Meerjungfrau sucht Mann fürs Leben. Hanne-Vibeke Holst

Meerjungfrau sucht Mann fürs Leben - Hanne-Vibeke Holst


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      Hanne-Vibeke Holst

      Meerjungfrau sucht Mann fürs Leben

      Aus dem Dänischen von Christel Hildebrandt

      Saga

      Meerjungfrau sucht Mann fürs Leben ÜbersetztChristel Hildebrandt Original Det virkelige livCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1994, 2020 Hanne-Vibeke Holst und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726569575

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

Für die Frauen in meinem Leben

      Meine Mutter bekam ihre Wehen im ersten Akt von »Nora oder Ein Puppenheim«, sie spielte unbeeindruckt weiter und hätte fast einen Monat zu früh auf offener Bühne ein Kind geboren.

      Birgitte, meine Busenfreundin, wachte eines Morgens in einem Meer auf und fuhr in erhabener Ruhe mit Jens, dem Zeichendreieck, der sich an sein Mobiltelefon klammerte, ins Krankenhaus und ich – ich gebäre überhaupt nicht.

      Wenn man die ganze Geschichte betrachtet, schon reichlich ironisch, daß ich jetzt die 41. Woche hinter mir habe, ohne, wie es so schön nüchtern auf Englisch heißt, delivered zu haben. Rein klinisch gesehen bin ich ansonsten als reif beurteilt worden. Der Gebärmutterhals ist auf dem Weg, sich zu verwischen, der Schleimpfropfen ist abgegangen und das Fleisch weich und gefügig. Das Kind hat sich schon seit langem gedreht, sein Kopf steht wie ein eingeschraubter Baseball fest zwischen meinen Schenkeln, und sein Gewicht scheint um die 3400 g zu liegen. »Das fühlt sich da einfach nur wohl!« erklärte Birgitte fröhlich, und Paul erinnert mich daran, daß ich ein Wunder in mir trage. »Wir hätten es ebensogut verlieren können!«

      Ja, und ich bin die erste, die dieses Wunder preist. Auf einer Bahre nach Hause geflogen, auf der Landebahn mit einem Krankenwagen abgeholt und im Krankenhaus von einem instruierten Team mit finsteren Mienen empfangen zu werden und danach mit der Diagnose »vorzeitige Wehen« zwischen weißen Wänden und ergreifenden Schicksalen auf einer gynäkologischen Abteilung für Wochen eingesperrt zu werden verändert dich. Du wirst demütig. Das Leben ist nichts Selbstverständliches mehr. Weder das eigene noch das, welches du hervorbringst. Deshalb ist es nicht Undankbarkeit oder kindische Ungeduld, die mich den Gynäkologen immer wieder fragen läßt, wann zu erwarten ist, daß die Geburt beginnt, und warum ich nicht schon längst geboren habe. Im Gegenteil, es ist die Angst, daß sich das Drama wiederholen könnte. Daß ich doch noch für mein unbedachtes Moskau-Abenteuer bestraft werde, daß ich nur nicht glauben soll, ich könnte so einfach davonkommen. Ich bin ja mit dem Schrecken davongekommen, habe die Krise überstanden und bin mit einem Urin, klar wie Wasser, gesund geschrieben worden, mit einem Blutdruck wie eine keusche Jungfrau und einem Fötus, der nach allen Untersuchungen, Ultraschallbildern und den Zeichen von Sonne und Mond, von denen sich kein moderner Mediziner gänzlich loszusagen traut, vollkommen unbeschadet und normal sein soll.

      Aber wie damals, als ich als junges Mädchen von einem Lastwagen auf dem Rad angefahren wurde und mir einen Fuß gebrochen hatte und danach viel mehr damit beschäftigt war, den schockierten Fahrer zu trösten, als mich um mein eigenes Unglück zu kümmern, kam die Reaktion auch jetzt erst später. Damals traute ich mich ein halbes Jahr lang nicht, mich auf mein neues Rennrad mit zehn Gängen zu setzen, das ich als Ersatz für mein lädiertes bekommen hatte. Und als die Phobie endlich überstanden war, hatte meine Schwester Kiki das Rad geklaut und nach Christiania geschleppt, wo es spurlos verschwand.

      Während ich auf der Station lag, war ich auch diejenige, die die ganze Situation am entspanntesten ertrug. Ich, die Paul lautstark versicherte, daß alles gutgehen würde. Ich, die unter keinen Umständen zulassen wollte, daß Mutter ihren und Freddys Toskana-Urlaub abbrach und ich, die Seelsorgerfunktionen für die urlaubsreifen Krankenschwestern übernahm, welche kollektiv vom schlechten Gewissen geplagt waren, weil sie mit tiefem, menschlichem Leid gezwungenermaßen oberflächlich und zeitweise sogar brutal umgehen mußten. Sie schimpften, als sie im Bett meiner Zimmernachbarin Agnes Kaffeesatz fanden, da diese in einem verzweifelten Versuch, zum vierten Mal ein Kind zu behalten, den Anweisungen einer westjütländischen Quacksalberin gefolgt war und ihren Bauch mit Gevalia Kaffeepulver eingerieben hatte. Aber sie heulten, wie der ganze Rest der Station, als sie recht behielten. Auch dieses Mittel war wirkungslos.

