Zum weißen Lamm. Roman aus Südtirol. Rudolf Stratz

Zum weißen Lamm. Roman aus Südtirol - Rudolf Stratz


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      Zum weißen Lamm

      Roman aus Südtirol

      Saga

      Zum weißen Lamm. Roman aus Südtirol

      © 1901 Rudolf Stratz

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711507018

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Erstes Kapitel

      „Zum letztenmal, lieber Lammwirt ... ich bitte Sie ... nein ... ich verlange es jetzt ... ich fordere es mit allem Nachdruck, dass das richtige ‚ss‘ endlich auf Ihr Schild gemalt wird! Ich kann das nicht mehr sehen. Vorigen Herbst haben Sie mir feierlich versprochen, im Laufe des Winters für das ‚z‘ zu sorgen! Und wie ich diesen Sommer wiederum mit meinem Kofferchen um die Ecke rolle, was muss ich mit Schrecken und Widerwillen von neuem lesen? Gasthaus ‚Zum weisen Lamm‘! ...“

      Der Lammwirt schwieg. Er war ein Freund des Alten. Seit seines Grossvaters Zeiten waren die Fremden erst einzeln, dann in Trupps, schliesslich in ganzen Scharen im Tal von St. Lukas in der Öd erschienen, um den spitzen Firngipfel des trotzigen „Wilden Dirndls“ zu bewundern. Die Fremden hatten über das zähe Rindfleisch und die Bedienung im „Weisen Lamm“ gejammert und waren dann im nächsten Sommer wiedergekommen. Als Gäste mussten sie etwas zu bekritteln haben. Entzog man ihnen das, so blieben sie am Ende aus! Drum liess man nach der Meinung des Lammwirts besser alles wie es war.

      Aber Dr. Martin Siebenpfeiffer war diesmal nicht so leicht zu versöhnen. „Sie wissen ja gar nicht“, fuhr er fort, „was Sie einem Schulmann wie mir mit dieser Verhöhnung aller Vernunft, Orthographie und Logik durch dieses täglich auf mich niedergrinsende ‚Weise Lamm‘ antun! Es gibt mir jedesmal einen Stich ins Herz, wenn ich morgens dies niederträchtige Wappentier da oben schaue! Es kribbelt mir in den Fingern ... und kurz und gut: So geht’s nicht weiter!“

      Der Lammwirt schwieg noch immer, und die Bergführergilde von St. Lukas, die um ihn in der Sommermittagsglut vor dem Gasthof stand, zwinkerte sich verstohlen zu. Laut zu lachen wagten sie nicht – denn Martin Siebenpfeiffer war immerhin eine Respektsperson, der Vorstand jener Sektion des Alpenvereins, die dort oben am Fuss des „Wilden Dirndls“ die neue Törlihütte gebaut hatte und morgen einweihen wollte, aber im geheimen lächelten der Schneiderwastel und der Poschtummer; der Huferer-Hansjörgl sog emsig mit eingeklemmten Lippen an seiner Pfeife, der Kuprian hustete in seinen schwarzen Vollbart, der Matz-Anderl und der äussere Lakner starrten in die Ferne, als wollten sie an dem schneeweiss vor dem tiefblauen Himmel stehenden gigantischen Zuckerhut des „Wilden Dirndls“ die Gemsen zählen; ja selbst über die braunen, adlerkühnen Züge Antonio Tavernaros, des berühmten, von auswärts gekommenen Dolomitenführers, lief ein düsteres Lächeln bei dem ihm unverständlichen Wortschwall des kleinen, dicken und bebrillten Herrn.

      Der hatte inzwischen seinen Herbergsvater am Hirschhornknopf seiner Lodenjoppe gepackt. „Glauben Sie mir!“ sprach er eindringlich. „Ein Lamm ist nicht weise, bester Lammwirt! Es wird erwachsen zum Schaf und führt seinen Namen mit Recht. Weiss, mit ‚z‘, Liebster, weiss ist das Lamm oder sollte es wenigstens sein! Also geben Sie der Vernunft Gehör und machen Sie dem Greuel ein Ende. Was liegt schliesslich an einem ‚z‘ mehr?“

      Der Lammwirt sah, dass er sprechen müsse, und sann nach einem neuen Vorwand. Denn die alten Beschwichtigungsmittel von der zerbrochenen Leiter, dem erkrankten Anstreicher, dem grilligen Herrn auf Nummer sieben, der keinen Handwerker vor seinem Fenster leide, waren schon längst verbraucht. Es musste schon eine faustdicke Lüge werden, die er am nächsten Sonntag dem hochwürdigen Herrn Kuraten im Beichtstuhl bekennen würde. Aber als er eben den Mund öffnen wollte, legte es sich ihm erlösend wie eine Bärentatze auf die Schulter, und eine tiefe Stimme fragte: „Sagen Sie mal, Verehrtester, haben Sie etwa eine junge Dame gesehen?“

