Der Eine und der Andere. Walther von Hollander

Der Eine und der Andere - Walther von Hollander


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      Walther von Hollander

      Der Eine und der Andere

      Zwei kleine Romane

      Saga

      Der Eine und der Andere

      © 1925 Walther von Hollander

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711474532

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Tatjana

      Eine Liebesgeschichte unter Emigranten

      1.

      Es ist eigentlich ein Rätsel, wie es den Tausenden von Emigranten, die in den Jahren 1918 und 1919 in das vollgestopfte Berlin flüchteten, gelingen konnte, ein Unterkommen zu finden. Aber es hat doch wohl selten einer in den Asylen oder unter den Stadtbahnbögen schlafen müssen. Die meisten erwischten nach ganz kurzer Zeit einen behelfsmässigen Unterschlupf, und nach Ablauf spätestens eines halben Jahres hatte sich auch der Durchschnitt in irgendeiner Form einer Wohnung oder einer halben Wohnung bemächtigt. Da hauste man zwar eng und bedrängt, aber man hatte „doch wenigstens vier Wände um sich“, die man mit ein paar geretteten Familienbildern behängen konnte und zwischen denen besonders die ältere Generation mit rührender Geduld und Ausdauer bemüht war, den für immer abgerissenen Faden der Tradition fortzuspinnen.

      Man legte den grössten Wert darauf, den äusseren Lebensstil, so sehr es gehen mochte, den früheren Lebensgewohnheiten anzugleichen. Zumeist kam dabei nur heraus, dass man immer und immer wieder sich des schmerzlichen Unterschiedes bewusst werden musste, und das hat dann jene merkwürdige Emigrantenmischung hervorgebracht: viel Hochmut, ein bisschen Angst, ein bisschen Scham, ein bisschen Hunger und Begehrlichkeit und das Ganze gewissermassen auf Eis gelegt oder besser hoffnungslos eingefroren.

      Die Familie v. Kranebitter gehörte dem baltischen Teil der Emigranten an, die es sprachlich leichter hatten als ihre russischen Leidensgenossen. Dafür hatten sie schwer an der Enttäuschung zu tragen, dass sie „im Reiche“ mehr als lästige Bettler denn als Mitbürger behandelt wurden (über Schuld und Nichtschuld der Balten und der Reichsdeutschen sei in diesem Zusammenhange geschwiegen), und ausserdem wurden sie in den ersten zwei Jahren ständig von der Angst gequält, es könne sich auch in Deutschland der Bolschewismus festsetzen, der ihnen in der Fremde und in der Wiederholung noch schrecklicher erschien als in der Heimat.

      v. Kranebitters waren an einem frostkalten Januartage des Jahres 1919 in Berlin angekommen. Da die beiden ältesten Söhne Paul und Bernhard v. Kranebitter unter Awalow-Bermont in der Weissen Armee kämpften (später liessen sie sich als Siedler in der Ukraine nieder), da Jula, die einzige Tochter, mit ihrem Manne, dem praktischen Arzt Kröger, schon im November 1918 vorausgeflohen war, bestand die ankommende Familie ausser unserem Egbert v. Kranebitter nur noch aus seiner Mutter, der fünfundsechzig-jährigen Frau Emma v. Kranebitter, geborenen v. Holl, und ihrer siebzig Jahre alten Schwester, dem Fräulein Lisa v. Holl. Die Unzertrennlichkeit dieser beiden Schwestern war sprichwörtlich. Hatten sie doch, abgesehen von den beiden ersten Ehejahren der Kranebitters, ihr ganzes Leben miteinander verbracht, so zwar, dass Frau v. Kranebitter immer zu ihrer älteren Schwester aufblickte und sie in jeder Angelegenheit um Rat anging, wodurch dann die Familie einem nicht immer bequemen Orakel unterworfen war. „Tante Lisa meint ...,“ das hiess nichts anderes als: eine Sache wird so und so gemacht; und man muss zugeben, dass Fräulein v. Holls Meinungen meistens klüger und sachlicher waren als die Klarlegungen gewichtiger Männer der Familie. Etwas zu häufig rühmte sie die „Hollsche“ Intelligenz, der gegenüber die „Kranebittersche“ Schwerfälligkeit besonders peinigend wirkte.

