Seewölfe - Piraten der Weltmeere 679. Sean Beaufort
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Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-093-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Sean Beaufort
Totenschiff vor Anker
Flammen und Rauch locken die Arwenacks an
Narada Diji, genannt der Blatternarbige, hatte wenig gute Eigenschaften. Aber Geduld hatte er in geradezu beängstigender Menge. Also wartete er.
Er und seine Männer warteten an einem Punkt, den viele Schiffe passieren mußten. Die Falle, die Erfolg im geeigneten Moment versprach, war mit Bedacht angelegt. Wer immer in die Nähe Naradas und seiner Kerle geriet, würde getäuscht werden. Schnell und lautlos hatten sie stets zugeschlagen. Sie handhabten meisterhaft ihre messerscharf geschliffenen Dolche, die Pfeile und Dreizacke – und waren dabei wohlhabend geworden.
Der Anführer und seine fünfundzwanzig Töter tarnten sich meisterhaft. An Land wußte niemand von ihrem mörderischen Gewerbe …
Inhalt
Die Hauptpersonen des Romans:
Narada Diji – ist der Anführer einer Bande von fünfundzwanzig Halsabschneidern, denen bisher noch jeder Coup gelungen ist.
Sebastiao – der Portugiese ist krank und halbtot, als er als Notruf einen Böller löst, der von den Seewölfen auch gehört wird.
Der Kutscher – kümmert sich um den kranken Portugiesen und stellt erleichtert fest, daß er nicht die Pest hat.
Edwin Carberry – ist in seinem Element, als er mit den Fäusten und dem Cutlass braunhäutige Schurken „abräumen“ kann.
Philip Hasard Killigrew – sieht sein Ziel Madras entschwinden, als ein Sturm die Schebecke wieder auf Nordkurs zwingt.
1.
Kapitän Philip Hasard Killigrew blickte mit seinen funkelnden, eisblauen Augen nicht ohne Zufriedenheit über das Deck der Schebecke. Er schaute nach den Wolken, nach Anzeichen einer Wetteränderung, blinzelte den Männern der Deckswache zu und drehte langsam den Kopf, um die Uferlinie an Backbord zu mustern.
Er stand breitbeinig am hintersten Rand des Grätingsdecks und lehnte sich ans Schanzkleid. Wie es aussah, schien er mit sich, den Arwenacks und dem Rest der Welt zufrieden zu sein. Gleichzeitig sagte er sich, daß seine persönliche Zufriedenheit eine Sache war, die sich binnen weniger Atemzüge radikal ändern konnte.
Er entsann sich aus guten Gründen an den Versuch, vor dem Ort Ernakulam Anker zu werfen, um die Vorräte zu ergänzen.
„Die Pest über Ernakulam“, flüsterte er im Selbstgespräch.
Er meinte es durchaus zwiespältig: der kleine Marunga war offensichtlich der einzige Überlebende des schwarzen Todes gewesen. Und er, Hasard, konnte nur hoffen, daß die Rindenpräparate des Kutschers einigen Eingeborenen das Leben gerettet hatten. Plötzlich mußte er lächeln. Tod und Leben, Niedergeschlagenheit und Hochgefühl lagen so nahe beieinander, obwohl sie mitunter durch Abgründe voneinander getrennt schienen.
Der letzte Eindruck, den die Arwenacks vom Land mitgebracht hatten, war düster und voller Schrecken und Grauen gewesen. Auch den hartgesottenen Carberry hatte das alles nicht unberührt gelassen.
Aber dann zwangen der Kutscher und Mac Pellew die Zurückkehrenden, sich einem ausdauernden Reinigungs- und Anti-Pestbad zu unterziehen, und die darauf folgende Aufregung minderte und verringerte die Eindrücke menschlichen Elends und hilflosen Sterbens.
„Wir jedenfalls haben überlebt“, murmelte Hasard und schob sein Haar wieder in den Nacken zurück. Wie so häufig wehte an diesen südlich gelegenen Stellen des indischen Kontinents der Sommermonsun aus Nordost. „Aber – wie lange?“
Auch das meinte er zweideutig.
Wie lange blieb der Wind günstig und trieb sie, um die Südspitze des indischen Kontinents herum, weiter?
Wie lange überlebten sie? Wer von ihnen allen überlebte? Die Gefahren lauerten nicht nur unter dem Kiel und über den Wellen, sondern buchstäblich in jeder Bucht, die sie ansteuerten, gegen den Wind oder mit dem Wind, über die verdammten Sandbänke hinweg oder gegen wirbelnde Strömungen. Sie hatten ihr Glück viele Dutzende Male herausgefordert und lebten noch immer, und wenn er nachdachte, lebten sie nicht schlecht.
Aber alles hatte irgendwo ein Ende, ein loses Ende: das Unglück ebenso wie das Glück. Er fand, daß er nutzlosen Gedanken nachhing, aber in den zurückliegenden Stunden hatte sich jeder einzelne Crewangehörige entspannen, ausruhen, ausschlafen können, und selbst in Sichtweite des Landes konnte man Gedanken nachhängen und ein wenig Garn spinnen.
Die wenigen Früchte, die seine braven Arwenacks aus dem triefenden, verfilzten Dschungel mitgebracht hatten, waren längst gegessen und von den Köchen einigermaßen schmackhaft verarbeitet worden. Wenn sich unter Deck noch irgendwelche Früchte befanden, würden sie mittlerweile auch schon zu gammeln anfangen.
Hasard gab sich einen Ruck. Innerlich ging er hart mit sich ins Gericht und sagte sich, daß er besser daran täte, gute Laune, Zuversicht und Kühnheit auszustrahlen.
Als er an die Verantwortung dachte, die einige Tonnen Gold und Silber, ein Schatz sondergleichen, ihnen allen auferlegten, mäßigte sich seine gute Laune. Er spuckte nach Lee.
„Kali, die Schwarze Göttin, hat uns bisher verschont. Offensichtlich liebt sie uns. Wir stehen es durch, und wir liefern das Gold auch zuverlässig ab.“
Nach einem weiteren, tiefen Atemzug, der alle nachdenklichen Wolken von seiner Stimmung wegblies, fügte er hinzu: „Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn uns jemand das Zeug abjagen würde!“
Er ahnte, daß er sich eines fernen Tages an diesen Vorsatz erinnern würde.
Clint Wingfield enterte den Niedergang auf und bemühte sich, die Muck so zu halten, daß er keinen Tropfen verschüttete.
„Sir?“
„Mein Sohn? Du bringst mir ein paar Tropfen, die meine Laune heben sollen, so jedenfalls meinte es Mac? Richtig?“
„Richtig, Sir.“
Hasard lachte und nahm ihm die Muck ab. „Alles in Ordnung mit dir? Bist du satt geworden? Du scheinst dich einigermaßen wohl zu fühlen, oder irre ich mich?“
Die grauen Augen strahlten Hasard an. Noch immer steckten