Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen

Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen


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      Inger Gammelgaard Madsen

      Der Schrei der Kröte

      Kriminalroman

      Aus dem Dänischen von

      Hanne Olsen

      Saga

      Der Schrei der Kröte

      Aus dem Dänischen von Hanne Olsen

      Originaltitel: Dukkebarnet © 2011 Inger Gammelgaard Madsen

      Umschlaggestaltung und Umschlagmotiv: www.buerosued.de

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711571682

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      *

      Als er sich aufrichtete, versanken die blankpolierten neuen Schuhe, die er nur zu besonderen Anlässen trug, im Morast, und er wäre beinahe nach hinten umgekippt.

      Das kribbelnde Gefühl von etwas Zerbrechlichem, das man zwischen den Fingern zerquetscht, überzog seine Haut auf unangenehme Weise. Gleichzeitig empfand er eine Heiterkeit, die an sexuelle Erregung erinnerte. Das Gefühl überraschte ihn – und dann auch wieder nicht. Es war wie damals mit den Kröten im Garten des Hauses seiner Kindheit, in den Pflanzen rings um den kleinen Gartenteich. Diese hässlichen, ekligen Kröten mit den Warzen auf dem Rücken! Plump und hilflos krochen sie über die gefliesten Gartenwege. Manche von ihnen waren genauso groß wie die Sohlen seiner Kinderschuhe. Wenn er auf sie trat, wedelten die kleinen Beinchen mit den vier kurzen Zehen, die wie amputiert aussahen, hilflos unter seinem Schuh. Der verzweifelt schreiende Heulton, den sie dann von sich gaben, ließ ihn nur noch fester treten. Bis er es knirschen hörte und es still wurde. Einige starben auch schweigend. Nicht alle Kröten konnten offenbar ihren Schmerz hörbar machen. Danach warf er die platten Leichen in den Gartenteich. Mama wunderte sich dann, welche Krankheit die Kröten wohl gehabt hatten, die da mit dem Bauch nach oben tot im Wasser lagen und zu riechen anfingen.

      Er stand da, ließ die Arme herabhängen und streckte abwechselnd die Finger aus und ballte sie wieder zu Fäusten, um das kribbelnde Gefühl loszuwerden. Die Hose war an den Knien dreckig. Hektisch versuchte er die Erde wegzuwischen. Er atmete angestrengt, stoßweise, spürte den Schweiß als klebrige Schicht auf der Stirn. Die feuchte Luft war schwülwarm wie eine schwere Decke. Der Geruch von fauligen Blättern und Morast stieg ihm in die Nase. Die Panik kam schleichend und mischte sich mit dem Gefühl der Frustration. Er blickte sich um. Es war niemand da. Ein Glück, dass es regnete, das hielt die Leute im Haus. Er schaute zum Himmel auf und ließ den Regen in sein Gesicht prasseln. Die kleinen kalten Schläge der Tropfen auf seiner Haut ließen ihn leicht zusammenschaudern. Auch ein Gefühl, das er seit seiner Kindheit nicht mehr empfunden hatte. Mit geschlossenen Augen trank er das Wasser, das auf seine Lippen tropfte.

      Unvermittelt blickte er auf sie hinab. Das Regenwasser hatte angefangen, sich in ihren Augenhöhlen zu sammeln. Der Körper war überraschend schwer, als er ihn aufhob. Ein Arm fiel schlapp nach unten, klatschte gegen seine Hüfte, als er im Regen zu laufen begann. Das Wasser strömte an ihren Wangen hinunter wie Tränen. Er spürte, wie ihm das Weinen im Hals hochstieg. Warum hatte sie geschrien? Er hasste dieses Heulen. Sie hätte einfach tun sollen, was er ihr sagte. Die Tränen mischten sich mit dem Regenwasser. Sie schmeckten salzig in seinem Mund.

      1

      Die Stimme des Nachrichtensprechers im Radio berichtete von verschiedenen Unruhen und Selbstmordattentaten im Mittleren Osten. Ohne zu verfolgen, was im Einzelnen gesagt wurde, lauschte sie der Stimme. Es war alles so weit weg. Wie auf einem anderen Planeten, schien es ihr. Dänemark ist einem Terrorangriff näher gekommen, seit wir zusammen mit den Amerikanern im Irak in den Krieg gezogen sind, sagte ihr Mann zwar immer wieder. Und dass die Welt grausam sei. Aber es war nicht ihre Welt. Sie fühlte sich in Dänemark geborgen, vor allem in Jütland und insbesondere in Aarhus, wo selten mehr passierte als ein paar Überfälle und die eine oder andere Vergewaltigung. Natürlich war so etwas schon schlimm genug, aber selbst das bewegte ihre kleine Welt in ihrem Haus im Aarhuser Stadtteil Brabrand nicht – eine Welt, die von einer hohen Ligusterhecke geschützt war.

