Die schwarze Galeere. Wilhelm Raabe

Die schwarze Galeere - Wilhelm  Raabe


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      Wilhelm Raabe

      Die schwarze Galeere

      Saga

      Die schwarze GaleereCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1905, 2020 Wilhelm Raabe und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726540048

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

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      Auf den Wällen von Fort Liefkenhoek

      Es war eine dunkle, stürmische Nacht in den ersten Tagen des Novembers im Jahre 1599, als die spanische Schildwache auf dem Fort Liefkenhoek, an dem flandrischen Ufer der Schelde, das Lärmzeichen gab, die Trommel die schlafende Besatzung wach rief und ein jeder — Befehlshaber wie Soldat — seinen Posten auf den Wällen einnahm.

      Die Wellen der Schelde gingen hoch, und oft warfen sie ihre Schaumspritzer den fröstelnden Südländern über die Brüstungsmauer ins Gesicht. Scharf pfiff der Wind von Nordosten, von den „Provinzen“ herüber, und die Spanier wussten schon lange, dass aus der Richtung ihnen selten etwas Gutes komme.

      Auch auf dem Fort Lillo, auf der brabantischen Seite des Flusses, wirbelte die Trommel, klang das Horn: deutlich vernahm man durch das Getöse des Sturmes und das Brausen der Wasser fernen Kanonendonner, welcher nur von einem Schiffskampf auf der Wasterschelde herrühren konnte.

      Die Wassergeusen spielten ihr altes Spiel.

      Was kümmerte dieses Amphibiengeschlecht der Sturm und die Finsternis? Waren Sturm und Nacht nicht seine besten Verbündeten? Wann hätte je ein Wassergeuse das stürmische Meer und die Finsternis gefürchtet, wenn es galt, seine Todfeinde zu überlisten, die Verwüster und Bedränger seines den Wogen abgekämpften Vaterlandes zu vernichten?

      Grässlich war der Krieg ausgeartet.

      Zweiunddreissig Jahre dauerte nun schon dieses fürchterliche Hin- und Herdrängen der kämpfenden Parteien, und noch war kein Ende davon abzusehen. Die Saat der Drachenzähne war üppig aufgegangen, wohl waren eiserne Männer emporgewachsen aus dem blutgedüngten Boden, und selbst die Frauen mussten verlernen, was Menschlichkeit und Milde sei. Es gab eine junge Generation, welche sich schon deshalb nicht nach dem Frieden sehnte, weil sie ihn gar nicht kannte.

      Und war der Krieg schrecklich auf dem festen Lande, so war er noch fürchterlicher auf dem Meere. Auf dem Lande konnten immer noch Gefangene ausgewechselt oder losgekauft werden; — Städte, Flecken und Dörfer konnten Brand und Plünderung abkaufen; auf der See gab es aber schon längst weder Pardon noch Ranzion. Für Barmherzigkeit wurde es geachtet, wenn man die gegenseitigen Gefangenen kurzweg niederstiess oder sie an den Rahen aufhing und sie nicht langsam auf die grausamste Art zu Tode marterte, sie nicht auf dem Verdeck kreuzigte und mit dem genommenen Schiffe versenkte. —

      Mit besorgter Aufmerksamkeit lauschten auf den Wällen von Fort Liefkenhoek Befehlshaber und Soldaten der Kanonade und teilten sich ihre Vermutungen gegenseitig mit. Der eine hatte diese Ansicht über die Kämpfenden, der andere jene Ansicht; aber zuletzt ging anfangs leiser, dann aber bestimmter und lauter von Mund zu Mund das Wort unter den Soldaten:

      „Die schwarze Galeere! wiederum die schwarze Galeere!“

      Ein jeder sprach zwischen Zorn und unheimlicher Beklemmung dieses Wort aus:

      „Die schwarze Galeere!“

      Gegen ein Uhr legte sich der Wind, und auch die Kanonade schwieg; aber zwanzig Minuten nach ein Uhr flammte es plötzlich in weiter, weiter Ferne blutrot, blitzartig über den dunkeln Wassern auf; das Leuchten zuckte über die Hunderte von bärtigen, wilden Gesichtern auf den Mauern von Liefkenhoek und Lillo, und eine halbe Minute später folgte dieser Lichterscheinung der dumpfe Knall einer grösseren Explosion, womit das Gefecht zu seinem Ende gelangt zu sein schien, wie ein Trauerspiel mit einer Katastrophe endet. Man sah und hörte keine Anzeichen mehr, welche auf den Fortgang desselben deuteten. Obgleich die Besatzungen auf der spanischen Befestigung noch lange harrten und lauschten, vernahmen sie doch keinen Schuss mehr. —

      „Nun, was haltet Ihr davon, Sennor Jeronimo?“ fragte der Kommandant von Liefkenhoek einen seiner Kapitäne, einen ältlichen, dürren Mann mit grauem Haar und Bart, mit Narben bedeckt vom Kopf bis zu den Füssen.

