Das Zeichen der Vier. Sir Arthur Conan Doyle

Das Zeichen der Vier - Sir Arthur Conan Doyle


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      Arthur Conan Doyle

      Das Zeichen der Vier

      Autorisierte Uebersetzung von

       :: Margarete Jacobi ::

      Saga

      Das Zeichen der Vier ÜbersetzerMargarete Jacobi Copyright © 1890, 2019 Arthur Conan Doyle und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726372144

      1. Ebook-Auflage, 2019

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      1. Kapitel

      Beobachtung und Schlussfolgerung.

      Durch seinen Scharfsinn und seine unermüdliche Tatkraft erfüllte mich Sherlock Holmes stets von neuem mit Bewunderung. Wenn er jedoch das Rätsel gelöst hatte, so schien alle Geistesfrische von meinem Freund gewichen, und er versank in völlige Apathie.

      Ihn in diesem Zustand zu sehen, war für mich äusserst peinlich, aber noch unleidlicher erschien mir das Mittel, welches er anwandte, um seinen Trübsinn zu verscheuchen.

      Auch heute, als wir im Zimmer beisammensassen, langte Sherlock Holmes das Fläschchen von der Ecke des Kaminsimses herunter und nahm die Injektionsspritze aus dem sauberen Lederetui. Mit seinen weissen, länglichen Fingern stellte er die feine Nadel ein, und schob seine linke Manschette zurück. Eine kleine Weile ruhten seine Augen gedankenvoll an den zahllosen Narben und Punkten, mit denen sein Handgelenk und der sehnige Vorderarm über und über bedeckt waren. Endlich bohrte er die scharfe Spitze in die Haut, drückte den kleinen Kolben nieder und sank mit einem Seufzer innigsten Wohlbehagens in seinen samtenen Lehnstuhl zurück.

      Seit vielen Monaten hatte ich diesen Hergang täglich dreimal mit angesehen, ohne mich jedoch damit auszusöhnen. Im Gegenteil, Tag für Tag steigerte sich mein Verdruss bei dem Anblick, und in der Nacht liess mir der Gedanke keine Ruhe, dass ich zu feige war, dagegen einzuschreiten. So oft ich mir aber vornahm, meine Seele von der Last zu befreien, immer wieder erschien mir inein Gefährte mit der kühlen, nachlässigen Miene als der letzte Mensch, dem gegenüber man sich Freiheiten herausnehmen dürfe. Seine grossen Fähigkeiten, die ganze Art seines Auftretens, die vielen Fälle, in denen er seine ausserordentliche Begabung schon vor mir betätigt hatte — das alles machte mich ihm gegenüber ängstlich und zurückhaltend.

      Aber an diesem Nachmittage fühlte ich plötzlich, dass ich es nicht länger aushalten könne. Der starke Wein, den ich beim Frühstück genossen, mochte mir wohl zu Kopfe gestiegen sein, vielleicht hatte mich auch Holmes’ umständliche Manier ganz besonders gereizt.

      „Was ist denn heute an der Reihe, fragte ich kühn entschlossen, „Morphium oder Kokain?“

      Er erhob die Augen langsam von dem alten Folianten, den er aufgeschlagen hatte.

      „Kokain, sagte er, „eine Lösung von sieben „Prozent. Wünschen Sie's zu versuchen, Doktor Watson?

      „Wahrhaftig nicht,“ antwortete ich ziemlich barsch. „Ich habe die Folgen des afghanischen Feldzugs noch nicht verwunden und kann meiner Konstitution dergleichen nicht zumuten.“

      Er lächelte über meine Heftigkeit. „Vielleicht haben Sie recht, der physische Einfluss ist vermutlich kein guter. Ich finde aber die Wirkung auf den Geist so vorzüglich anregend und klärend, dass alles andere von geringem Belang ist.“

      „Aber überlegen Sie doch,“ mahnte ich eindringlich, „berechnen Sie die Kosten! Mag auch Ihre Hirntätigkeit belebt und angeregt werden, so ist es doch ein widernatürlicher, krankhafter Vorgang, der einen gesteigerten Stoffwechsel bedingt und zuletzt dauernde Schwäche zurücklassen kann. Auch wissen Sie ja selbst, welche düstere Reaktion Sie jedesmal befällt. Wahrlich, das Spiel kommt Sie zu hoch zu stehen. Um eines flüchtigen Vergnügens willen setzen Sie sich dem Verlust der hervorragenden Fähigkeiten aus, mit denen Sie begabt sind. Ich sage Ihnen das nicht nur als wohlmeinender Freund, sondern als Arzt, da ich mich in dieser Eigenschaft gewissermassen für Ihre Gesundheit verantwortlich fühle. Bedenken Sie das wohl!”