      Die Nachrichten waren zu Ende und wurden von Musik abgelöst. Beim Lied »Kære lille mormor« des dänischen Schlagersängers Richard Ragnwald summte sie mit. Dabei sah sie durch das Küchenfenster, wie ihre Teenager-Tochter zum Haus zurückgerannt kam. Der Abfalleimer an der Haustür war übervoll gewesen, weil sie vergessen hatten, ihn am Abend zuvor für die Müllabfuhr heute Morgen an die Straße zu stellen. Und deshalb hatte sie Maria, die ohnehin die ganze Zeit nur mit ihrem sogenannten iPod in ihrem Zimmer herumhing, gebeten, ihn hinunter zum Container zu bringen. Sie verstand sich nicht auf all diese modernen Geräte, die junge Mädchen heutzutage haben mussten.

      Mit den beiden anderen, die nun längst schon von zu Hause weggezogen waren, war es nicht so gewesen. Sie hatten eigentlich nicht geplant gehabt, noch einmal ein Kind zu bekommen, aber dann ...

      Sie richtete den Blick in den Himmel. Bald würde es wieder regnen. Wo blieb diesen Sommer die Sonne? Lange war kein Sommer mehr so verregnet gewesen wie in diesem Jahr 2007.

      Maria taumelte atemlos in die Küche, ohne die Schuhe auszuziehen.

      »Mama, Mama! Irgendwas liegt im Container!«

      »Was soll da liegen?«

      Im Radio hatte ein Journalist eine Diskussion mit einem Politiker angefangen. Sie schaltete aus.

      »Eine Hand.« Marias Stimme zitterte.

      Meine Teenager-Tochter schaut zu viele Filme, dachte sie lächelnd und fuhr fort die Schwarzbrotscheiben für das Mittagessen zu schmieren. Und an Fantasie hat es ihr auch nie gemangelt.

      »Ach, da hat wahrscheinlich nur jemand eine Puppe weggeworfen, glaubst du nicht?«

      »Nein!« Das Mädchen atmete schwer.

      Als sie den Blick auf ihre Tochter richtete, wurde ihr bewusst, dass hier wohl wirklich etwas nicht stimmte. Maria war leichenblass. In ihren Augen leuchtete eine Angst, wie sie sie noch nie zuvor an ihr erlebt hatte. Verkrampft hielt sie die Abfalltüte noch immer fest in der Hand. Dann fing sie an zu weinen und ließ die Tüte auf den frisch geputzten Küchenboden fallen.

      Beunruhigt trocknete sie sich die Hände an der Schürze ab. »Aber so was, Liebes, du musst dich täuschen. Das kann doch nicht sein!«

      Sie zog sich schnell einen Pullover über.

      »Dann gehe ich mal selbst hin und kläre, was genau das ist, was du da für eine Hand hältst.«

      Mit sanftem Druck gebot sie Maria, die nun am ganzen Körper zitterte, sich auf einen Stuhl am Küchentisch zu setzen. Sie füllte schnell ein Glas kaltes Wasser aus dem Hahn und stellte es vor ihre Tochter hin.

      »Trink einen Schluck, ich bin gleich zurück.«

      »Nein, Mama, du darfst da nicht hingehen. Was ist, wenn der Mörder noch in der Nähe ist?!«

      Sie lächelte nachsichtig. »Sehen wir erst einmal nach, worum es sich überhaupt handelt.«

      Auf dem Weg zum Abfallcontainer fühlte sie trotzdem, wie die Unruhe in ihr aufstieg und größer wurde, und ihre Beine begannen zu zittern. Wenn es wirklich stimmte, was ihre Tochter sagte, was sollte sie dann tun? Sogleich schüttelte sie den Kopf über ihre Gedanken. Natürlich lag da keine Hand im Abfallcontainer. Die Luft war schwülwarm und feucht. Sie zog an ihrer Bluse, hielt sie vom Leib weg, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Die abgenutzten


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