Blutzoll: Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm
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Elsebeth Egholm
Blutzoll: Skandinavien-Krimi
Übersetzt Hanne Hammer
Saga
Blutzoll: Skandinavien-Krimi ÜbersetztHanne Hammer Original PersonskadeCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2005, 2020 Elsebeth Egholm und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726569643
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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1
»In den Irak?«
Dicte hörte sehr wohl, dass ihre Stimme klang, als ginge es um einen Planeten in einem bisher unbekannten Sonnensystem. Trotzdem fuhr sie in gleicher Stimmlage fort:
»Das ist doch das reinste Pulverfass. Hättest du dir nicht einen etwas ruhigeren Ort aussuchen können?«
Indien; Tibet, Südafrika. Wenn es sein musste, auch die Türkei. Verschiedene Landesnamen wirbelten durch ihr von der Sommerhitze glühendes Gehirn. Sie konnte sie nicht einmal aussprechen, bevor Bo sich auch schon über den Tisch lehnte, gestützt auf das Fassbier, an dem er sich die letzte halbe Stunde festgehalten hatte.
»Natürlich habe ich auch Norwegen in Erwägung gezogen«, sagte er ruhig. »Aber im Hochgebirge gibt es nun mal nicht so viel zu tun für einen Kriegsfotografen. Gefechte sind dort eher selten.«
Dicte streckte die Hand nach dem Weinglas aus, entschied sich in letzter Sekunde jedoch für das Wasser. Das hier lief richtig schief, dachte sie. Ein romantisches Abendessen in der Stadt, von wegen. Das Essen war zwar gut gewesen, doch das nachfolgende Gespräch erfüllte nicht so ganz ihre Erwartungen. Es war in dem Moment aus dem Ruder gelaufen, als Bo ihr von dem Anruf der Kopenhagener Redaktion erzählt hatte. Der Auftrag beinhaltete eine dreiwöchige Reportagetour durch den Irak, zusammen mit Jens Peter Hald, der nicht nur Journalist, sondern auch Bos Freund war.
»Und wann soll es losgehen?«
Sie versuchte, das Ressentiment aus ihrer Stimme herauszuhalten. Eigentlich dachte sie schon seit längerem, dass er genau so eine Tour brauchte, um vom faden Redaktionsalltag und den Kämpfen um die Kinder mit der Exfrau Abstand zu bekommen. Brauchte er auch eine Pause von ihr?
Sie trank etwas Wasser in dem Versuch, wieder nüchtern zu werden, doch das machte es nur noch schlimmer, denn die Antwort hieß natürlich ja. Sie hatte sich verändert, das wusste sie. Nach den schrecklichen Ereignissen im letzten Winter hatte sie sich an ihn geklammert, um nicht zu sagen an ihm geklebt. Es war eine Übergangsphase, jedenfalls hoffte sie das – allerdings eine sehr lange, die nun schon ein halbes Jahr andauerte.
»In ungefähr einer Woche«, teilte Bo ihr mit. »Wir müssen die Tour erst vorbereiten, was Technik, Sicherheit und all das angeht.«
Irgendwo in der Stadt hörte sie eine Sirene und musste sofort an kugelsichere Westen und Panzer und Bomben denken, die in toten Hunden versteckt waren und mitten auf der Straße explodierten. Sie dachte an Kidnapping, Terror und Tod und kam im Gegensatz zu Bo nicht damit zurecht. Er liebte das. Nicht den Tod, natürlich nicht, doch der Junge in ihm liebte die Spannung.
Sie entschloss sich, das Thema zu wechseln, und sah sich in dem französischen Café um, das dem Restaurant angegliedert war, in dem sie gegessen hatten.
»Das hier ist immer noch das beste Restaurant der Stadt.«
Bos Mund formte ein Lächeln, doch die grauen Augen waren schon im Flugzeug auf dem Weg nach Bagdad.
»Vom Namen einmal abgesehen.«
»Vom Namen?«
Wieder beugte er sich vor. Jetzt war er präsent, im Hier und Jetzt, alle Sinne waren auf sie gerichtet, als wäre er ein Forscher, der die Reaktion eines Versuchstiers studierte.
»Graven – in der Gruft.«
Sie schauderte und sah sofort, dass er seine Bemerkung bereute. Die Kühle verschwand aus seinem Blick, an ihre Stelle trat Zärtlichkeit, und er griff quer über den Tisch nach ihrer Hand.
