Die Teufelin. Фэй Уэлдон

Die Teufelin - Фэй Уэлдон


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Fay Wel­don

      1

      Mary Fisher lebt in einem Turm am Meer, am Rande der Steilküste; in ihren Büchern geht es hauptsächlich um Liebe. Sie erzählt Lügengeschichten.

      Mary Fisher ist dreiundvierzig Jahre und an Liebe gewöhnt. Stets war ein Mann um sie herum, der sie liebte, manchmal sogar verzweifelt, und gelegentlich erwiderte sie sogar diese Liebe, aber niemals, glaube ich, heftig und mit Verzweiflung. Sie schreibt romantische Liebesgeschichten. Sie belügt sich und die Welt.

      Mary Fisher hat 754300 US-Dollar auf einem Bankkonto in Zypern, wo die Steuergesetze günstig sind. Das entspricht 502867 £ Sterling, 1931009 D-Mark, 1599117 Schweizer Franken, 185055050 Yen und so weiter; im Grunde spielt es keine Rolle. Das Leben einer Frau ist auf der ganzen Welt gleich. Und es bleibt gleich, wo immer man auch hingeht – wer hat, wie beispielsweise Mary Fisher, dem wird gegeben, und wer nichts hat, wie beispielsweise ich, dem wird selbst das weggenommen, was er haben sollte.

      Mary Fisher hat sich ihr ganzes Geld selbst verdient. Jonah, ihr erster Mann, hatte gesagt, Kapitalismus ist unmoralisch, und sie, von Natur aus sanft und nachgiebig, hatte ihm geglaubt. Andernfalls besäße sie jetzt bereits einen ansehnlichen Stapel Wertpapiere. Tatsächlich besitzt sie vier Häuser, die je nach der Entwicklung des Immobilienmarktes zwischen einer halben und einer Million Dollar wert sind. In rein finanzieller Hinsicht hat ein Haus natürlich nur dann einen gewissen Wert, wenn es jemand kaufen oder man selbst es verkaufen möchte. Ansonsten ist ein Haus lediglich ein Ort, wo man wohnt oder wo jemand wohnen kann, der einem nahesteht. Bestenfalls bringt einem solch ein Grundbesitz einen gewissen Seelenfrieden; schlimmstenfalls Ärger und Kummer. In Sachen Eigentum wünsche ich Mary Fisher alles Pech der Welt.

      Mary Fisher ist zierlich und hübsch mit sanften Kurven an den richtigen Stellen; sie fällt gern in Ohnmacht, vergießt Tränen und schläft mit Männern, während sie gleichzeitig so tut, als würde sie so was nie tun. Mary Fisher wird von meinem Mann geliebt, der ihr die Bücher führt.

      Ich liebe meinen Mann und hasse Mary Fisher.

      2

      Jetzt. Draußen dreht sich die Erde; die Flut steigt zu Füßen von Mary Fishers Turm an den Klippen hoch und fällt wieder. In Australien weinen sich die gewaltigen Eukalyptusbäume die Borke vom Stamm; in Kalkutta steigen Myriaden Funken an menschlicher Energie auf, flackern kurz und erlöschen wieder; in Kalifornien verschmelzen die Seelen der Surfer mit der Gischt und schießen in die Ewigkeit davon; in den großen Städten der Welt knüpfen Dissidentengruppen ihre finsteren Netze der Unzufriedenheit und treiben die Wurzeln des Umsturzes durch die schwarze Krume unserer irdischen Existenz. Und ich sitze hier fest, eingesperrt in meinen Körper, und hasse Mary Fisher. Das ist alles, was ich tun kann. Der Haß wird zur Besessenheit und verändert mich; er ist meine einzige Eigenschaft. Das habe ich erst vor kurzem entdeckt.

      Haß ist besser als Kummer. Ich singe das Loblied des Hasses und der mit ihm verbundenen Energie. Ich singe eine Hymne auf den Tod der Liebe.

      Fährt man von Mary Fishers Turm aus landeinwärts, den weiten Bogen der gekiesten Auffahrt hinunter (der Gärtner erhält 110 Dollar die Woche, was nicht gerade viel ist, egal in welcher Währung) durch die Allee windgezauster, dahinsiechender Pappeln (vielleicht ist das seine Rache), verläßt dann ihren Besitz und fährt auf der Hauptstraße weiter durch sanft gewelltes Hügelland, hinab zu der großen Weizenebene, immer weiter, so ungefähr hundert Kilometer, dann gelangt man in die Vorstädte, wo ich wohne: zu dem kleinen grünen Garten, in dem meine und Bobbos Kinder spielen. Im Osten, Norden, Westen und Süden gibt es Tausende solcher Häuser, alle mehr oder weniger gleich: wir liegen in der Mitte, haargenau in der Mitte einer Vorstadt, die sich Eden Grove nennt. Nicht Stadt, nicht Land: ein Zwitter. Grün, belaubt, blühend und, wie manche behaupten, wunderschön. Zugegeben, es lebt sich hier besser als auf der Straße in Bombay.

      Ich weiß, daß ich mich genau im Zentrum dieses Ortes ohne Zentrum befinde, weil ich mich viel mit Landkarten beschäftige. Ich muß über die geographischen Einzelheiten meines Unglücks Bescheid wissen. Die Entfernung zwischen meinem Haus und Mary Fishers Turm beträgt hundertacht Kilometer oder siebenundsechzig Meilen.

