Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

Chronik eines Weltläufers - Hans Imgram


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      CHRONIK EINES

      WELTLÄUFERS

      DIE REISEN

      VON OLD SHATTERHAND

      ALIAS KARA BEN NEMSI

      AUS DEN TEXTEN KARL MAYS ZU EINEM

      REISETAGEBUCH ZUSAMMENGESTELLT

      UND ERGÄNZT

      VON

      HANS IMGRAM

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      KARL-MAY-VERLAG

      BAMBERG • RADEBEUL

      Bedeutung der unterschiedlichen Schriftarten:

      Adobe Garamond kursiv:

      Text aus Karl May’s Gesammelten Werken

      Adobe Garamond:

      verbindender Text zu Schilderungen in den Gesammelten Werken

      Arial:

      eigene Einschübe des Verfassers zu Reisen, bei denen kein Karl-May-Text vorlag, bzw. erläuternde Hinweise

      Arial kursiv:

      Einleitung zu In Mekka von Franz Kandolf

      Herausgegeben von Bernhard Schmid

      © 2015 Karl-May-Verlag, Bamberg

      Alle Urheber- und Verlagsrechte vorbehalten

      Deckelbild:

      Kostümfotos von Karl May: Alois Schießer, Max Welte

      Kolorierung und Artwork: Torsten Greis / pinta

      ISBN 978-3-7802-1624-3

       www.karl-may.de

INHALT

      ICH – Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi

      Wer bin ICH?

      ICH bin der Abenteurer und Weltläufer Karl May, nicht zu verwechseln mit dem Schriftsteller Karl May, der nur mein geistiger Vater war. Er hat mich erschaffen, da er nie das war, das sein und das vollbringen konnte, was er in seinen Gedanken mit mir, seinem zweiten ICH, zu tun vermochte. ICH war der ‚Superman‘, der Held, der eine riesige Körperkraft besaß und der nicht nur viele Sprachen beherrschte, sondern auch gleichzeitig ein Gelehrter und Mediziner war. ICH ragte über die gewöhnliche Größe hinaus, war aber keineswegs ein Riese.1

      Als er mich 1860 auf meine erste Reise nach Amerika schickte, hatte ICH bereits studiert, hatte mir außerordentliche Kenntnisse (z. B. Feldmesserei) und Fertigkeiten (Schießen, Reiten, Fechten) angeeignet und beherrschte mehrere Sprachen, darunter auch das Arabische, denn der Professor, der mein Lehrer im Arabischen war, galt für den größten Arabisten Deutschlands.2 ICH studierte Hebräisch, Aramäisch, Griechisch, um die Heilige Schrift im Urtext zu lesen. ICH studierte den Koran, die Vedas, den Zaratustra und Cong-futse.3 ICH müsste also älter als der Schriftsteller Karl May sein, bin es aber nicht, denn ICH zählte achtzehn Jahre, als ich über die See nach Amerika kam4, weil unerquickliche Verhältnisse in der Heimat, der Wunsch, meine Kenntnisse zu erweitern, und ein angeborener Tatendrang mich über den Ozean in die Vereinigten Staaten getrieben hatten5, wo ich Winnetou kennenlernte. Wenn man das Leben des Schriftstellers kennt, so konnte er nie ICH sein, denn sein Leben verlief ganz anders, als er es in seiner Fantasie ausleben konnte. Mit mir reiste er in die weite Welt, mit mir erlebte er das, was sich einer nur wünschen konnte, der das Fernweh und die Abenteuerlust in sich verspürte. –

      Bekannt wurde ICH als Old Shatterhand und als Kara Ben Nemsi in Karl May’s Gesammelten Werken. Der Schriftsteller Karl May war nicht Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi, wie seine Leser glaubten, weil er mir seinen Namen, nämlich auch Karl May, gegeben hatte. Und weil seine Leser glaubten, dass er selbst der Held seiner Erzählungen sei, glaubte er es letztendlich auch. Und er musste es ihnen beweisen, indem er Bilder von Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi anfertigen ließ, in deren Kostüm er geschlüpft war, und er erzählte seinen begeisterten und manchmal auch enttäuschten Zuhörern, dass er alles selbst erlebt habe. Warum betrieb er nur diese Maskerade und diese ‚Märchenstunden‘, denn sein klarer Menschenverstand musste ihm doch sagen, dass er vom Wuchs, von seiner Körperkraft, von seinem sächsischen Dialekt und auch von den Sprachkenntnissen her niemals diese beiden Figuren ausfüllen konnte? Also musste ICH ein anderer sein als dieser Karl May, obwohl ICH denselben Namen trug. –

