Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten. Andreas Neumann

Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten - Andreas Neumann


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beim ersten Versuch auf.

      Das Zimmer war einfach, aber sauber und, das war mir an diesem Nachmittag noch nicht klar, im Vergleich zu den noch folgenden Unterkünften in den nächsten zwölf Tagen der reinste Luxus. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es 18:15 Uhr war. Um 19:00 Uhr schloss die Kathedrale. Jetzt aber los, denn wir brauchten heute noch den Stempel, weil wir morgen früh loswollten. Eine wilde Suche durch die Innenstadt von Porto begann. Zum Glück kannte sich Melina mit der Navigationsapp besser aus als ich. Irgendwie erinnerte mich unsere Suche nach der Kathedrale unter Zeitdruck an eine Unterhaltungsshow von früher mit Günther Jauch als Außenreporter, die sich Rätselflug nannte. Die Innenstadt von Porto hatte es in sich – es ging bergauf und bergab. Immer wieder sahen wir hier und da mal die tollen Sehenswürdigkeiten, wie die historischen Straßenbahnen, die Porto zu bieten hat.

      Als wir die Kirche um 18:50 Uhr erreichten, war ich fix und fertig und nassgeschwitzt. Der erste Härtetest für das Merinoshirt. Wir stellten uns im Touristenbüro für einen Stempel an, um dann im Gespräch mit der Mitarbeiterin zu erfahren, dass es den eigentlichen Stempel nur in der Kathedrale selbst gab.

      Gerade noch kurz vor – sprichwörtlich – Toresschluss schafften wir es in die Kirche und bekamen mit einem nicht gerade freundlichen Blick als letzte Besucher den heiß ersehnten ersten Abdruck in unseren Pilgerpass. Alle weiteren Besucher wurden an der Pforte freundlich, aber bestimmt abgewiesen und auf den nächsten Tag vertröstet. Glück gehabt.

      Als Belohnung gab es ein Abendessen im Restaurant DeGema. Beim Betreten des Restaurants roch es herrlich nach gebratenem Fleisch. Die bestellten Burger waren saftig und die besten, die wir bis dato gegessen hatten. Dazu ein leckeres Super Bock vom Fass und als Nachtisch ein Eis. Vergessen waren die ersten Strapazen des Tages und ein wohliges Gefühl stellte sich ein. Ich merkte, wie ich in den Entspannungsmodus wechselte. Sehr schön.

      Auf dem Heimweg zum Hotel, diesmal in aller Ruhe, sahen wir uns noch kurz die Vorstellung einer Tanzschule im Rahmen ihres Unterrichtes auf einem öffentlichen Platz an. Sehr beeindruckend, wie diese Schüler den Tango beherrschten.

      Wieder im Hotel angekommen, war an Schlaf nicht zu denken. Direkt auf der Straßenseite gegenüber saß eine ältere Frau mit ihren Einkaufstüten auf dem Gehweg und führte Selbstgespräche. Und zwar in der aus unserer Sicht für Südländer typischen Weise. Voller Emotionen und lautstark stritt sie sich mit ihrem imaginären Gegenüber.

      Ich hätte gerne gewusst, was sie ihm oder ihr an den Kopf warf. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei und wir konnten endlich die Augen zu machen. Die Frau war von alleine weitergezogen. Nicht ein Nachbar hatte sich bei ihr wegen des Lärms, den sie zu später Stunde verursacht hatte, beschwert. In Deutschland wäre mindestens schon zweimal die Polizei vor Ort gewesen. Mein vollster Respekt gehört den geduldigen und hilfsbereiten Nachbarn der Rua De Miguel Bombarda 100.

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      Von Porto nach Vila do Conde

      Montag, 3. Juli 2017

      morgens: Sonne mittags: Sonne abends: Sonne

      Herberge Santa Clara 15 € – Essen 20 €

      Es ging früh am Morgen los. Hier muss ich anführen, dass es nicht notwendig war, morgens um 4:00 Uhr aufzustehen und alle anderen Pilger mit diesem übertriebenen Aktionismus zu wecken. Man sollte so planen, dass es gut möglich ist, das Tagesziel zwischen 15:00 und 17:00 Uhr zu erreichen.

      Wir starteten an diesem Morgen um 7:15 Uhr vom Hotel zur Metrostation Lapa, an der wir am Tag zuvor angekommen waren. Als Erstes mussten natürlich wieder Tickets besorgt werden. Gut, dass ich mich nun nach den ganzen Fehlversuchen am Flughafen auskannte, denn unsere S-Bahn nach Matosinhos sollte in zwei Minuten ankommen. Am Automaten wählte ich alles aus, nun musste nur noch bezahlt werden. Aber was war das? Mein Fünfeuroschein passte nicht in den Schlitz für das Kleingeld. Warum auch? Aber da, wo das Papiergeld eigentlich reingezogen wurde, versperrte eine schwarze, fest verschraubte Metallplatte den Zugang. Ein Blick auf die andere Seite der Station brachte neue Hoffnung. Dort stand der gleiche Automat wie auf meiner Seite, aber ohne die geheimnisvolle Platte, die die Papiergeldzahlung verhinderte.