      Von meinem Haus bis zum Bahnhof sind es 1250 Meter, bis zu den Einkaufsläden 660 Meter. Anders als die große Mehrzahl meiner Nachbarinnen fahre ich keinen Wagen. Mein Koordinationsvermögen ist anscheinend weniger ausgeprägt als bei ihnen. Viermal bin ich durch die Fahrprüfung gefallen. Aber schließlich kann ich genauso gut auch laufen; hier gibt es ja kaum was zu tun, wenn man erst mal an diesem Ort, der als Paradies gedacht war, die Ekken gefegt und die Oberfläche poliert hat. Wie wunderbar, so durch den Himmel zu schlendern, sage ich, und das glauben sie mir.

      Bobbo und ich wohnen Nightbird Drive Nr. 19, eine gute Straße im besten Teil von Eden Grove. Das Haus ist vollkommen neu, wir sind die ersten Bewohner. Bobbo und ich haben zwei Badezimmer und Panoramafenster; wir warten darauf, daß die Bäume wachsen: Bald haben wir dann sogar Privatsphäre!

      Eden Grove ist ein freundlicher Ort. Meine Nachbarinnen und ich, wir geben abwechselnd Dinnerparties. Wir diskutieren über Sachen, nicht über Ideen; wir tauschen Informationen aus, keine Theorien; wir bewahren unser seelisches Gleichgewicht, indem wir über das Besondere nachdenken. Das Allgemeine ist zu erschreckend. Wer zu tief in der Vergangenheit wühlt, verliert den Boden unter den Füßen, wer sich zu weit in die Zukunft vorwagt, ebenfalls. Die Gegenwart ist ein Balanceakt. Zur Zeit werden zum Essen tollkühn Spareribs auf chinesische Art serviert, mit Papierservietten und Fingerschälchen. Das schmeckt nach Veränderung. Die Männer nicken und lachen; die Frauen erbeben und lächeln und lassen Geschirr fallen.

      Es ist ein gutes Leben. Bobbo sagt mir das immer wieder. Er kommt jetzt nicht mehr so oft heim, deswegen sagt er es auch seltener.

      Liebt Mary Fisher meinen Mann? Erwidert sie seine Liebe? Schaut sie ihm tief in die Augen und spricht wortlos mit ihm?

      Einmal wurde ich auf einen Besuch zu ihr mitgenommen und stolperte über den Teppich – einen echten Kaschmir im Wert von 2540 Dollar –, als ich auf sie zuging. Ich bin einen Meter achtundachtzig groß, für einen Mann eine angenehme Größe, aber nicht annehmbar für eine Frau. So wie Mary Fisher der helle Typ ist, bin ich der dunkle Typ, mit jener vorspringenden Kinnpartie, wie man sie bei großen dunklen Frauen häufig sieht, tiefliegenden Augen und einer Hakennase. Meine Schultern sind breit und knochig, meine Hüften breit und fleischig, und meine Beinmuskeln sind gut entwickelt. Meine Arme, das kann ich beschwören, sind zu kurz für meinen Körper. Mein Wesen und mein Aussehen passen nicht zusammen. Bei dem großen Lotteriespiel – und nichts anderes ist das Leben der Frauen nun mal – bin ich etwas zu kurz gekommen.

      Als ich über den Teppich stolperte, verzog Mary Fisher schadenfroh das Gesicht, und ich bemerkte den blitzschnellen Blick, den sie mit Bobbo wechselte, als hätten sie diese Szene bereits geahnt.

      »Erzähl mir von deiner Frau«, hatte sie womöglich gemurmelt, nachdem sie sich geliebt hatten.

      »Plump«, dürfte er geantwortet haben, und wenn ich Glück gehabt habe, hat er noch dazu gesagt: »Keine Schönheit, aber eine brave Seele.« Ja, ich glaube, das könnte er gesagt haben, und wäre es nur, um sich zu rechtfertigen und mich zu verleugnen. Man kann von einem Mann nicht erwarten, daß er einer wunderbaren Mutter und braven Ehefrau treu ist – da fehlt es hinten und vorn an Erotik.

      Ob er wohl auch noch in schuldbewußter erregter Heiterkeit bemerkt hatte: »Am Kinn hat sie vier Warzen, auf dreien wachsen Haare?« Ich glaube schon; wer könnte so einer Versuchung widerstehen, wenn man kichernd und herumalbernd im Bett liegt, nachdem man miteinander geschlafen hat?

      Ich bin mir ziemlich sicher, daß Bobbo gelegentlich mal im Stil aller Ehemänner gesagt hat: »Ich liebe sie. Ich liebe sie, bin aber nicht in sie verliebt. Jedenfalls nicht so, wie ich in dich verliebt bin. Verstehst du?« Und Mary Fisher hat wahrscheinlich sehr verständnisvoll dazu genickt.

      Ich weiß, wie das Leben ist, ich weiß, wie die Menschen sind. Wir stecken alle unter einer Decke, wenn es um Selbsttäuschung und Wunschdenken geht, ganz besonders natürlich ehebrecherische Liebespaare. Ich habe genügend Zeit darüber nachzudenken, wenn das Geschirr abgewaschen ist und es im Haus ganz still wird und das Leben vorübertickt und ich nichts weiter zu


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