Der einsame Mann. Clara Viebig

Der einsame Mann - Clara Viebig


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      Clara Viebig

      Der einsame Mann

      Roman

      Saga

      Erstes Kapitel

      Wenn jetzt der Oberst Eugen Freiherr von Rettberg durch die Strassen des kleinen Städtchens stapfte, drehte sich keiner mehr nach ihm um. Man war an ihn gewöhnt, nun kannten ihn alle. Er ging immer langsam, er hatte ja Zeit, ihn erwartete keine drängende Arbeit. In den hohen Reiterstiefeln, die er stets trug, wie damals im Dienst, und mit der gleichen Haltung wie vor dem Regiment, machte er noch immer gute Figur. Von weitem konnte man ihn für einen jungen Mann halten, nur wenn man von nah sein Gesicht sah, die Falten, die wie eingegraben von der Nase herab zum Kinn liefen und die Mundwinkel herabzogen, merkte man’s: der hatte die Mitte des Lebens schon hinter sich. Er wurde respektvoll gegrüsst — ein Freiherr, ein Oberst! — die Schüler des Gymnasiums zogen die bunten Mützen, einzelne kleine Jungen, die auf der Strasse Kreisel schlugen oder mit Murmeln in den Löchern des holprigen Pflasters spielten, kamen sogar herzugelaufen und gaben ihm die Hand. Und er nahm die kleinen schmutzigen Hände, lächelte ein bisschen und sagte: »Morjen«.

      Der Baron war kinderlieb; sonst hätte er vielleicht auch nicht bei Frau Doktor Arndt gemietet. Die wohnte ziemlich weit draussen, so weitab, dass winters bei schlechtem Wetter ihr Hans-Helmut öfter einmal nicht zur Schule kam. Das heisst, gekonnt hätte er das schon, andere Kinder kamen sogar aus Nachbardörfern viel weiter her zur Schule. Verdenken konnte man es der Mutter aber nicht, dass sie ängstlich war, ihr Mann war so rasch weggestorben, plötzlich nach einer schweren Erkältung an galoppierender Schwindsucht. Sie, die feine Frau, der man noch immer die grosse Dame anmerkte — sie sollte aus vornehmem Hause sein und sich gegen den Willen ihrer Familie mit dem einfachen Doktor verheiratet haben —, musste nun draussen vor der Stadt in das kleine Häuschen ziehen, weil das billig war, und an Sommergäste vermieten.

      Das Haus hatte eine schöne Lage; es stand auf einer hohen Ummauerung, unten führte die Strasse vorbei, hinter ihm stieg der Berg steil auf und an ihm, in Terrassen gebaut, hingen Gärten und Gärten, in denen es in fast südlicher Fülle blühte. Goldene Trauben reiften, Mirabellen, Aprikosen, Pfirsiche, Quitten und Mispeln, allerlei Obst, das viel Sonne braucht.

      Als der Baron vom Hotel, wo er Wohnung genommen hatte, am Fluss entlang hier vorbeigeschlendert war, hatte er gar nicht die Absicht gehabt, in eine Privatwohnung zu ziehen; er konnte ja im Gasthaus wohnen bleiben, seine Pension und die Zinsen seines kleinen Vermögens reichten schon aus, und man war da auch bedeutend ungenierter. Und doch zog er die Klingel, die Blumentöpfe am Fenster sahen so freundlich aus.

      Die Frau Doktor öffnete selber; sie hatte den Milchmann erwartet, nun war sie erschrocken, einen Herrn zu sehen. Hätte sie das geahnt, würde sie nicht aufgemacht haben, ehe sie wenigstens über ihren Kattunmorgenrock noch den seidenen Schal geworfen hatte. Ein verlegenes Rot stieg in ihr Gesicht, das welk war wie eine müde Blume. Sie war einmal schön gewesen; aber jung war sie schon nicht mehr, als sie heiratete, und nun hatten der Kummer und die Sorgen des Alltags das letzte von Jugend weggewischt.

      Der Baron war erstaunt, dass sie, als eine Tür knarrte und ein Knabe neugierig den Kopf durch den Spalt steckte, sagte: »Mein Sohn!« Er hätte »Enkel« erwartet.

      »Hans-Helmut, sage guten Tag!«

      Artig verneigte sich der Knabe. Er hatte schöne, sehr dunkle sanfte Augen; den Oberst erinnerten sie plötzlich an allerlei schöne Augenpaare, die er früher in seiner flotten Zeit bewundert hatte.

      »Wie alt bist du, mein Sohn?«

      »Sieben Jahr.« Leise klang die Kinderstimme, und wie ein errötendes Mädchengesicht war das Knabenantlitz.

      Der Oberst sah die zu vermietenden Räume an: ein kleines Wohnzimmer im ersten Stock, ein noch kleineres Schlafzimmer. Aber vom Wohnzimmer aus sah man den Fluss, jenseit der Strasse, langsam und schmeichelnd vorbeifliessen, sah grosse Nussbäume und drüben am anderen Ufer die Weinberge. Vom Schlafzimmer sah man in den kleinen Berggarten, sah die wuchernde Rosenhecke, die Geissblattlaube, Salat, Gemüse, Suppenkräuter, mitten dazwischen blühenden Phlox und feurige, stark duftende Nelken.

