Sportpädagogik in 60 Minuten. Stefan König
Stefan König
Sportpädagogik in 60 Minuten
UVK Verlag · München
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„Sportpädagogik in 60 Minuten“ führt kompakt und verständlich in die Problemstellungen und Methoden dieser Teildisziplin der Sportwissenschaft ein.
Alle Titel „in 60 Minuten“: Sportpädagogik, Sportgeschichte, Sportsoziologie, Sportökonomik, Sportmedizin, Sportpsychologie, Bewegungswissenschaft und Trainingswissenschaft.
Prof. Dr. Stefan König arbeitet als Professor für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Empirische Sportpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Schwerpunkte seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit sind u. a. Schulsportforschung, Sportspielvermittlung und -training sowie Mixed Methods Research. [email protected]
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ISBN 978-3-7398-3057-5 (ePDF)
ISBN 978-3-7398-8057-0 (ePub)
Sportpädagogik in 60 Minuten
Historisch betrachtet stand die Sportpädagogik am Anfang der Sportwissenschaft, wenn man die Erzieher des ausgehenden 18. Jahrhunderts als Sportpädagogen ansieht (Grupe & Krüger, 2007; Prohl, 2010). Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren Erfahrungen und Vorstellungen einzelner Lehrer über den erzieherischen Wert von Gymnastik, Turnen oder Leibesübungen. Sie führten zunächst zu einer Aufwertung und einem pädagogischen Umgang mit Bewegung, später dann zu einer wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung und Politisierung (Prohl, 2010). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich mit der Theorie der Leibeserziehung ein erstes Theoriegebäude, das als bildungstheoretisch bezeichnet werden kann, weil es davon ausging, dass Leibeserziehung zur Gesamterziehung von Kindern und Jugendlichen gehören muss. Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung des Sports und seiner damit einhergehenden Verwissenschaftlichung wurde erstmals 1969 von der Sportpädagogik als Teilgebiet der sich ebenfalls entwickelnden Sportwissenschaft gesprochen. Heute ist die Sportpädagogik eine von vielen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen, in deren Fokus die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bildung und Erziehung in sportlichen Kontexten steht (Grupe, 1984; Grupe & Kurz, 2003). Allerdings kennzeichnet sie ebenfalls eine Nähe zur Erziehungswissenschaft (Prohl, 2013, S.6), auch wenn ihr dortiger Stellenwert als „ernüchternd gering“ (Beckers, 2001, S.25) bezeichnet werden kann und die Sportpädagogik sich eher unabhängig von der Erziehungswissenschaft entwickelt hat (Grupe, 2001, S.13).
Eine Auseinandersetzung mit der Sportpädagogik und ihres „state of the art“ ist im Rahmen einer größeren Anzahl sportwissenschaftlicher Studiengänge, aber auch vieler anderer Ausbildungen im Bereich des Sports unabdingbar, wofür folgende Gründe, Entwicklungen und Überlegungen sprechen:
Traditionell hat sich die Sportpädagogik auf den Schulsport konzentriert (Grupe & Kurz, 2003, S.527) und tut dies mit Blick auf die erzieherische Funktion von Schulsport immer noch (Fessler, Hummel & Stibbe, 2010; Serwe, 2011), sodass sie für akademisch gebildete Sportlehrkräfte zur Berufs- und Beratungswissenschaft geworden ist (Haag & Hummel, 2001; Hummel, 2012; Prohl, 1994; Prohl & Gröben, 1997).
Allerdings hat sich die Sportpädagogik auch anderen Altersgruppen und Settings geöffnet. Dies hatte und hat zur Folge, dass heute ebenso die Einflüsse von Training und Wettkampf, Gesundheit, Abenteuer, Freizeit etc. hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Erziehung und Bildung untersucht werden (Grupe & Kurz, 2003; Haag & Hummel, 2001; Prohl & Lange, 2004). Damit wird sie zum Inhalt von Bachelor- und Master-Studiengängen unterschiedlichster Schwerpunkte und Profilierungen.
Schließlich bezeichnet die Sportpädagogik sowohl pädagogisches Handeln und sportpädagogische Praxis als auch das Reflektieren über diese sportpädagogische Praxis in wissenschaftlichen Diskursen (Grupe & Krüger, 2007, S.17). Damit ist letztendlich die Absicht verbunden, sportpädagogische Praxis zu verbessern. Insofern sind die Sportpädagogik und ihre Erkenntnisse auch für alle praktischen Tätigkeiten, wie Unterrichten, Trainieren und Lehren, von Bedeutung.
Die Sportpädagogik ist folglich aus ihrem ursprünglichen Schatten einer reinen Schulsportorientierung herausgetreten und befasst sich in der Zwischenzeit mit nahezu allen Bereichen des Sports. Deshalb kann sie die Bearbeitung ihrer zentralen Fragestellungen nach Erziehung und Bildung in sportlichen Kontexten nicht allein aus sich heraus vornehmen, sondern muss auch Ergebnisse aus anderen sportwissenschaftlichen Disziplinen, z.B. der sportpsychologischen Lernforschung (Schmidt & Conzelmann, 2011; Tietjens, Ungerer-Röhrich & Strauß, 2007), der trainingswissenschaftlichen Belastungsforschung (König, 2011; Thienes & Baschta, 2016) oder der bewegungswissenschaftlichen Motorikforschung (Lutz, 2018; Scherer, 2015), aufnehmen und diese mit Blick auf deren Auswirkungen auf Bildung und Erziehung diskutieren (Grupe & Kurz, 2003, S.527).
Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Sportpädagogik beschäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind.
Sie erkennen, wie die Sportpädagogik entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihrer Mutterwissenschaft bestehen.
Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Sportpädagogik kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Sportpädagogik den für sie relevanten Phänomenen und Themen nähert, welchen Problem-/Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei typischerweise zum Einsatz kommen.
Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Sportpädagogik zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungsergebnissen beimisst.
1 Einführung – Phänomene und Themen der Sportpädagogik
Blickt man aus heutiger Sicht auf die Sportpädagogik als Teildisziplin der Sportwissenschaft, können ihre Grundfragen und Aufgaben in Anlehnung an Prohl (2010, S.13–15) in einem ersten Schritt folgendermaßen umrissen werden:
Die Sportpädagogik begründet ihr wissenschaftliches Tun in der philosophischen Lehre vom Menschen, der Anthropologie, deren Vorannahmen – etwa in Form von Menschenbildern – jegliche erzieherische Entscheidung beeinflussen.
Sie orientiert sich einerseits an Theorien und Themen der Erziehungswissenschaft, arbeitet andererseits aber auch mit dem Methodeninventar der Sportwissenschaft.
Sie versucht, die Sportdidaktik als Theorie des Lehrens und Lernens sowie des Sportunterrichts zu beraten.
Vor diesem Hintergrund ist zum einen eine bildungstheoretische Perspektive der Sportpädagogik in den Blick zu nehmen. Diese wird in der Regel als normativ bezeichnet und befasst sich mit der Frage, welchen spezifischen Beitrag die Bewegungskultur zur Bildung des Menschen leisten kann. Diese Perspektive war und ist untrennbar mit der geisteswissenschaftlichen Pädagogik verbunden (Grupe & Krüger, 2007, S.26; Gudjons, 2008, S.30–32; Prohl, 2010, S.17–18). Seit einigen Jahren erlebt sie im Rahmen der Diskussion um den Auftrag des Schulsports wieder