Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie. Группа авторов
VERÖFFENTLICHUNGEN DER
WISSENSCHAFTLICHEN GESELLSCHAFT FÜR THEOLOGIE
(VWGTH)
Band 51
Michael Moxter (Hrsg.)
KONSTELLATIONEN UND
TRANSFORMATIONEN
REFORMATORISCHER THEOLOGIE
EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT
Leipzig
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© 2018 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
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Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.
Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig
Satz: 3W+P, Rimpar
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018
ISBN 978-3-374-05170-0
VORWORT
Der vorliegende Band ist aus der Arbeit der Fachgruppe Systematische Theologie der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie e. V. hervorgegangen. Der Herausgeber dankt den Referentinnen und Referenten zweier Tagungen, dass sie nicht nur für Vorträge zu gewinnen waren, sondern auch ihre Manuskripte im Lichte der gemeinsamen Diskussionen in Würzburg 2015 und Eisenach 2016 für die Drucklegung ausgearbeitet haben. Der Band ›erinnert‹ so Gespräche und Beiräge von Kolleginnen und Kollegen, die hier nicht mit einem eigenen Text verreten sind. Stellvertretend nenne ich Georg Pfleiderer (Basel), der mit mir die Fachgruppe geleitet und die Arbeitseinheiten moderiert hat.
Besonderer Dank gilt Laura Reinsberg, die sich als studentische Hilfskraft in Hamburg um die redaktionelle Vereinheitlichung der Manuskripte verdient gemacht hat, sowie meiner Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Anna Smith, die mit präzisem Blick für das, was anderen nicht auffällt, und überhaupt mit Rat und Tat das Entstehen dieses Bandes begleitet hat.
Der Wissenschaftlichen Gesellschaft danke ich für die finanzielle Unterstützung der Tagungen und der Drucklegung dieses Buches, der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Norddeutschland für einen zusätzlichen Druckkostenzuschuss, der eine unvorhergesehene Deckungslücke schloss. Frau Dr. Annette Weidhas und ihren Mitarbeiterinnen sei für die verlegerische Betreuung herzlich gedankt.
Hamburg, im Juli 2018 | Michael Moxter |
OPERATIVE BEGRIFFE DER REFORMATIONSDEUTUNG
ZUR EINFÜHRUNG IN DIESEN BAND
Michael Moxter
Der Begriff der Konstellationen steht im Titel dieses Bandes für die Absicht, eine Gleichsetzung reformatorischer Theologie mit dem theologischen Denken und reformatorischen Handeln Martin Luthers, sei sie explizit oder implizit, zu vermeiden. Die reformatorische Theologie umfasst Luthers Theologie, hat in dieser ihren Anstoß und Ausgangspunkt, aber sie kann mit dieser nicht identifiziert werden und muss es nicht. Es gibt die reformatorische Theologie nur als Konstellation unterschiedlicher Autoren und Reformatoren, ohne die Geschlossenheit eines gemeinsamen Programms und ohne die Möglichkeit, das sie tatsächlich Verbindende auf einen von ihnen ausschließlich zurückzuführen. Ob daraus auch schon folgt, die einzige Gemeinsamkeit sei die Opposition der Reformatoren gegen Rom, also sozusagen ihr antirömischer Affekt, wird wohl davon abhängen, wie detailgenau das Gesamtbild ausfallen soll. Denn trotz der Faustregel, dass Einigkeit in dem, was man ablehnt und bekämpft, leichter zu identifizieren ist als Übereinstimmungen in der eigenen Sache, sind inhaltliche Familienähnlichkeiten der reformatorischen Theologien durchaus beschreibbar. Sucht man nicht nach Identität in sämtlichen Lehrstücken, sondern nach geteilten Horizonten, Plausibilitätsstrukturen und praktischen Orientierungen, fällt die Bestimmung des gemeinsam Reformatorischen anders aus.
