Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Andreas Malm
Andreas Malm
Wie man eine Pipeline in die Luft jagt
Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen
Aus dem Englischen von David Frühauf
Inhalt
Keine Entschuldigung mehr für Passivität
Aus vergangenen Kämpfen lernen
Keine Entschuldigung mehr für Passivität
Das Manuskript zu diesem Buch wurde fertiggestellt, noch bevor das Coronavirus, das die Krankheit COVID-19 hervorruft, um sich zu greifen begann. Während ich nun diese Zeilen schreibe, fallen der Pandemie weltweit etwa 2000 Menschen pro Tag zum Opfer. Doch auch politische Opfer zählt sie bereits – eines der ersten: die Klimabewegung, deren höchst erfolgreiche Mobilisierung durch den Ausbruch unmittelbar zum Erliegen gebracht wurde. Die 2019 noch über den Globus fegenden Klimastreiks sind auf Eis gelegt. Kurz bevor in weiten Teilen Europas der Lockdown verordnet wurde, traf ich mich in Amsterdam mit Genoss*innen, die das letzte Jahr damit zugebracht hatten, sich auf eine der bisher spannendsten Massenaktionen vorzubereiten, »Shell Must Fall«: eine militante Störaktion der jährlichen Aktionärshauptversammlung von Shell, die von den Aktivist*innen als die Beendigung jeder weiteren Aktionärsversammlung angekündigt worden war. Betrübt mussten sie feststellen, dass die Aktion nicht stattfinden würde. In Berlin, wo ich diese Worte schreibe, musste der im Zentrum der Bewegung stehende Zusammenschluss Ende Gelände, der ähnlich große Pläne für das Jahr 2020 gefasst hatte, seine Versammlungen ausfallen lassen; und auch das von Extinction Rebellion geplante zweiwöchige Camp im Zentrum der Stadt wurde abgesagt. Vor SARS-CoV-2 stieg die Klimabewegung dank Massenbeteiligung in immer luftigere Höhen auf, doch gerade das, was den Treibstoff jeglicher sozialen Bewegung liefert – Menschenmengen –, schien plötzlich dermaßen unheilvoll, dass ihm Einhalt geboten werden musste. Es wäre verzeihlich, den Eindruck zu gewinnen, die Geschicke des Planeten lägen in den Händen einer böswilligen Himmelsmacht.
Aber auch der globale Kapitalismus musste in nie zuvor dagewesenem Ausmaß seine Ansprüche herunterschrauben. Und genau hierin liegt eine Chance. Emissionen sinken rapide – wie schon nach der Finanzkrise 2008, und zwar wieder einmal aus Gründen, die nichts mit der Klimapolitik zu tun haben –, was an und für sich bereits eine gute Sache ist. Eingriffe in das Privateigentum werden enttabuisiert. Wenn eine Pandemie Regierungen also dazu veranlassen kann, Notfallmaßnahmen zu ergreifen, könnte ein Klimakollaps, der ebenjene Lebenserhaltungssysteme des Planeten zu zerstören droht, dann nicht gleichermaßen Anlass dazu geben? Eine Entschuldigung für Passivität scheint zumindest nicht mehr länger möglich.
Das heißt nicht, dass es automatisch zu offensiven Klimamaßnahmen kommen wird, dass die Ausgangsbeschränkungen, die dichtgemachten Industrien und die zum Erliegen gebrachten Flughäfen zwangsläufig in einer Bewegung weg von den fossilen Brennstoffen münden werden. Vielmehr sollten wir das genaue Gegenteil erwarten: ein Wiedererstarken des business as usual, sobald die Pandemie abgeklungen sein wird. Die Automobilhersteller werden begierig darauf sein, die Produktion wieder anzukurbeln, die Fluglinien darauf, wieder zu fliegen, die Öl- und Gaskonzerne darauf, abermals von steigenden Preisen zu profitieren. Sollte die Coronakrise also eine realistische Chance zugunsten des Klimaschutzes darstellen, dann nur, wenn auch entsprechend gehandelt wird.
Nun mag sich die Klimabewegung momentan wie alles andere auch im quarantänebedingten Winterschlaf befinden, doch sobald dieses derzeitige Ausnahmeregime gelockert wird, muss sie mit geballter Kraft wieder vorpreschen. Unabhängig davon, ob unterm Strich Zeit verloren gegangen ist oder gewonnen wurde, der Kampf gegen die Klimakatastrophe ist so dringlich wie eh und je. Und ja, es ist gut möglich, dass die Pandemie ihre Kreise noch einige Jahre über die Welt ziehen wird, wie es ebenso gut sein könnte, dass sie langsam abklingt. Vielleicht lässt sie sich sogar mittels eines Impfstoffes bekämpfen. Ganz sicher aber wird die globale Erwärmung zusehends schlimmere Ausmaße annehmen, solange Treibhausgasemissionen nicht unterbunden und die Reduktion des CO2s aus der Atmosphäre nicht in die Tat umgesetzt werden. Dass das von selbst geschehen wird – dass also das fossile Kapital eines natürlichen Todes sterben wird –, bleibt kaum anzunehmen, was bedeutet, dass die Klimabewegung in ein, zwei oder fünf Jahren von noch größerer historischer Notwendigkeit sein wird als jetzt. Und auch die taktischen Überlegungen, denen dieses Buch nachgeht, werden dann ihre Berechtigung wieder vollends erlangen.
Ich glaube fest daran, dass die hier vorgebrachten Argumente mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nach dieser Pandemie für eine wiedererstarkte Bewegung relevant sein werden. Denn dass der Bedarf an Militanz abnimmt, ist kaum vorstellbar. Und daher hoffe ich, dass die Auseinandersetzung auf den folgenden Seiten für die Bewegung in ihrer Post-Corona-Phase von Nutzen sein wird – oder sogar in einer Phase zeitgleich mit COVID-19 oder einer anderen zukünftigen Pandemie. Schließlich ist Sabotage keineswegs unvereinbar mit Social Distancing.
Berlin, Ende März 2020
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