Eliza. Rudolf Stratz

Eliza - Rudolf Stratz


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      Rudolf Stratz

      Eliza

      Saga

      ElizaCover Bild: Shutterstock Copyright © 1928, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507285

      1. Ebook-Auflage, 2019

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      1

      Auf dem wasserpolackischen Marktplatz spritzte der Dreck unter dem Galopp eines Gauls. Die roten Röcke der flüchtenden Weiber flogen. Die Schafpelze der Bauern strudelten untertänig zur Seite. So rücksichtslos ritt nur ein grosser Herr.

      Der fremde Herr hatte den obersten roten Riesenkragen seines blauen Reitfrackes trotz der Julihitze des Jahres 1807 hinten hoch geklappt und den schwarzlackierten Zylinderhut tief in das bartlose, scharfkantige Gesicht gedrückt. Er presste mit der Jugendkraft eines angehenden Dreissigers die langen, in gelben Hirschlederhosen steckenden Beine um die fliegenden Flanken seines Rappen und zügelte das keuchende Tier in dem Gewirr vor der Grossherzoglich-Warschauschen Posthalterei. Dort feilschten zwischen den Koffern und Kutschen die schwarzen Kaftanjuden und die himmelblauen, schwarzbordierten Postknechte des Rheinbunds um einige lebensmüde Pferdeskelette — zurückgebliebene Heerespferde fern von da oben, vom Njemen, wo eben der grosse europäische Krieg vergrollte. Der Reiter stieg steifbeinig aus dem Bügel. Er gab dem ersten Rosskamm, der ihm nicht auswich, einen Rippenstoss und trocknete sich mit dem umgedrehten Handschuhstulp den Schweiss unter dem blonden Stirnhaar. Das Blau seiner Augen stach herrisch.

      „Der Posthalter?“ „Herr — der Herr Posthalter schlafen!“ „Um acht Uhr morgens? . .“ „Herr . . um zwei Uhr nachts war er noch betrunken . . . Nein . . . Herr . . . der Herr Posthalter feuert aus dem Bett mit seiner Pistole, wenn man ihn vor Mittag stört! Eine Treppe hoch, gleich rechts im Flur, ist seine Schlafkammer . . .“

      Die Tür flog auf. Der fremde Reiter stand auf der Schwelle. Drüben in der Ecke dämmerte das Himmelbett. Quietschend schlüpfte etwas unter die Decke. Daneben hob sich ein eisgrauer Schnauzbart in einem roten Vollmond von Gesicht grimmig aus den Pfühlen.

      „Ist er verrückt . . Er Kujon . . .? In mein eheliches Schlafgemach . . .“

      „Lasse der Herr Seine Hausehre ruhig unter der Couverture und sein Pistol unterm Kopfkissen. Springe der Herr im Hemd aus dem Bett! Die Weltgeschichte ruft!“

      „Ist er besoffen?“

      „Halte der Herr den Gang der Historie nicht mit seinem Pistolengefuchtel auf — bei Napoleons Zorn!“ donnerte der Fremde. „Wer ich bin?“ Er griff unter die drei roten Klappen seines blauen Redingote und holte ein Pergament mit baumelndem Wappensiegel heraus. „Wir sind hier im neugegründeten Grossherzogtum Warschau, unter der Herrschaft Seiner Majestät König Friedrich August des Ersten von Sachsen!“

      „Das braucht Er mir, einem alten sächsischen Rittmeister von Niesemeuschel-Dragonern, nicht erst zu melden!“

      „Gut denn! So schnarche der Herr Rittmeister nicht länger, sondern handle als sächsischer Patriot! Hier mein Dresdener Pass, ausgestellt vom Etranger-Departement des Geheimen Kabinetts, durch den Hof- und Justitienrat, für mich, den Geheimen Referendarius und Déchiffreur Schierwasser, attachiert für geheimste Aufträge an die Person des Monsieur Mehée de la Touche!“

      Der Posthalter sprang aus dem Bett und rannte im Hemd nach dem Schrank. Dem Pass zu Ehren zog er seine alte sächsische Soldatenuniform an. Er fuhr in die langen, grauen Hosen mit roten Streifen.

      „Was steht dem Herrn Geheimen Referendarius zu Diensten?“ keuchte er.

      „Wissen Sie, wer Monsieur de la Touche ist?“

      Der Posthalter schlüpfte soeben in den Feuerroten Frack und stülpte sich vor dem Spiegel den schwarzen Tschako mit weisser Stossfeder auf den verschwiemelten Graukopf.

      „Ein Posthalter des Rheinbunds soll Monsieur de la Touche nicht kennen — die rechte Hand des Fürsten Talleyrand in Paris!“ sprach er atemlos, vor Dienstfertigkeit zitternd.