      »Sie könnten den Garten so gut wie für sich allein haben,« sagte die Frau. »Mein Sohn wird Sie nicht weiter stören, er ist ein stilles Kind.«

      »Er stört mich nicht.« Der Baron versprach morgen wieder zu kommen und liess seine Karte da. Auf dem Rückweg überlegte er: es war am Ende doch zu weitab. Für den Sommer freilich schön — aber im Winter?! Sehr unbequem. Und ob es sich gut heizte? Danach hatte er gar nicht gefragt. Angenehm war es auch nicht, so als einsamer Junggeselle nur auf diese langweilige verscheuchte Frau angewiesen zu sein. Es war wohl besser, er wohnte im Gasthof, wenn er überhaupt in diesem Nest blieb; das wurde ihm auf die Dauer vielleicht doch zu langweilig. Aber hingehen würde er noch einmal und gleich absagen, damit die Dame sich nicht etwa anderes verschlug. — —

      Dieses Mal brauchte er nicht zu läuten. Auf der Treppenstufe vor der Tür sass der Knabe, er war ganz umflossen von Sonnenlicht. Es war so warm hier auf der kleinen Plattform vorm Haus, weiche Luft tändelte und hob die dunkle Locke auf des Knaben Stirn, die kraus gezogen war. Die Schiefertafel auf den Knien, den Griffel in der Hand sass er da, Schweiss perlte ihm auf der Stirn, Tränen standen ihm in den Augen: ach, diese Aufgabe brachte er nicht heraus! Und gestern hatte er schon nachsitzen müssen, weil sein Rechnen falsch war! Hilflos, verwirrt sah er den Herrn an. Als dieser fragte: »Na, lass mal sehen! Na, wieviel ist denn siebzehn durch drei?« stürzten die Tränen.

      Wie zwei Kameraden sassen sie dann auf der Treppenstufe und rechneten die Aufgabe aus. Der Knabe war glückselig, seine Schüchternheit schwand, vertraulich schmiegte er sich an den Retter: »Wenn Sie mir’s erklären, versteh ich es ganz gut. Helfen Sie mir morgen wieder? Sie helfen mir alle Tage, nicht wahr?«

      Und der Junggeselle mietete die Zimmer. Mit dem, was ihm anfänglich nicht so gefiel, hatte er sich bald abgefunden. Die Frau Doktor war gar nicht übel, sie war wirklich eine Dame. Von dem Augenblick an, da Frau Arndt seine Karte in Händen gehalten hatte, war sie auch nicht mehr so verscheucht und zurückhaltend: endlich einmal wieder einer aus ihren Kreisen. Sie fühlte sich ihm näher als den anderen hier, trotzdem sie die doch alle viel länger kannte. Man fand sogar einige gemeinsame Bekannte heraus; freilich Menschen, die man vor Jahren nur flüchtig gestreift hatte, aber es waren Berührungspunkte, sie gaben Unterhaltungsstoff.

      Es war Rettberg höchst peinlich gewesen, dass die Frau Doktor selber seine Zimmer aufräumte und sein Bett machte. Er war ein pedantisch ordentlicher Mensch und liess nichts herumliegen, aber jeden ausgezogenen Strumpf, jedes gewechselte Hemd konnte man doch nicht sofort beiseite schaffen. Hätte er geahnt, dass kein Dienstbote vorhanden war, nie hätte er hier gemietet. Gleich am ersten Morgen machte er diese unliebsame Entdeckung. Er war früh aufgestanden, er hatte nicht sonderlich geschlafen. Die Härte des Bettes hatte ihn nicht am Schlafen gehindert, als alten Soldaten störte ihn die nicht, im Gegenteil, sie erinnerte ihn an Feldbetten; aber wenn man über die Fünfzig ist, muss man sich die erste Nacht immer an’s neue Bett gewöhnen. Doch angenehm still war es hier.

      Er stand vorm kleinen Spiegel und bürstete das dichte grau gesprenkelte Haar mit Brillantine, bis es sich glatt und glänzend, wie angeklebt an den Schädel legte; und dann wichste er den starken Schnurrbart, den er immer trug, nicht bloss weil es jetzt die Mode war, und zwirbelte ihn in zwei spitzen Enden auf. In wollenem Unterhemd und Hosenträgern ging er dann zur Tür, vor die er spät abends seine Reiterstiefel gestellt hatte. Er wollte gleich hinunter in den Garten gehen.

      Der lag köstlich erfrischt da in der Morgenfrühe. Ein Duft von Tau und Blumen stieg lockend hinauf durchs offene Fenster. Von fern krähten Hähne, von irgend woher rief eine Turmuhr mit dunkler Stimme: »Fünf«.

      Die Stiefel waren nicht da. Natürlich so früh war so ein faules Dienstmädchen noch nicht auf! Er würde sich’s ausbitten, dass seine Stiefel noch gleich am selben Abend geputzt wurden, seine Burschen hatten das immer so gemacht, darauf hatte er gehalten. Die Stirn des Mannes, die der schöne Morgen heiter angeglänzt hatte, verfinsterte sich: zum Donnerwetter, die Stiefel mussten auf ihn warten, nicht er auf die Stiefel! Da hörte er unten im Hausflur


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