      Der Angeredete; der bis jetzt ein wenig abseits von seinen Kameraden an der Brüstung gelehnt hatte, zuckte die Achseln.

      „Fragt mich nicht danach, Sennor. Bei Gott und der heiligen Jungfrau, ich hab’ es schon lange aufgegeben, über das zu grübeln, was uns dieser Krieg bringt. Der Panzer ist mir schier festgewachsen auf der Haut, und meinen Posten halt’ ich bis zum letzten Tag; aber — damit auch genug.“

      „Ihr seid sehr barsch, Jeronimo“, sagte der Kommandant, der ein viel jüngerer Mann als der alte Krieger war und erst kürzlich aus Kastilien angekommen war in den Niederlanden, um den Gouverneursposten auf diesem Fort an der Schelde anzunehmen.

      „Herr Oberst,“ sagte der Hauptmann Jeronimo, „seit manchen langen Jahren halte ich nun meine Stelle auf dieser Erdspitze und sehe die Wellen vorüberfliessen. Ihr seid jung, Oberst, aber Euer Vorgänger war auch jung und edel. Hier stand er neben mir, an demselben Platz, wo Ihr jetzo stehet, voll von jugendlichen Träumen und Siegeshoffnugen. Nun liegt er drunten unter den Wogen, und der, welcher ihm vorging, ist von einer Kugel gefallen bei Turnhout; er dachte auch, siegesgekrönt heimzukehren in sein Schloss an der Tarata zu seinem jungen Weibe — bah! Und nun rechne ich an den Fingern zurück bis an das Ende des Jahres fünfzehnhundertfünfundachtzig, wo ich von Madrid zurückkam; Sennor, damals glaubte ich auch noch an Sieg und Ehre in diesem Krieg. Ich habe aufgehört, daran zu glauben, und Ihr werdet’s auch, Oberst, so Euch Gott das Leben schenkt.“

      „Ihr seid ein finsterer Träumer, Hauptmann! Aber sagt doch, in jenem denkwürdigen Jahre waret Ihr in Madrid?“

      „Ja.“

      „In jenem glorreichen Jahre, wie der grosse Prinz uns Antwerpen zurückeroberte?“

      „Ja.“

      „So seid Ihr mit dem Alexander Farnese als Sieger in die Stadt eingezogen? O, Ihr Glücklicher!“

      „Nein“, sagte der alte Soldat finster. „Ich bin nicht im Triumphzuge gewesen; man hatte mir einen anderen Auftrag gegeben, um welchen man mich damals im Lager sehr beneidete. Ich war der Bote, welchen der tapfere Prinz mit der Nachricht von der Übergabe der Stadt zu Don Philipp — Gott habe seine Seele gnädig — sandte.“

      „Ihr? Ihr, Hauptmann Jeronimo, durftet solche Botschaft dem König bringen; — o, dreimal Glücklicher. Bitte, erzählt davon, wir dürfen den Wall doch noch nicht verlassen.“

      Die anderen Offiziere der Besatzung hatten sich allmählich näher an den Kommandanten und den Hauptmann herangezogen; jetzt bildeten sie als aufmerksame Zuhörer einen Kreis um die beiden. Es war nicht häufig, dass man den alten Jeronimo zum Erzählen brachte.

      „Was ist davon zu sagen?“ hub der Hauptmann an. „In der Nacht vom vierten auf den fünften September fünfzehnhundertfünfundachtzig hielt ich meinen atemlosen Gaul an vor dem Schloss zu Madrid, — ich bin ein Kind der Stadt und kann euch wohl sagen, ihr Herren, dass mein Herz doch hoch schlug, als ich den Manzanares wieder einmal rauschen hörte. Ich hatte von seinem Rauschen oft genug vor nicht langer Zeit im Feldspital im Wundfieber geträumt. Und das Ziel, die stolze Botschaft, die ich träumte, trieben mir auch das Blut heftiger in den Adern um. Finsternis und Grabesstille lagen auf der Burg und der Stadt; es war, wie ich nachher vernahm, am gestrigen Tage ein grosses Autodafé gewesen, und die Bevölkerung schlief den Festestaumel aus; — alles schlief, selbst der König Don Philipp. Die Wachen hielten mir die Partisanenspitzen auf die Brust in dem Augenblick, als mein erschöpftes Ross unter mir auf dem Pflaster zusammenstürzte. Ich war ebenso atemlos vom letzten wilden Ritt wie mein


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