      „Wissen Sie, wieviele Spione Herr de Talleyrand in Deutschland unterhält?“

      „Zwanzigtausend — mein Herr —, man spricht von zwanzigtausend!“

      „Nur zehntausend weniger, als sein Widersacher — der Polizeipräfekt Fouché und dessen Geheimagent, dieser unfähige Desmarets! Nun gut — wir sind diesen Herren zuvorgekommen! Wir sind auf den Fährten eines Menschen, der, als Werkzeug verbrecherischer Mächte, mit wichtigsten hochverräterischen Papieren unterwegs ist — Papieren, die, an ihren Bestimmungsort gelangt, Europa von neuem in seinen Grundfesten erschüttern! Mehr darf ich Ihnen nicht verraten!“

      „Es genügt!“ Der Posthalter schnallte sich klirrend den Säbel um und warf den langen, weissen Reitermantel kriegerisch um die Schultern.

      „Soeben ist, oben in Tilsit, der Kaiser der Franzosen damit beschäftigt, der von ihm beherrschten Welt den Frieden wiederzugeben. Die Gnade Napoleons ist dem sicher, der diesen Sendboten der Feinde des Friedens abfängt!“

      „Wo ist der Kerl?“

      „Er ist vor Thorn nach Osten abgebogen, um fern vom Kriegsgetümmel auf einsamen Wegen die Weichsel zu erreichen. Es glückte mir, indem ich meinen Gaul zu schanden ritt, ihm einen Vorsprung abzugewinnen. In wenigen Minuten müssen er und seine Begleiter hier im Städtchen einpassieren!“

      „Da . .“ Der alte Niesemeuschelsche Dragoner zückte den zitterigen Zeigefinger durch das Vorderfenster des Eckzimmers gegen ein Dreigespann von Bauerngäulchen, die in wildem Weidegalopp vom Stadttor her einen Reisewagen die Gasse hinab zum Marktplatz rissen. Die Räder tanzten in den Strassenlöchern, der Polack auf dem Bock peitschte die polnischen Katzen, der Herr innen in der offenen Berline kauerte lauernd wie ein Kater vor dem Sprung, den dicken, bartlosen Kopf bis zur Hutkrempe in die sturmflatternden Kragen seines zimmetbraunen, polnischen Wetterrocks geduckt. Aus dem bleichen, schwammigen Gesicht schnellten die tiefliegenden Schattenaugen zwei unheimliche Blicke der Sturmfahrt voraus nach der Posthalterei.

      „Das ist er!“ Der Fremde guckte seelenruhig über die Schulter des Rittmeisters. „Die Kerle auf dem Vordersitz sind sein Dolmetscher und sein Wegweiser. Gleich werden sie hier halten und frische Pferde verlangen. Benutze der Herr die Gelegenheit und packe er den Hochverräter unversehens von rückwärts! Es ist ein verzweifelter Patron und bis an die Zähne bewaffnet! Da fahren sie schon vor, als sei der Teufel hinter ihnen . .! In die Bataille, mein Herr Rittmeister! Viel Glück zum Orden der Ehrenlegion!“

      „Der Kaiser der Franzosen, gnädiger Herr, soll mit mir alter Kriegsgurgel zufrieden sein!“ Der dicke Dragoner stolperte säbelrasselnd und sporenklirrend, mit wehendem weissen Mantel, die krachende Treppe hinab. Er liess die Tür hinter sich offen. Aber der fremde Reiter folgte ihm nicht, sondern schlüpfte mit drei Katzensprüngen fast lautlos zum Hinterfenster und beugte sich hinaus. In dem kleinen Hof unten stand ein blanker Gaul angebunden neben dem Feuergeflacker der Hufschmiede der Posthalterei. Eben schmiss der verrusste Schmied das rauchend-rote Eisen achtlos auf den Amboss und rannte durch den Torweg auf den Markt hinaus. Dort zeterte eine wutzitternde Stimme in französischen Fisteltönen. Polnische Flüche lachten dazwischen. Das befriedigte Sächsisch des Rittmeisters: „Haben wir dich, mei’ Kutester!“ und zu den Postknechten: „Sperrt die Ganalljen alle drei in den Holzkeller! Ihr werdet was erläben vom Naboleon, ihr Lulatsche!“

      Im Schlafzimmer oben bewegte sich etwas neugierig unter der Decke. Der Geheime Referendarius wandte sich vom Hoffenster ab und machte eine Höfliche Verbeugung gegen die unsichtbare Posthalterin.

      „Ich beurlaube mich, schönste Frau!“ sprach er. Verzeihen Sie dero gehorsamsten Diener, dass er im Dienst des Mars die Venus in Nacht und Dunkel


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