Die Narrentour der Liebe. Robert Heymann

Die Narrentour der Liebe - Robert Heymann


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meinem Meister darin am nächsten ...“

      „Was ist das für eine Pantomime?“ fragte Mie.

      „Ich will Ihnen einmal davon berichten,“ erwiderte er. Dabei sah er über sie hinweg, als ob er die Mauern durchdringen wollte und weite Fernen suchte ...

      Mie ging in ihre Garderobe. Ihre neue Zofe, die sie sich trotz Valliers Widerspruch engagiert, eine junge Böhmin, die vom ersten Tage an in geradezu sinnlicher Liebe an Mie hing, kam ihr freudestrahlend entgegen, einen Korb köstlicher Marschall-Niel-Rosen in Händen:

      „Für Sie, Fräulein Mie ...“

      Mie beugte sich über die Rosen und atmete den betäubenden Duft. Sie legte das heisse Gesicht in die kühlen, schwellenden Blätter und sagte kein Wort.

      Die Zofe reichte ihr einen Brief mit einem Wappen.

      Mie las: Einladung ... berauschende Beine ... Ihr Sklave ... und legte mit einem Gähnen das Schreiben beiseite.

      „Aber ...“ sagte missbilligend die Zofe.

      Mie lächelte, während sie sich abschminkte. Ihre Brüste kamen dabei zum Vorschein. Sie waren wie zwei zarte weisse Nelken mit einem scharlachroten Stern. Auf dem Nacken schimmert rippenförmig eine warme, mattrosa Welle durch das aufgetragene Puder.

      Die Arme waren noch übermager, aber jede Geste reich an Rundung und Grazie ...

      „Nun, Greta?“

      „Er ist sehr reich.“

      „Woher weisst du das?“

      „Er hat es mir erzählt.“

      „Du kennst ihn?“

      „Seine Equipage steht jeden Abend vor dem Theater.“

      „Und?“

      „Sie könnten ein eigenes Schloss besitzen, Fräulein Mie, Pferde, Diener. Sie müssen herrschen ... herrschen ... Sie sollen auf diese Menschen wie Vallier heruntersehen ... tief heruntersehen ...“

      Mie schwieg.

      Greta nahm sich vor, den Zufall zu begünstigen. Denn sie liebte ihre Herrin und konnte kaum erwarten, bis sie sie in dem Glanze sah, auf den sie Anspruch hatte wie der Edelstein auf eine vollkommene Fassung.

      Am nächsten Tage, als Mie gegen Abend ihre Einkäufe in der Stadt machte, hielt plötzlich haarscharf am Bürgersteig eine vornehme Equipage. Lichtensteig stieg aus. Er trat mit einem liebenswürwürdigen und etwas vertraulichen Gruss auf Mie zu, so, als wären sie alte Bekannte.

      Sie blieb verblüfft stehen und starrte ihn an. Dann glitt ihr Auge von seiner eleganten Gestalt über das diskret ausgeschlagene Kupee und die rassigen Pferde, die unter den straff gezogenen Zügeln des Kutschers unruhig tänzelten und stiegen.

      „Endlich also habe ich den Vorzug, Sie zu sprechen, nachdem Sie mich auf meine verschiedentlichen Briefe nicht einer einzigen Antwort würdigten!“

      Verschiedentliche Briefe? dachte Mie. Sie begriff sogleich, dass Vallier die anderen Briefe unterschlagen hatte, wer weiss, wie viele schon, wohl auch Blumen und kleine Geschenke. Am gestrigen Abend war ihm in der Aufregung über den Besuch des berühmten Pierrots die Sendung entgangen.

      Diese eigenmächtige Handlungsweise erregte Mies Zorn und Trotz. Trotz, weil Vallier durch diese Handlungsweise seine Feigheit verriet. Er fürchtete also den blonden Kavalier.

      Nun wohl ...

      Sie musterte ihn einen Moment mit ihrem berückenden Lächeln und empfand halb erstaunt, halb mit heimlichem Vergnügen, dass er unter dem Zauber dieses Mundverziehens jede Selbstbeherrschung verlor. Er stammelte etwas von ihren Füssen und dem Schmutz der Strasse.

      Mie lachte nun und sah in die blaue Dämmerung hinein. Es war wirklich schmutzig in den Strassen, aber Mie wäre dies nie aufgefallen, wenn Lichtensteig sie nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Es war Herbst und Abend. Im Hofgarten standen die Kastanien mit gelben Lampen in den sinkenden Nebel hinein. Schon strömte die Flut der Lichter aus der Kunsthandlung am Odeonsplatz. Daneben, wie in einem Schmuckkasten, Nymphenburger Porzellan, schimmerndes Gebilde in aparter Stilisierung ... und auf dem Platz Automobile und Equipagen, die geräuschlos über den schimmernden Asphalt in die Ludwigstrasse gleiten, deren ferner Schlussstein, das Siegestor, sich in fahlen Umrissen noch aus der dunkelnden Tiefe hob.

