Die Teufelin. Фэй Уэлдон
Sie hatte reichlich Übergewicht. Die zu erwartende Antwort »Nein« erzeugte bereits beim Aussprechen einen Gegenreiz und ersparte so ihren Eltern weiteren Kummer. Sie wären dann so beschäftigt, sie auszuschimpfen, daß sie ganz vergaßen, sich gegenseitig zu beschimpfen; zumindest nahm sie das fälschlicherweise an.
»Ich habe einen Splitter im Fuß«, sagte Andy. »Schaut mal, ich hinke!«
Er führte es vor, marschierte durch die Essensreste auf dem Fußboden, hinkte weiter ins Wohnzimmer, wobei er Sauce in den Teppich trat. Der Teppich war herbstgrün, gut abgestimmt auf die avocadofarbenen Wände und die seegrüne Decke. Bobbo schätzte, die fettigen Tritte würden die Reinigungsrechnung um weitere 30 Dollar erhöhen. Bei der jährlichen Generalreinigung würde der Teppich nun einer Spezialreinigung unterzogen werden müssen.
Draußen entschieden Angus und Brenda, daß Ruth mittlerweile ihre Fassung wiedergewonnen haben mußte. Sie verließen ihr Bänkchen, gingen den Gartenweg hoch und klingelten an der Haustür. Ding-dong!
»Bitte erspare mir jede Peinlichkeit in Gegenwart meiner Eltern«, bat Bobbo, worauf Ruth um so heftiger zu weinen begann. Sie stieß gewaltige würgende Schluchzer aus, wobei ihre gigantischen Schultern zuckten. Selbst ihre Tränen wirkten größer und wasserhaltiger als die anderer Leute. Mary Fisher, dachte Bobbo, vergießt niedliche kleine Tränen, die eine höhere Oberflächenspannung haben als die seiner Frau und die auf dem offenen Heiratsmarkt sicherlich höher eingestuft wurden. Gäbe es so was, er würde Ruth, ohne zu zögern, sofort auf den Markt werfen.
»Kommt rein«, sagte er an der Haustür zu seinen Eltern. »Kommt nur rein! Wie schön, euch zu sehen! Ruth hat Zwiebeln geschält. Ich fürchte, sie sieht noch ein bißchen verheult aus.«
Ruth rannte hoch in ihr Zimmer. Wenn Mary Fisher rannte, dann waren ihre Schritte leicht und beschwingt. Ruths Gewicht schwankte von einem massiven Bein aufs andere; jedesmal wurde das Haus erschüttert, wenn sie aufstampfte. Die Häuser in Eden Grove waren nicht nur für kleinere, sondern auch für leichtere Personen gedacht.
5
In Mary Fishers Romanen in rosa und goldenen Umschlägen, die zu Hunderttausenden verkauft werden, blicken tapfere kleine Heldinnen zu gutaussehenden Männern auf und gewinnen sie für sich, indem sie sie freigeben. Kleine Frauen können zu Männern aufschauen. Aber Frauen von über einsachtzig haben da so ihre Probleme.
Ich will Ihnen eines sagen: Ich bin eifersüchtig! Ich bin eifersüchtig auf jedes kleine hübsche Frauchen, das seit Anbeginn der Welt jemals gelebt und zu einem Mann aufgeschaut hat. Tatsächlich bin ich von Eifersucht förmlich zerfressen, ein durchaus hübsches, lebendiges, hungriges Gefühl. Sie wollen wissen, weshalb mir das was ausmacht? Weshalb ich nicht einfach in mir selbst ruhe, diesen Teil meines Lebens vergesse und zufrieden bin? Habe ich nicht ein Heim und einen Ehemann, der die Rechnungen bezahlt, und Kinder, um die ich mich kümmern muß? Ist das nicht genug? Die Antwort heißt »Nein«! Ich verzehre mich danach, ich sterbe fast vor Sehnsucht, zu dieser anderen, vor Erotik, Begierde und Lust pulsierenden Welt zu gehören. Was ich will, ist nicht Liebe; so einfach ist das nicht. Ich will nicht mehr und nicht weniger, als alles nehmen und nichts dafür geben. Was ich will, ist Macht über Herzen und Brieftaschen der Männer. Mehr Macht können wir nicht an uns reißen, hier unten in Eden Grove, im Paradies, und selbst das bleibt mir verwehrt.
Ich stehe in meinem Schlafzimmer, unserem Schlafzimmer, Bobbos und meinem Schlafzimmer und bringe mein Gesicht in Ordnung, um so schnell wie möglich zu meinen häuslichen, ehelichen, mütterlichen Pflichten und meinen Schwiegereltern zurückkehren zu können.
Zu diesem Zwecke sage ich mir die Litanei vom braven Eheweib vor. Sie lautet folgendermaßen:
Ich muß so tun, als wäre ich glücklich, wenn ich unglücklich bin, zum Wohle von allen.
Ich darf mich nicht über mein Leben beschweren, zum Wohle von allen.