      Er schien nicht beleidigt. Seine Ellenbogen auf die Armlehnen des Stuhls stützend, legte er die Fingerspitzen gegeneinander, wie jemand, der sich zu einem Gespräch anschickt.

      „Mein Geist,“ sagte er, „empört sich gegen den Stillstand. Geben Sie mir ein Problem, eine Arbeit, die schwierigste Geheimschrift zu entziffern, den verwickeltsten Fall zu enträtseln. Dann bin ich im richtigen Fahrwasser und kann jedes künstliche Reizmittel entbehren. Aber ich verabscheue das nackte Einerlei des Daseins; mich verlangt nach geistiger Aufregung. Das ist auch die Ursache, weshalb ich mir einen eigenen, besonderen Beruf erwählt oder vielmehr geschaffen habe; denn ich bin der einzige meiner Art in der Welt.“

      „Der einzige, nicht angestellte Detektiv?“ — fragte ich mit ungläubiger Miene.

      „Der einzige, nicht angestellte beratende Detektiv,“ entgegnete er. Ich bin die letzte und sicherste Instanz im Detektivfach. Wenn Gregson, oder Lestrade, oder Athelney Jones auf dem Trocknen sind — was, beiläufig gesagt, ihr normaler Zustand ist — so wird mir der Fall vorgelegt. Ich untersuche die Tatsachen als Kenner und gebe den Ausspruch des Spezialisten. Mein Name erscheint in keiner Zeitung, ich beanspruche keinerlei Anerkennung. Die Arbeit an sich, das Vergnügen, ein angemessenes Feld für meine besondere Gabe der Beobachtung und Schluss folgerung zu finden, ist mein höchster Lohn. — Übrigens bin ich nicht ganz unbekannt; meine kleinen Schriften werden jetzt sogar ins Französische übertragen.“

      „Ihre Schriften?“

      „O, wussten Sie es nicht?“ rief er lachend. „Sie behandeln lauter technische Gegenstände. — Hier ist z. B. eine Abhandlung ,Über die Verschiedenheit der Tabaksasche‘. Ich zähle da hundert und vierzig Sorten auf: Rauchtabak, Zigarren und Zigaretten, deren Asche sich unterscheiden lässt, wie Sie aus den beigedruckten, farbigen Tafeln ersehen. Vor Gericht ist das oft von der grössten Bedeutung. Wenn man z. B. mit Bestimmtheit sagen kann, dass ein Mord von einem Manne verübt worden ist, der eine indische Lunkah rauchte, so wird dadurch offenbar das Feld der Untersuchung wesentlich beschränkt. Für das geübte Auge unterscheidet sich die schwarze Asche der Trichinopolly-Zigarre von den weissen Fasern des Birds Eye-Tabaks wie ein Kohlkopf von einer Kartoffel.“

      „Sie haben ein ausserordentliches Genie für kleine. Nebendinge,“ bemerkte ich.

      „Ich erkenne ihre Wichtigkeit. — Hier ist ferner mein Aufsatz über die Erforschung der Fussspuren, mit Anmerkungen über den Gips als Mittel, die Abdrücke zu bewahren. Dies hier ist ein kleines, merkwürdiges Schriftchen über den Einfluss des Handwerks auf die Form der Hand, mit Abbildungen der Hände von Dachdeckern, Schiffern, Zimmerleuten, Schriftsetzern, Webern, Diamantschleifern und so weiter. Das ist von grossem praktischen Interesse für den wissenschaftlichen Detektiv, besonders wo es sich um die Erkennung von Leichen oder um die Vorgeschichte der Verbrecher handelt. — Aber ich langweile Sie mit meinem Steckenpferde.“

      „Durchaus nicht,“ erwiderte ich eifrig. „Ich interessiere mich sehr dafür, seit ich Gelegenheit hatte, Zeuge seiner praktischen Anwendung zu sein. Sie sprachen soeben von Beobachtung und Schlussfolgerung, sind diese nicht in gewissem Grade gleichbedeutend?“

      „Hm — kaum.“

      Er lehnte sich behaglich in den Lehnstuhl zurück und blies dichte blaue Wolken aus seiner Pfeife. „Die Beobachtung zeigt mir z. B., dass Sie heute früh in der Wigmorestrasse auf der Post gewesen sind, aber die Schlussfolgerung lässt mich wissen, dass Sie dort ein Telegramm aufgegeben haben.“

      „Richtig! Beides trifft zu,“ rief ich. „Aber wie in aller Welt haben Sie das herausgebracht? Der Gedanke kam mir ganz plötzlich, und ich habe keiner Seele etwas davon gesagt.“

      „Das ist lächerlich einfach,“ sagte er, vergnügt über mein Erstaunen, und erklärt


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