      Und noch etwas: Die Konfession Karl Mays war evangelisch-lutherisch, mich aber ließ er als Katholiken durch die ganze Welt reisen. ICH bezeichne mich nicht als fromm, aber ICH besaß einen fundierten christlichen Glauben, den ICH überall vertreten konnte. –

      Doch eines muss ICH noch sagen: ICH bin dem Autor Karl May für seinen Old Shatterhand und für seinen Kara Ben Nemsi sehr dankbar, denn ohne ihn gäbe es sie nicht, also gäbe es auch mich nicht. Und die Welt wäre ohne meine fantastischen Abenteuer ein kleines bisschen ärmer, denn er hat ganze Generationen mit seinen Büchern begeistert.

      Reise-Erzählungen und Reise-Tagebuch

      Der Schriftsteller Karl May hat mich fast durch die ganze Welt reisen und Abenteuer bestehen lassen, doch er tat das ganz wahllos, ohne bestimmtes Zeitgefüge. Manche dieser Reise-Erzählungen beginnen oder enden anders, als ICH sie erlebt habe. Einige meiner Reisen hat er nur angedeutet, ohne einen eigenen Bericht darüber zu schreiben; manche frühere Abenteuer hat er erst nachträglich in spätere Erzählungen eingeflochten. ICH musste jetzt im Nachhinein lange überlegen, wann ICH wo war und wie meine Erlebnisse zusammengehören, die er oft nur als Einzelgeschichten ohne näheren Zusammenhang aufgeschrieben hatte und die dann in verschiedenen Zeitschriften gedruckt wurden. Das kam sicher daher, dass er am Anfang noch nicht recht wusste, was er mit mir wollte. Als er dann später die Gelegenheit gehabt hätte, das in der Buchausgabe in die richtigen Bahnen zu lenken, nahm er sich nicht die Zeit dazu. Doch jetzt kann ICH das alles in meinem Reise-Tagebuch richtig stellen. Wer dieses liest und dann mit den Reise-Erzählungen vergleicht, wird hin und wieder auf Widersprüche im Handlungsablauf stoßen, eben weil Karl May meine Erlebnisse nicht chronologisch aufgeschrieben und sich dadurch manchmal geirrt hat. –

      Wer den geistigen Wandel im Schaffen des Autors nicht kennt, wird sicher erstaunt sein, dass meine neunte Orientreise plötzlich in Basra endet und nicht, wie beabsichtigt, nach Persien fortgesetzt wird. Das hat folgenden Grund: Hinter Basra ließ mich Karl May plötzlich mitten in der Gegend stehen und kümmerte sich nicht mehr um mein Abenteuerleben. ICH war ihm vollkommen egal geworden, denn sein Denken erfuhr nach seiner persönlichen Orientreise einen totalen Wandel: Er wurde zum Mystiker, zum Symbolisten, zum Philosophen.6 Er schuf eine andere, eine mystische Gestalt, der er aber genau denselben Namen gab wie mir, nämlich Kara Ben Nemsi, und die er bei seiner persönlichen Reise nach Nordamerika auch Old Shatterhand nannte. Aber dieser ‚neue‘ Kara Ben Nemsi und dieser ‚neue’ Old Shatterhand bin nicht ICH – das ist ein ‚Edelmensch‘, der mit mir, dem Abenteurer und Weltläufer, nichts zu tun hat. Das möchte ICH gleich zu Beginn meines Reise-Tagebuchs festhalten, damit kein Leser glaubt, ICH würde einen Teil meines Lebens und meiner Reisen unterschlagen.

      Reise-Tagebuch

      0. IN AMERIKA (1854)

      Nachtrag zu meinem Reise-Tagebuch, Sommer 1854:

      Ob man es mir glauben wird oder nicht: Ich war schon während meiner Schulzeit in Amerika! Natürlich ist damit nicht der Kontinent Amerika gemeint, sondern die Ansiedlung eines Spinnereibetriebes, die teils zu Penig, teils zu Arnsdorf in der Amtshauptmannschaft Rochlitz gehörte. Der Sohn unseres Nachbarn arbeitete in der dortigen 1836 gegründeten Kattunfabrik. Er hatte da eine Braut und wollte demnächst heiraten. Da er von zu Hause von seinen Eltern als Aussteuer Bettgestell, Strohsack, Zudecke und einige andere Gegenstände bekam, sollten diese auf einem kleinen Leiterwägelchen zu ihm hingeschafft werden.


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