Ich muß für das Dach über meinem Kopf und das Essen auf meinem Tisch dankbar sein und das auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß ich den lieben langen Tag putze und koche und beim geringsten Anlaß von meinem Stuhl aufspringe, zum Wohle von allen.
Ich muß die Eltern meines Mannes dazu bringen, daß sie mich mögen, und meine Eltern, daß sie ihn mögen, zum Wohle von allen.
Ich muß mich dem Prinzip unterwerfen, daß derjenige, der außerhalb des Hauses am meisten verdient, auch innerhalb des Hauses am meisten verdient, zum Wohle von allen.
Ich muß das sexuelle Selbstvertrauen meines Mannes stärken, ich darf weder insgeheim noch öffentlich für andere Männer sexuelles Interesse zeigen; ich muß die Art und Weise ignorieren, wie er mich herabsetzt, indem er öffentlich andere Frauen preist, die jünger, hübscher und beruflich erfolgreicher sind als ich und mit denen er, falls möglich, heimlich schläft, zum Wohle von allen.
Ich muß ihn bei all seinen Unternehmungen moralisch unterstützen, wie unmoralisch sie auch sein mögen, um unserer Ehe willen. Stets und ständig muß ich so tun, als wäre ich ihm in jeder Hinsicht unterlegen.
Ich muß ihn lieben, in guten wie in schlechten Tagen, in Reichtum und in Armut und darf in meiner Loyalität niemals schwankend werden, zum Wohle von allen.
Aber diesmal funktioniert die Litanei nicht. Sie beschwichtigt nicht, sie macht mich wütend. Ich schwanke: Meine Loyalität schwankt! Ich schaue in mein Inneres! Ich finde Haß, jawohl, Haß auf Mary Fisher, heiß, stark und süß, aber kein Fitzelchen Liebe, nicht einmal eine dünne, sich windende Faser. Ich liebe Bobbo nicht mehr! Treppauf lief ich weinend und voller Liebe, treppab werde ich trockenen Auges und ohne eine Spur von Liebe gehen.
6
»Aber warum hat sie denn geweint?« wollte Brenda von Bobbo wissen, als Ruth die Treppe hochpolterte und das Haus erbebte. »Hat sie ihre kritischen Tage?«
»Ich denke schon«, sagte Bobbo.
»Welch eine Plage für eine Frau«, sagte Brenda, und Angus hüstelte bei dieser Wendung des Gesprächs leicht verlegen.
Kurz darauf kam Ruth lächelnd herunter und servierte die Suppe.
Bobbo hatte Ruth vor nun mehr als zwölf Jahren kennengelernt. Sie war eine von Angus’ Schreibkräften. Angus war in der Papierbranche tätig und arbeitete gerade auf seine zweite Million hin, die später durch die Einführung der Vermögenssteuer wie Schnee in der Sonne dahinschmolz. Angus und Brenda lebten ausnahmsweise mal in einem Haus und nicht in einem Hotel, was Bobbo zu schätzen wußte, obwohl er auswärts studierte. Die Examen für Buchprüfer ziehen sich über viele Jahre hin, was den Sohn (üblicherweise ist es ein Sohn) ungewöhnlich lange vom Vater abhängig macht.
Ruth war ein hilfsbereites, anstelliges Mädchen, das sich konzentrieren konnte und nicht ständig in den Spiegel schaute. Wenn möglich, vermied sie sogar den Blick in den Spiegel. Sie war noch keine zwanzig, wohnte aber nicht mehr zu Hause. Ihr Schlafzimmer war für die Modelleisenbahn ihres Stiefvaters benötigt worden. Aufgrund ihrer Ungeschicklichkeit und der Empfindlichkeit der Ausrüstung konnten sie und die Eisenbahn nicht gefahrlos ein Zimmer teilen. Einer von ihnen mußte gehen, und Ruth ließ sich leichter abschieben. Es kann Monate dauern, eine Gleisanlage richtig und auf Dauer aufzubauen und einzurichten; eine junge Frau kann sich überall niederlassen.
So war Ruth schließlich in einer Art Studentenheim untergekommen, das hauptsächlich von Verkäuferinnen bewohnt wurde; einer besonders schmalen, eleganten Sorte junger Frauen. Die Gürtel, die ihre Wespentaillen einschnürten, hätten nicht einmal Ruths Oberschenkel umspannt.
Der Auszug aus dem Heim ihrer Kindheit war ohne große Emotionen verlaufen; allen Beteiligten, Ruth eingeschlossen, war klar, daß sie diesem Ort entwachsen war. Sie mochte kein großes Theater. Sie hatte eine Klosterschule besucht, die von Nonnen der abergläubischen und nicht der intellektuellen Art geleitet wurde. Hier konzentrierte man sich darauf, die Mädchen auf ihre künftige Rolle als Frau und Hausmütterchen vorzubereiten; abgesehen von Schreibmaschine und Kurzschrift mußten keine Prüfungen abgelegt werden. Diese Ausbildung förderte Stoizismus und unterdrückte selbstsüchtige Regungen und