffee.“

      „Des glaub’ ich a“, sagte der Mann sardonisch. Offenbar sah man mir die schwere Nacht an. Seine Schlange war wieder in den Hemdsärmel gekrochen, dafür sah ich jetzt die Goldkettchen um Handgelenk und Hals.

      Wenig später saß ich in einem Zug der Linie 1. Die Hände hatte ich um den warmen Becher geschlungen. Nach einigen Schlucken fühlte ich mich wieder der Welt um mich zugehörig. Offenbar hatten mir Stress und Aufregung weit mehr zugesetzt als gedacht.

      Endlich hatte ich meinen Wagen erreicht. Ein alter 3er BMW, der nur mehr durch die liebevolle Wartung meines Mechanikers zusammengehalten wurde. Hinter dem Scheibenwischer begrüßte mich ein Liebesbrief der MA 67, der Magistratsabteilung für Parkraumbewirtschaftung.

      Mein Auto war aber nicht das einzige, das am Vorabend vor dem Club stehen geblieben war. Links und rechts von meiner Karre prangten weitere Erlagscheine an den Windschutzscheiben. Mit Ausnahme des Wagens direkt rechts neben meinem. Ich konnte mich an den grauen SUV erinnern, weil er gestern schon dagestanden hatte und ich mich darüber ärgerte, dass er anderthalb Parkplätze für sich beanspruchte. Natürlich hatte


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