      Leider schaffte ich es in den verbleibenden neunzig Sekunden nicht rechtzeitig, die Fahrscheine zu lösen. Wäre auch zu schön gewesen. Ich stellte mich also innerlich, aufgrund der Erfahrung vom Vortag, auf vierzig Minuten Wartezeit bis zur nächsten Tram ein. Aber an diesem Werktag kamen die Züge alle fünfzehn Minuten. Sehr schön.

      Wir verließen nach einem Umstieg an der Station Senhora da Hora die Bahn in Mercado und überquerten dann mithilfe des gelben Pilgerführers und der ersten gelben Pfeile die Brücke vor dem Hafen und fanden recht schnell den Weg zum Strand.

      Jetzt konnte das Pilgern endlich richtig losgehen. Nach etwa tausend Metern war allerdings schon wieder Schluss. Wir erreichten einen Supermarkt und da wir noch nichts gegessen hatten, wurde erst mal für ein Frühstück am Strand eingekauft. Ein Bettler, der vor dem Einkaufsmarkt stand, bekam zwanzig Cent und ein gerade gekauftes Milchbrötchen von mir. Der Caminho wirkte schon? Nein, der religiöse Spirit (rS) war bei mir immer noch nicht eingetroffen.

      Ein bisschen Verzweiflung machte sich auf den nächsten Kilometern in meinen Gedanken breit. So hatte ich mir das Pilgern nicht vorgestellt. So leer. Nicht ein Gedanke bei Gott, bei Jesus oder der Nächstenliebe. Was war hier los? Vielleicht noch zu früh für solche Erkenntnisse?

      Erst mal weiterlaufen. Wir hatten an diesem Tag noch 21 Kilometer vor uns und es waren gut und gerne 32 Grad. Es war unser erster Tag in dieser Wildnis. Nach zwei Stunden dachte ich: „Welcher Vollidiot ist nur auf die Idee gekommen, dass das Pilgern schön ist?“

      Ganz ehrlich! In vielen Berichten hatte ich gelesen, wie toll und herrlich das alles sein sollte. So mit dem Treffen von anderen Pilgern, das Übernachten in den Herbergen, das Laufen und das Waschen der Klamotten. Das aber konnte ich gerade bei tiefblauem Himmel, gefühlten 35 Grad, den ganzen Menschen am Strand und im Meer und den vielen Strandbuden mit Eis und Bier nicht nachvollziehen. Anstatt auf dem Weg eine göttliche Eingebung zu bekommen, zweifelte ich immer mehr an dem, was Melina und ich hier gerade machten. Es wurde immer heißer und der Strandweg spendete kein Fleckchen Schatten. Wir mussten etwas unternehmen, damit wir nicht schon am ersten Tag zusammenbrachen.

      Ab ins Meer. Vorher noch ein kleiner Abstecher zu einem riesengroßen Supermarkt, der sich an unserer rechten Seite zwischen zwei Häuserfronten kurz zu erkennen gab. Wasser, Cola, O-Saft wurde gekauft – alles eiskalt. Ich habe an diesem 3. Juli insgesamt fünf Liter getrunken.

      Nach der Flüssigkeitszufuhr ging es in die tosenden Wellen. Dann kam unsere erste Prüfung, denn die Wassertemperatur lag bei gefühlten zehn Grad. Man konnte nur kurz ins Wasser, weil der Körper so schnell auskühlte, vor allen Dingen die Arme, dass es schwierig wurde, wieder Richtung Strand zu kommen. Hinzu kam der Wellengang, der es nicht gerade leichter machte, das Ufer zu erreichen. Beruhigend war, dass wir uns an einem bewachten, extra ausgewiesenem Badebereich befanden. Ich kann nur davon abraten, hier an einer unbeaufsichtigten Stelle ins Meer zu gehen.

      Kurz darauf waren wir wieder im glühenden Sand, der kurz davor war, sich in geschmolzenes Glas zu verwandeln. Aber die Abkühlung hatte geholfen. Danach fiel das Wandern wieder leichter und wir machten öfters kleine Trinkpausen, bei denen wir das bunte Treiben am Strand neidisch beobachteten.

      Kurz vor Vila do Conde ging bei Melina so gut wie nichts mehr. Die Füße machten schlapp und wir kamen nur noch sehr langsam voran. Das gab uns die Gelegenheit, zwei Arbeitern, die gemütlich vor uns herliefen, bei der Kontrolle des Holzsteges zuzuschauen. Sie überprüften den Weg auf gebrochene oder hochstehende Holzbohlen und markierten diese Bereiche mit rot-weißem Flatterband.

      In diesem Moment kam entweder der penible Deutsche oder die perfektionistische


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