      Mit Agnes mußte man einfach Mitleid haben. Wie auch mit den Drogenmüttern, einige von ihnen mit Aids im akuten Stadium. Mit den Diabetikerinnen und den Herztransplantierten, die, koste es, was es wolle, darauf bestanden, ihre Schwangerschaft auszutragen. Aber als sogar der General himself, mein schroffer Chef, im Krankenhaus auftauchte, zur Hälfte hinter einem riesigen Korb mit Rotwein, Schokolade und exotischen Früchten verborgen, und mich teilnahmsvoll nach meinem Zustand fragte, hatte ich wirklich das Gefühl, daß die Gerüchte über meinen kurz bevorstehenden Tod reichlich übertrieben waren. Das antwortete ich ihm, dekoriert mit einem schiefen John-Wayne-Lächeln, das ihm beweisen sollte, daß good old Tes ihre Power nicht verloren hatte, und bald wieder im Sattel sitzen würde. Er lächelte anerkennend über den Versuch, Tränenhasser, der er war, tätschelte mir aber dennoch den Handrücken und forderte mich auf, es ruhig angehen zu lassen.

      »Es kann ja sein, daß du nur noch eine Kugel im Lauf hast, Missie!«

      Ungefähr das war auch der Inhalt der Entlassungspredigt, die ich vom Professor mit auf den Weg bekam.

      »Ich erlaube Ihnen nur, hier wegzugehen, wenn Sie mir versprechen, sich zu pflegen! Und damit meine ich absolute Ruhe! Unsere gemeinsamen Anstrengungen sollen doch nicht vergebens gewesen sein, oder?« sagte er und überreichte mir eine Krankschreibung mit einem Blick, der von mir zu Paul und zurück zu mir wanderte. Und mir war in der Zwischenzeit klargeworden, daß dieser ziemlich einzigartig gewesen war. Paul meine ich. Nicht jeder Typ steht drei Wochen lang jeden Tag, ohne zu mucken, in der gynäkologischen Abteilung habacht in dem heißesten Sommer der letzten fünfzig Jahre, um aufzumuntern und die schwüle Langeweile zu vertreiben, in der wir ansonsten dahindösten. Aber Paul bedeutete, wie meine Mitpatientinnen mir anvertrauten, für »uns alle zusammen« ein erfrischendes Ereignis. »Und außerdem ist er ja ein scharfer Typ. Mit ihm könnte ich es mir sogar noch mal vorstellen, einfach zum Vergnügen«, bemerkte Agnes, während sie ständig brütete. Selbst die Ärzteschaft lebte auf, wenn Paul kam und vor den Europameisterschaften, bei denen Dänemark wegen Jugoslawiens Unglück plötzlich ohne jede Erwartung mitspielen durfte, Wetten organisierte.

      Deshalb war ich in der Hitze ziemlich scharf darauf, genau mit diesem Paul und einem immer noch relativ großen Happen an Sommer voller Farben, Duft und Freiheit, aus der Isolation entlassen zu werden, mit Geburtstermin Mitte September. Mir zuliebe hatte er sogar seinen Stolz gegenüber seinem großen Bruder beiseite geschoben und dessen Angebot angenommen, sein hübsches, neu erworbenes Ferienhaus in Hornbaek zu bewohnen, während er mit Marianne und ihrem widerlichen Sproß auf Kreuzfahrt im Mittelmeer war. Zum Glück war das Haus – Phillips »Osterei« für Marianne – immer noch in dem Zustand, in dem der frühere Besitzer es verlassen hatte, das heißt nüchtern und einfach mit Rauhfasertapete, zwei Gasflammen in der Küche, durchgelegenen Matratzen und einem unberührten, wild zugewachsenen Gelände. Paul machte sich sofort daran, das mannshohe Gras mit einer scharfen Sense zu mähen, und in einem Liegestuhl ruhend seinen nackten Oberkörper in der Sonne in kraftvollen, regelmäßigen Schwüngen arbeiten zu sehen machte mich so trocken im Mund und naß im Schritt, daß ich den Liegestuhl verlassen und ihn bitten mußte, mich gleich hier zwischen Geißblatt, Brennesseln und hartem, geschnittenem Gras zu nehmen.

      Es war eine neue, sozusagen eher natürliche Art, ihn zu erleben, eine tiefere, innerliche Form des Zusammenschmelzens, wie er zuerst zurückwich aus Angst, dem Kind zu schaden, ich ihn dann aber davon überzeugen konnte, daß das nur gesund wäre ... Worauf er grinste und sich mit einem erdigen Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte – »Wie du willst, Geliebte!« –, und dann waren wir Kuh und Stier mit dem Himmel,


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