      Aber die Strassen waren schmutzig. Und Mie lachte und sagte:

      „Es ist doch noch Herbst, Herr Baron ... ein Herbst mit blauem Himmel und Goldtrauben an den Bäumen ...“ und sie blieb sinnend stehen, während er auf eine geistreiche Antwort sann, und lauschte mit gespannten Sinnen auf die geheimnisvollen Lieder, die in den Lüften schwebten, dort, wo das eigentliche München beginnt, von dem aus der Strom immer neuen, künstlerischen Werdens sich in die Innenstadt ergiesst.

      Schwabing ...

      Lieder armer Harlekins und sehnsüchtiger Kolombinen, die an dem Brunnen der Kunst ewiges Leben suchen, und, o altes Münchner Lied! — die Liebe finden ...

      In Mie regte ein dunkles Sehnen seine Schwingen. Sie war plötzlich ernst geworden, ihre Augen nahmen den suchenden Ausdruck eines Kindes an, die Pupillen wurden gross und dunkel. Sie suchte das Leben; ihre Sehnsucht flog mit den köstlichen Equipagen, die so leicht wie beschwingte Vögel dahinglitten, und ein tiefer Atemzug stammelte: reich sein ... reich sein ... reich sein! — — und das hämmerte in ihr weiter und ward zu einem stahlharten Wunsch. Sie wusste gar nicht, dass sie schon in der Equipage des Barons sass, der immer noch zu erklären suchte, dass die Strassen schmutzig seien, und Mie ihre Füsschen verderben könnte, diese Kolibris der Lust ...

      Mie sah ihn an, erwachte und lachte ...

      Ach, wie sie lachte!

      Mit diesem Lachen voll der wilden Sehnsucht eines Rausches und voll bewussten Lasters betrog sie in dieser Nacht ihren Geliebten Vallier.

      In einem prunkvollen Schlafzimmer mit lüsternen Farben und Tönen lag sie in den Armen des Barons und machte ihn rasend, verstandslos, tobsüchtig vor Vergnügen, und lockte ihm ein Märchen ab ... „eine Wohnung von vier, nein, fünf, nein, sieben Zimmern, ja? mit Eisbärfellen und tomatenroten Tapeten und schweren Möbeln ... nein, solchen mit goldenen Kränzen ...“

      „Empire also?“

      „Empire ... und Brillanten ... und einen Diener ... und Italien ... oh, ich möchte Italien sehen ... in einer Gondel fahren und dem Heiligen Vater die Hand küssen ... ich möchte reisen ... nur erster Klasse ... und ich möchte ... ich möchte ...“

      Es war ein Märchen ...

      Am nächsten Tage wurde es Wirklichkeit.

      Es war für Mie wirklich ein Wunder. Sie handelte weder mit Berechnung noch mit vorbedachtem Raffinement. Nun stand sie erstaunt und betroffen vor einer goldenen Wirklichkeit, die ihre heissesten und verschwiegensten Träume erfüllte.

      Mit einer Mischung von Scheu und Bewunderung lernte sie in dieser Nacht, die ihr die Tore zu einem mondänen Leben öffnete, die Kraft kennen, die ihrem Körper innewohnte.

      Sie begriff, dass die geheimnisvolle Circe-Macht, mit der sie die Individualität des Barons auszog, bis nur der nackte Adam übrigblieb, in ihrem Leibe begründet war.

      Sie empfand dunkel das Animalische ihrer Reize und gleichzeitig etwas wie Begeisterung und Anbetung, die sich auf ihren Körper als etwas Universelles bezogen.

      Mies Klugheit und reflektorischer Geist hatten ihre Wurzeln in einer tiefen Sinnlichkeit. Ihr erotischer Nervenapparat glich den feinen Fühlern, mit denen winzige Käfer und Schnecken sich an die Dinge herantasten. Metaphysische Betrachtungen lagen ausser ihrer Natur. Sie übte die Liebe aus mit einem dunklen, köstlichen Trieb, ohne zu ahnen, wie sehr eine Erscheinung von ihr Besitz ergriff, die sie völlig zu beherrschen wähnte.

      So lernte Mie auf Umwegen die physische Schönheit finden und lieben. Der Weg zum Begreifen des Schönen an sich führte sie über die Erkenntnis der Harmonie ihres eigenen Körpers. Aber die


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