»Ich komme bald wieder nach Hause. Drei Wochen sind doch keine Ewigkeit.«
Sie hörte den halb erstickten Laut ihres klingelnden Handys aus der Tiefe der Tasche. Vielleicht war es wichtig. Womöglich war das Haus abgebrannt, oder Rose war etwas zugestoßen. Ach, du meine Güte, jetzt reichte es aber mit der Schwarzmalerei.
Sie wühlte in der Tasche, fand das Telefon und sah, dass der Anruf von Rose kam. Um halb zwei in der Nacht?
»Ja?«
»Mama«, sagte Roses Stimme. Sie klang aufgeregt, und im Hintergrund war ziemlich viel Lärm zu hören, den Dicte nicht zuordnen konnte. »Ihr kommt besser her. Hier ist die Hölle los. Es wimmelt nur so vor Polizei.«
»Wo? Wo bist du, Schatz?«
»Vor dem Showboat«, sagte Rose. »Das weißt du doch. Wir hatten Freikarten, aber ... «
Der Lärm verschluckte den Rest. Endlich begann ihr Gehirn zu arbeiten, angefacht von Roses Stimme. Das Showboat. Die alte Kalundborg-Fähre im Hafen von Århus, die zu einer Disko umfunktioniert worden war. Rose hatte ihr erzählt, dass sie mit ein paar Schulkameraden dorthin wollte. Dicte war nicht gerade begeistert gewesen, weil es dort oft Probleme mit unverschämten Türstehern, Einwanderern der zweiten Generation und Drogen gab. Sie war bereits mit dem Telefon in der Hand aufgestanden und hatte dem Kellner ein Zeichen gegeben, dass sie zahlen wollten.
»Pass auf dich auf. Wir sind unterwegs.«
»Es ist nicht so, dass ich Hilfe brauche, Mama«, sagte die sehr erwachsene, beinahe Achtzehnjährige. »Ich habe eher gedacht, dass das eine super Story ist.«
Sie hörten den Lärm bereits, als sie den Kystvej erreichten. Heulende Sirenen und eine aufgebrachte Menschenmenge. Nach einem Tag unbarmherzigen Sonnenscheins war die Augustnacht noch immer warm. In Paris starben zurückgelassene Großmütter in ihren überhitzten Wohnungen, während der Rest der Familie die Sommerferien am Meer verbrachte; in Kalifornien wüteten Waldbrände und richteten Milliardenschäden an, und in Kopenhagen hatte man einen unschuldigen italienischen Touristen auf offener Straße niedergestochen. Und jetzt schienen die Auswirkungen der extremen Hitze auch Århus erreicht zu haben.
Bo fuhr quer über den Kystvej, bog nach rechts ab und steuerte am Hafen entlang auf das hohe Silo der Getreide- und Futtermittelkompanie zu, das wie ein Gespenst in der Nacht leuchtete.
Der Platz vor dem Showboat und das Hafenbassin sahen aus wie der Drehort zu einem Film, und Dicte wartete beinahe darauf, einen Regisseur in einem Hochstuhl mit einem Megaphon zu sehen, der der Crew seine Anweisungen erteilte.
Im Halbdunkel sah man mehrere Jugendliche um die Polizeiautos herumspringen deren Fenster einwerfen. Eine Kette von Polizeibeamten, denen Hunde vorausliefen, hatte sich quer über das Hafengebiet verteilt, von der Eisenbahn bis hin zum Kai.
Pflastersteine und Flaschen flogen durch die Luft, begleitet von Schimpftiraden.
»Scheißbullen! Rassistenschweine!«
Dicte ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Rose. Wo war Rose? War sie in Sicherheit? Oder irgendwo mitten in diesem Chaos?
Die Menschenmenge wogte hin und her, und Dicte nahm an, dass es um die drei- bis vierhundert Personen sein mussten. Sie erinnerte an eine Flutwelle, angereichert mit Hundegebell, Sirenengeheul und lauten Rufen. Aggressivität lag in der Luft.
»Was zum Teufel ... «, murmelte Bo und bog zum Packhaus 35 ab, in dem die dänische Bauholzhandelsgesellschaft untergebracht war.
Er