Das Kind vom anderen Stern. Ross Welford
erst mal die Unterschiede ins Auge.
Der Hauptunterschied ist wohl, dass wir viel, viel klüger sind als ihr. Wenn das unhöflich klingt, tut es mir leid, aber das ist eine Tatsache und Tatsachen sind wichtig. Für uns seid ihr so intelligent wie Iggys zahmes Huhn für euch. Deshalb finden die meisten von uns auch nichts dabei, euch im Zoo zu halten.
Mein Zuhause – mein Planet – liegt so weit entfernt, dass es in Kilometern ausgedrückt den Rest der Seite füllen würde. Die Zahl beginnt mit 950, dann folgen lauter Nullen:
950 000 000 000 000 000 000 …
… und so weiter bis zum Seitenende und vielleicht noch weiter. Bei so einer Zahl denkt man natürlich, uns würde bloß die räumliche Entfernung trennen, aber das sehen wir anders. Wir berechnen auch die Zeit mit ein (Raum und Zeit hängen nämlich zusammen, wie euer Albert Einstein schon vor über hundert Jahren herausgefunden hat). Außerdem ermöglicht uns die quantenmechanische Intra-Universalverschiebung »schneller als das Licht« zu reisen, was so aber in Wirklichkeit gar nicht zutrifft. Hat eher was mit Dimensionen zu tun, allerdings ist das für euch vorerst noch zu kompliziert. Ehrlich gesagt, verstehe ich es selbst nicht mal ganz, auch wenn ich das sonst nie zugebe.
Das ist ungefähr so, als würde ich euch bitten, mir euren Fernseher zu erklären. Könntet ihr auch nicht, oder? So geht es mir mit der Intra-Universalverschiebung. Ich benutze sie und verlasse mich darauf, ohne alle Einzelheiten zu kennen.
Unsere Welt ist sauber. Wir verfügen über unbegrenzte Energiequellen, die nichts verschmutzen.
Bei uns gibt es keine Konflikte. Und wir führen auch keine Kriege, denn wir haben alles, was wir brauchen, und der Mentor trifft für uns die Entscheidungen.
Bei uns gibt es keine Krankheiten, so war es auch schon vor dem Großen Brand, bei dem ein planetenweites Feuer Jahrzehnte gewütet und fast alles zerstört hat.
Wir sind die einzigen Lebewesen auf Anthalla, fast alle Tiere wurden schon vor Jahrhunderten erfolgreich ausgerottet, die restlichen kamen beim Großen Brand um. Die Funktionen, die einige niedere Wesen ausgeübt haben (wie das Zersetzen von Abfall und die Wachstumsförderung von Getreide), werden seither effektiv, sicher und hygienisch von synthetischen Robotern ausgeführt.
Im Vergleich zu euch haben wir ein kurzes Leben. Dreißig Jahre, gemessen an den Umdrehungen eurer Erde um eure Sonne, ist für uns alt, älter werden wir nicht.
Mit elf Jahren liegt schon ein Drittel meines Lebens hinter mir. Die Schule habe ich mit sieben beendet und lebe seither auf mich allein gestellt.
Heißt, mit elf Jahren bin ich quasi erwachsen, wie ihr sagen würdet.
Ich habe also als erwachsene Elfjährige euren Planeten besucht. Und zwar eine kleine Siedlung auf einer Insel namens Großbritannien.
Ein gefährliches Unterfangen. Und zwar nicht wegen der Intra-Universalverschiebung (»Raumfahrt« heißt es wohl bei euch). Das ist nichts Besonderes, auch wenn es der Mentor strengstens verboten hat. Nein, das Gefährliche daran war der Grund, aus dem ich zu euch gekommen bin.
Ich hatte nämlich eine Mission.
Die hochgradig gefährliche Mission, ein Mädchen aus einem Menschenzoo auf unserem Planeten, der zig Zillionen Kilometer entfernt liegt (die Zahl kommt von Iggy), zu retten und nach Hause zu bringen.
Wenn es mir nicht gelang – wenn ich also erwischt wurde –, würde ich wohl für den Rest meines Lebens in Schlaf versetzt werden. Das Menschenmädchen würde in seinem winzigen Gehege qualvoll sterben und seine Eltern und sein Bruder würden den Rest ihres Lebens in Elend verbringen. Das war etwas, das ich nicht zulassen konnte.
Und zwar, weil ich ein Herz habe, ein Herz und somit Gefühle.
Umso schlimmer, dass es mir nicht gelang, das Mädchen zu retten, und ich schließlich allein zur Erde gereist bin.
Ihr seht also, es ging schon mal nicht gut los mit meiner Mission …
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