      Die beiden drehten sich um. Da stand, einem Bergwägelchen entstiegen, ein hünenhafter, breitschulteriger Bergsteiger, auf eine überlebensgrosse blinkende Eisaxt gestützt. Er wiederholte, diesmal auf Martin Siebenpfeiffer blickend, seine Frage: „Haben Sie etwa eine junge Dame gesehen?“

      „Oh, schon mehrere!“ sagte Siebenpfeiffer betroffen. „Eine ganze Anzahl schon. Es fragt sich nur, wann?“

      „Heute? Hier! Jetzt eben!“

      „Da müssten wir doch systematisch vorgehen, verehrter Herr“ – Martin Siebenpfeiffer runzelte nachdenklich die Stirne –, „und zunächst Art und Erscheinung der fraglichen jungen Dame feststellen – ob gross oder klein – ganz jung oder noch so weit jugendlich, hübsch oder weniger durch Äusserlichkeiten bestechend ...“

      Der Bergsteiger zuckte verächtlich die beiden Schultern. Der Gedanke, dass man in solcher Hast einer kleinen, alten Dame nachjagen könne, schien ihm lächerlich zu sein.

      „Sehr gross!“ sagte er nachdrücklich. „Sehr schlank! Sehr hübsch! Ist sie hier oder nicht?“

      Martin Siebenpfeiffer schüttelte wehmütig den Kopf. „Sehr gross sind die beiden Damen Pinkerton schon, die schottischen Bergsteigerinnen, die wir hier haben. Und Fräulein Mohr, die neben mir wohnt, ist schon mehr wie schlank! Aber hübsch ... sehr hübsch sogar, wenn ich Sie recht verstanden habe ...“

      „Ach was ... schön!“

      „Schön! Nein, Verehrtester ... nein ... nein ... Ist nicht! Sie finden alle mögliche Weiblichkeit hier – dick und dünn, jung und alt, herb und milde – alle Jahrgänge – aber eine Schönheit – das führen wir im ‚Weisen Lamm‘ nicht auf Lager! ... Leider!“

      „Ja, wo kann sie denn dann hin sein?“ murmelte der Mann vom Berge. „Hier hat doch der Talboden ein Ende. Hier hört doch die Weltgeschichte auf! In den Schnee kann sie doch nicht hinaufgeklettert sein! Im Strassenkleid, allein ... und mit Lackstiefel!“

      Martin Siebenpfeiffer schien das ein kaum denkbares Beginnen, und der Lammwirt pflichtete bei. Aber der alte Kutscher auf dem Bock brummelte etwas von „söllem Fräulein“ vor sich hin, als ob ihm bei der auch eine Gletscherwanderung in Lackstiefeln nicht völlig ausgeschlossen erschiene.

      Und auch sein Fahrgast war in Zweifeln. „Wenn sie in den Schnee hinauf ist“, rechnete er finster vor sich hin, „dann hat sie vier ... fünf ... sechseinhalb Stunden Vorsprung und ist schon drüben überm Törlijoch. Und jetzt ist der Schnee zu weich von der Sonne. Man kann ihr nicht nach!“

      Die Bergführer nahmen stumm die Pfeifen aus dem Mund und zuckten die Achseln über die verrückte Idee des fremden Herrn, dass eine einzelne Dame sich droben im Schnee herumtreiben könne. Und der Matz-Anderl, ein hübscher junger Bursche, der, wie so viele seiner Tiroler Genossen, im steten Verkehr mit unerfahrenen Sommerfrischlern, Damen und Kindern, dummdreist geworden war, ergriff das Wort. „Da san S’ der Rechte!“ lachte er spöttisch. „... wann S’ dös glauben!“

      Der fremde Bergsteiger sah ihn an. „Mir scheint, junger Mensch“, sagte er, „Sie gehören noch zu jener Sorte ungeschliffener Edelsteine, denen man die Worte: ‚frech, faul und gefrässig‘ ins Führerbuch schreiben müsste. Verdient hätten Sie’s! Und darunter meinen Namen! Ulrich Schneevogt!“

      „Ulrich Schneev ...“ Siebenpfeiffer erstarb das Wort auf den Lippen, rings in der Runde lüfteten sich plötzlich all die Wetterhüte mit Edelweiss und Spielhahnfeder und Gemsbart. Der alte Rastbauer lachte freundlich wie ein Kind, und des Matz-Anderls braungebrannte Wangen färbten sich dunkelrot vor Verlegenheit.

      „Schneevogt?“ wiederholte Martin Siebenpfeiffer in andächtigem Ton. „Sie sind es ... Ich meine ... Sie sind unser Schneevogt – der berühmte Schneevogt ...“

      „Lieber


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