Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Satz auf:
›Was sagen Sie da!‹
›Daß ich Herrn Privas bezahlt habe.‹
›Sie sind wohl toll!‹
›Warum denn?‹
›Warum! warum! warum!‹
Er nimmt die Brille ab, wischt daran, und sagte dann lächelnd mit jenem komischen Lächeln, das um seine dicken Wangen spielt, wenn er etwas Boshaftes oder etwas Bedeutendes sagen will, in höhnischem und überzeugtem Ton:
›Warum – weil wir mindestens vier bis fünf Tausend Franken Rabatt hätten kriegen können!‹
Montelin antwortet erstaunt:
›Aber Herr Direktor, die Rechnungen stimmten genau. Ich hatte sie durchgesehen, und Sie hatten sie anerkannt.‹
Da erklärt der Chef, der wieder ernst geworden:
›Sie sind aber wirklich naiv! Wissen Sie, Herr Montelin, man muß seine Schulden anwachsen lassen, um akkordieren zu können!‹
Und Saint-Potin fügte hinzu, indem er eine Kennermiene aufsetzte:
– Nun? Ist das nicht der reine Balzac!
Duroy hatte nie etwas von Balzac gelesen, aber er antwortete überzeugt:
– Gott verdamm’ mich, ja!
Dann sprach der Reporter von Frau Walter, die eine dumme Pute sei, von Norbert von Varenne, der ein alter impotenter Narr wäre, von Rival, der nichts sei als ein dritter Aufguß von Fervacques. Dann kam er auf Forestier zu sprechen:
– Na der, der hat eben Schwein mit seiner Frau gehabt. Weiter nichts.
Duroy fragte:
– Wie ist denn eigentlich so die Frau?
Saint-Potin rieb sich die Hände:
– O, die ist gerissen, fein, fein! Sie ist die Maitresse eines alten Lebemannes, der Vaudrec heißt, Graf Vaudrec. Er hat ihr die Ausstattung geschenkt und sie verheiratet.
Duroy überlief es kalt, eine Art von Nervenschauer. Er hatte das Bedürfnis, diesen alten Schwätzer zu beschimpfen und zu ohrfeigen. Aber er unterbrach ihn einfach und fragte:
– Heißen Sie eigentlich wirklich Saint-Potin?
Der andere antwortete:
– Nein, ich heiße Thomas. Ich werde nur bei der Zeitung Saint-Potin genannt.
Und Duroy fagte, indem er zahlte:
– Aber ich glaube, es ist schon spät, und wir müssen zwei hohe Herren aufsuchen.
Saint-Potin fing an zu lachen:
– Na, Sie sind aber noch naiv! Glauben Sie denn wirklich, daß ich diesen Chinesen und den Indier fragen werde, was sie über England denken? Ich weiß doch viel besser, wie die, was sie denken müssen für die Leser der ›Vie française‹. Ich habe mindestens fünfhundert solcher Chinesen, Perser, Hindus, Chilenen, Japaner und andere Kerle interviewt. Wie ich’s mache, antworten sie alle dasselbe. Ich brauche bloß meinen letzten Artikel wieder vorzunehmen, ihn Wort für Wort abzuschreiben. Man braucht nur ihr Äußeres, Namen, Titel, Alter, Gefolge und so weiter zu ändern. In so was darf man sich nicht irren, denn das würden sofort Figaro oder Gaulois aufstechen. Aber darüber erfahre ich binnen fünf Minuten von den Portiers vom Bristol und vom Continental alles. Kommen Sie, wir gehen zu Fuß hin und rauchen noch eine Zigarre. Der Hauptwitz ist, daß wir hundert Sous für Wagen unserem Blatt anschmieren. Sehen Sie lieber Freund, so wirds gemacht, wenn man praktisch ist.
Duroy fragte:
– Na wenns mit dem Reporter-sein so ist, dann bringts ja was ein.
Der Journalist antwortete geheimnisvoll:
– Ja wissen Sie, das bringt aber noch lange nicht so viel ein, wie die versteckten Reklamen unter Lokales.