Verweist der Begriff reformatorische Theologie also auf Konstellationen reformatorischer Theologien, so gilt doch auch, dass ein solcher Begriff nicht allein historisch-deskriptiv, sondern zugleich normativ gebraucht wird und infolgedessen eventuell auch kritisch gemeint ist. Das wird vor allem dann deutlich, wenn man die Suche nach den Gehalten reformatorischer Theologie nicht allein an den Schriften der Reformatoren, sondern am Verhältnis zwischen expliziten Bekenntnistexten und der Aufgabe einer gegenwärtigen Verantwortung kirchlicher Lehre und Praxis ausrichtet. Der aktuelle Anspruch, eine reformatorische, eine nach Gottes Wort reformierte oder eine Kirche der Reformation zu sein, konkretisiert sich in der Berufung auf ein Bekenntnis – freilich unter der Voraussetzung, dass ein in allen evangelischen Kirchen formal geltender Bekenntnistext nicht zu identifizieren ist. Das lässt die Frage nach dem, was als reformatorisch gelten kann (und vor allem: gelten soll), zu einer kritischen Frage werden: Eine Antwort bedarf der Urteilskraft bzw. systematisch-theologischer Entscheidungen darüber, was an den historisch rekonstruierten (oder allererst zu rekonstruierenden) Theologien der Reformationszeit als Impulsgeber für Veränderungen wirkte oder wirken konnte und was u. U. auch heute noch unausgeschöpft bleibt, also aufgenommen zu werden verdient (im Sinne der Formel Schleiermachers: »Die Reformation geht noch fort«1). Der die gegenwärtige Lehre und Praxis orientierende Sinn fürs Reformatorische bildet sich an den überlieferten Texten und ihren gestaffelten Verbindlichkeiten für und in Bekenntniskirchen, aber er bildet sich als Wahrnehmung einer kritischen Aufgabe, die in Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsbewusstsein und Gehalten heutiger Wissenschaft steht. Solche Identifikation des Reformatorischen kann gewiss misslingen und muss dann als Entstellung des gemeinsamen Bekenntnisses abgewiesen werden. Aber die angedeutete Plastizität des Normativen bleibt auch dann erhalten, gehört es doch zum Strukturprinzip reformatorischer Theologie, Bekenntnis und Heilige Schrift (norma normata und norma normans), Bibeltext und Gottes Wort, göttliche Setzung und menschliche Tradition zu unterscheiden und sie unterscheidend aufeinander zu beziehen. Es gibt in der evangelischen Theologie keine Grundlagen, die nicht durch Leitunterscheidungen organisiert wären bzw. gebraucht würden. Reformatorische Identität bildet sich im Umgang mit Differenzierungen, in der Ausübung der Kunst der Unterscheidung. Deshalb tritt zu den in höchst-möglicher Genauigkeit zu rekonstruierenden historischen Ausgangspositionen des 16. Jahrhunderts die anders gelagerte, aber unverzichtbare Frage (man dürfte sie die Frage einer divinatorischen Interpretation im Sinne Schleiermachers2 nennen): inwiefern eine historische Position als Anfang späterer Reformentscheidungen wirken konnte und warum sie heute Fortsetzung verdient oder gegebenenfalls auch der Korrektur bedarf. Die Auskunft Ernst Troeltschs, Wesensbestimmung sei Wesensgestaltung,3 verband jedenfalls die historische Rekonstruktion mit dem systematischen Interesse an gegenwärtiger Praxis und mit aktueller Selbstkritik – eine Verbindung, deren methodisches Gewicht verspielt würde, wollte man die Frage nach dem Wesen für nichts anderes als metaphysisch halten und sie oberhalb der Geschichte zu beantworten suchen. Doch solche Wesensterminologie und -philosophie war bei Troeltsch nicht gemeint.
Geht man davon aus, dass die charakteristischen Grundzüge reformatorischer Theologie ihre Prägnanz zeigen, wenn