      Kurzum: da Egbert v. Kranebitter bei der Ankunft in Berlin erst einundzwanzig Jahre zählte – ein bei den Balten noch nicht sehr angesehenes Alter – musste Fräulein Lisa v. Holl durchaus als das Haupt der kleinen Familie gelten, die nun mit geringen Erwartungen und einem noch geringeren Barvermögen die verwirrte und verarmte Hauptstadt der deutschen Republik betrat. Und es war bezeichnend für den Vermögensstand der Flüchtlinge, dass das erste Wort auf dem Bahnsteig nicht den wartenden Verwandten und Bekannten galt, sondern eine Unisonofrage war: „Habt ihr noch?“ Dabei fassten sie alle drei vorsichtig auf ihrer Brust umher, um festzustellen, dass da die Leinenbeutel noch hingen, die einen Teil des Familien schmuckes enthielten. Man war so – stellte Tante Lisa aufatmend fest – für die erste Zeit vor dem Schlimmsten sicher.

      Die ersten drei Monate brachte man bei Krögers zu. Mutter und Tochter schliefen in einem Bett, Egbert und sein Schwager Kröger in einem anderen Bett, während Tante Lisa auf einer „Couchette“ im Speisezimmer übernachtete, einer knochenharten Lagerstatt, der das alte Fräulein aber noch härtere Knochen entgegensetzte. Schlimmer als diese Enge war die unausweichliche Klarheit, mit der man nun die geringen Aussichten der Gegenwart und Zukunft übersah, und besonders quälend für die ohnehin überanstrengten Nerven war der pausenlos dauernde Streit zwischen Egbert und seiner Schwester. Hier konnte man von einer „natürlichen Abneigung“ sprechen. Denn diese Geschwister hatten wohl in ihrem ganzen Leben sich gegenseitig kein freundliches Wort gegönnt. Ja, diese Abneigung war gewissermassen sakrosankt, und weder Mutter noch Tante bemühten sich, hier eine Änderung herbeizuführen oder auch nur einen Waffenstillstand anzubahnen.

      Man war aber jedenfalls schon aus diesem Grunde froh, dass Fräulein v. Holl im März eine Dreizimmerwohnung ausfindig machte, deren Inhaberin, ein Fräulein Wilke, sich gegen freie Station und ein Taschengeld in das kleinste Zimmer zurückzog, während ein grosses Zimmer, das Berliner Zimmer und eine kleine Kammer, die nach dem Hof zu ging, der Familie v. Kranebitter überlassen blieben.

      Die Wohnung lag in der Courbièrestrasse, einer der dunkelsten und unwirtlichsten Strassen im alten Westen, die mit ihren schmutzigen und verwahrlosten Ziegelhäusern schon sehr früh die Spuren der Inflation zeigte. Um zu der Wohnung zu gelangen, musste man den ganz von Häusern umschlossenen Hof überqueren, in dem Wielands Büste unter dem Schatten einer mageren Trauerweide langsam verrusste, musste in einem durch bunte Scheiben künstlich verdunkelten Flur zwei recht ausgetretene Treppen hinauf und gelangte schliesslich nach heftigem Klopfen (die Klingel funktionierte eigentlich nie) in die Wohnung.

      In der Wohnung selbst fehlte vor allem das elektrische Licht, das man „bei uns in Schledden“ gerade angelegt hatte, als der Krieg kam. Es fehlte das Bad, das in Schledden auch gefehlt hatte, es fehlte ein ordentliches Bett für Egbert, der auf einem wackligen und viel zu kurzen Diwan schlafen musste, und es fehlte nicht an Streitigkeiten mit Fräulein Wilke, der vor allem die baltische Küche nicht zusagte und die ihrem gepressten Herzen in unverfälschtem Berlinisch sowie ihrem gepressten Magen in unverfälschten Naturlauten Luft machte. Das alte Fräulein v. Holl musste oft seufzend zugeben, dass man mit dem baltischen Dialekt gegen die „Berlinerin“ nicht ankäme. Im ganzen aber und vor allem im Vergleich mit vielen ihrer Landsleute, ja sogar mit vielen Reichsdeutschen, konnten die beiden alten Damen mit ihrer Unterkunft schon zusrieden sein, und wenn auch ihr Schlafzimmer beinahe ebenso trostlos war wie Egberts Kammer, so war doch das Berliner Zimmer, aus dem sie einen Arbeits- und Empfangsraum gemacht hatten, recht gemütlich. Ja, die Kranebitterschen „Jourfixe“, an denen als städtischer Notwendigkeit man eisern festhielt, waren wegen dieser Gemütlichkeit stets überfüllt.

      Schwieriger als die Wohnungsbeschaffung war für die kleine Familie die Beschaffung eines einigermassen ausreichenden Einkommens, und im ersten Jahre lebte man grösstenteils vom Verkauf des Schmucks, wenn auch Egbert hier und da aus dem Ertrag gelegentlicher Arbeit oder Fräulein v. Holl aus dem Verkauf einer ihrer berühmten Knüpfarbeiten etwas beisteuern konnten.

      Egbert hatte von Anfang an seine Ingenieurstudien wieder aufgenommen,


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