Sie waren aufgestanden und gingen den Boulevard hinab der Madeleine zu, und Saint-Potin sagte plötzlich zu seinem Begleiter:
– Wissen Sie, wenn Sie etwa irgend was vorhaben, ich brauche Sie nicht.
Duroy drückte ihm die Hand und ging.
Der Gedanke an den Artikel, den er heute abend noch schreiben mußte, quälte ihn und er fing an nachzusinnen. Er sammelte allerlei Gedanken, Überlegungen, Urteile, Anekdoten, während er die Straße bis ans Ende der Avenue des Champs-Elysées verfolgte. Man sah dort nur wenige Spaziergänger, denn während der heißen Jahreszeit war Paris leer.
Nachdem er in der Nähe des Arc de Triomphe in einer Weinhandlung gegessen hatte, kehrte er langsam zu Fuß über die äußeren Boulevards nach Haus zurück und setzte sich an seinen Tisch, um zu arbeiten.
Aber sobald er das große weiße Blatt vor Augen hatte, war alles, was er an Material gesammelt hatte, aus seinem Geist wie weggeblasen, als ob sich sein Gehirn verflüchtigt hätte. Er versuchte die letzten Brocken seiner Erinnerungen zusammenzuhalten und niederzuschreiben. Aber je mehr er sich bemühte sie zu sammeln, desto weiter entwichen sie ihm oder kamen ihm so im Kopfe durcheinander, daß er nicht wußte, wie er sie anführen und anbringen, noch womit er anfangen sollte.
Nachdem er sich eine Stunde abgequält und fünf Bogen Papier voll geschmiert mit lauter Anfängen, die nicht weiter gingen, sagte er sich: ich bin eben noch nicht geübt im Beruf. Ich muß noch eine Stunde nehmen.
Und sofort überkam ihn zitternd vor Begierde das Verlangen nach einem Morgen gemeinsamer Arbeit mit Frau Forestier und die Hoffnung auf ein langes, intimes, herzliches, so süßes Alleinsein. Er ging schnell zu Bett, er hatte jetzt Angst, es möchte etwa plötzlich gehen, wenn er sich wieder an die Arbeit setzte.
Am nächsten Morgen stand er etwas spät auf, denn er wollte das Vergnügen, das ihm dieser Besuch bereitete, möglichst hinausschieben, um es in Gedanken durchzukosten.
Als er an der Thür seines Freundes klingelte, war es zehn Uhr vorüber.
Der Diener antwortete:
– Der Herr ist eben bei der Arbeit.
Duroy hatte gar nicht daran gedacht, daß der Mann da sein könnte. Aber er blieb dabei:
– Sagen Sie ihm nur, ich wäre es, es handelte sich um eine wichtige Angelegenheit.
Er mußte fünf Minuten warten. Dann wurde er in das Zimmer geführt, wo er eine so schöne Morgenstunde verlebt hatte.
An der Stelle, wo er gesessen, saß nun Forestier in Schlafrock und Pantoffeln, eine englische Reisemütze auf dem Kopf und schrieb, während seine Frau wieder in demselben weißen Morgenrock am Kamin lehnte und ihm, eine Zigarette im Munde, diktierte.
Duroy blieb auf der Schwelle stehen und murmelte:
– Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich störe!
Und sein Freund, der ihn wütend angeblickt, brummte:
– Was willst Du denn nur? Mach schnell, wir haben keine Zeit!
Der andere stammelte verlegen:
– Nein, es ist nichts, pardon ….
Aber Forestier ward böse:
– Himmelsakrament! Nu verlier doch keine Zeit! Du wirst doch nicht hier hereingeplatzt sein, bloß um guten Morgen zu sagen.
Dann entschloß sich Duroy, der sehr verwirrt war, zu sagen:
– Nein – aber – nämlich – ich kriege meinen Artikel nicht fertig, und Du bist – Sie sind so reizend das letzte Mal gewesen, daß – daß ich hoffte, – daß ich’s gewagt habe –
Forestier schnitt ihm das Wort ab:
– Zum Donnerwetter! Du machst Dich wohl über uns alle lustig! Du denkst wohl, ich werde Deine Arbeit machen und Du brauchst bloß am Ersten das Gehalt einzuziehen. Nee, so haben wir nicht gewettet!
Die