Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis. Dietrich Schulze-Marmeling
Zeitungsberichten während der Zeit der Räterepublik stellvertretender Kommandant eines Arbeiterbataillons, wird 1920 Trainer des italienischen Klubs Savona Calcio. 1923 wechselt Karoly zu Juventus Turin, wo ihn der neue Präsident Edoardo Agnelli zum ersten hauptamtlichen Trainer in der Geschichte des Klubs ernennt. Als Karoly 1926 in der Aufregung rund um das Saisonfinale einem Herzanfall erliegt, übernimmt sein Landsmann Jószef Viola das Training. Alexander Neufeld, der im September 1923 beim historischen 5:0-Sieg der Wiener Hakoah über die West-Ham-United-Profis drei Tore erzielt hatte, führt 1933 und 1935 den Beogradski SK zum jugoslawischen Meistertitel.
Árpád Weisz trainiert dreimal Inter Mailand (1926-28, 1929-31, 1932-34). 1930 musste der vom Schweizer Enrico Hintermann gegründete Klub, der seinen ersten Meistertitel 1910 mit neun Schweizern auf dem Feld gewann, mit dem US Milanes Milano zum SS Ambrosiana fusionieren. Der Name »Internazionale« klang den Faschisten zu kosmopolitisch und weckte außerdem in ihren Augen »kommunistische Assoziationen«.
Als Inter 1929 die Scudetto gewinnt, schreibt sich der 33-jährige ungarische Jude Weisz als jüngster Meistertrainer in die italienische Fußballgeschichte ein – ein Eintrag, der noch heute Bestand hat. Die Lücken zwischen den drei Amtszeiten von Weisz wurden von anderen Ungarn gefüllt: Jószef Viola (s. o.) und István Tóth-Potya. 1934 bis 1936 wird Inter dann von einem weiteren Ungarn trainiert, seinem Glaubensgenossen Gyula Feldmann, der davor beim FC Florenz wirkte und anschließend noch für zwei Jahre den AC Turin übernimmt. Inter wird also zehn Jahre von Ungarn trainiert.
1936 und 1937 führt Weisz auch noch den FC Bologna zum Gewinn der Meisterschaft. Im Jahr 1934, als Italien erstmals Weltmeister wird, sind zehn der 16 Serie-A-Trainer Österreicher oder Ungarn. Vier Jahre später, als die Squadra Azzurra ihren Titel erfolgreich verteidigt, sind sieben der 16 Ungarn. Und einige der Österreicher und Ungarn waren Juden, so auch der Budapester Ernő Erbstein, der noch 1938 den AC Turin übernimmt.
In Deutschland sind es vor allem Izidor »Dori« Kürschner, Richard »Little« Dombi, Leo Weisz, Kálmán Konrád, Jenö Konrád, Fritz Kerr und Gyula Kertész, die sich als Trainer einen Namen machen. Allein vier von ihnen auch beim FC Bayern.
Kulturtransfer
Nach der MTK-Demonstration an der Marbachstraße bemüht sich auch der FC Bayern um Lehrmeister des »Donaufußballs«. Die Spielweise seiner Teams wird bald mit ähnlichen Attributen bedacht wie die der Wiener und Budapester Vereine. »Flüssig« und »geschmeidig« würden die Bayern spielen. 1932 wird man den Deutschen Meister Bayern München als die »am schönsten spielende deutsche Elf« feiern.
Mit der englisch geprägten Fußballphilosophie von Reichstrainer Dr. Otto Nerz können die Bayern-Spieler nicht viel anfangen. Nationalspieler Sigmund Haringer: »Uns Bayern behagte damals das neue Nerz’sche System nicht. Wir wollten spielen, stürmen, nicht Fußball rackern oder arbeiten.«
München wird nun zur Bühne eines fußballerischen Kulturtransfers. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme werden die Bayern von Übungsleitern betreut, die sich dem schottischen Flach- und Kurzpassspiel bzw. den Fußballschulen Budapests und Wiens verpflichtet fühlen. Vier von ihnen – Izidor »Dori« Kürschner, Leo Weisz, Kálmán Konrád und Richard »Little« Dombi – sind Ex-MTKler und Juden.
Den Anfang macht Izidor »Dori« Kürschner, der 1921 als Nachfolger von William Townley zu den Bayern kommt. Im Sommer 1919 war Kürschner in Deutschland geblieben und hatte zunächst die Stuttgarter Kickers trainiert. Als in der Saison 1920/21 die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft angepfiffen wird, wechselt der Ungar zum 1. FC Nürnberg. Mit Kürschner holen die Franken ihren zweiten Meistertitel, im Finale schlägt man Vorwärts 90 Berlin mit 5:0. Beim FC Bayern reicht es mit Kürschner 1921/22 nur zum zweiten Platz in der südbayerischen Liga, und zur Endrunde um die Deutsche Meisterschaft ist Bayerns erster jüdischer Trainer zurück im Frankenland.
Derartige Wechsel während der Saison waren keineswegs ungewöhnlich, denn für Mannschaften, die die regionale Endrunde nicht erreichten, war das Pflichtspielprogramm bereits Monate vor Saisonschluss beendet. Es war dann schlicht zu teuer, den Trainer weiterzubeschäftigen. Kürschner führt den 1. FC Nürnberg erneut ins Finale, das ohne Sieger endet und als »ewiges Endspiel« in die Annalen eingeht.
»Dori« Kürschner, ein enger Freund Walther Bensemanns, wird weiter erfolgreich als Trainer arbeiten. Gemeinsam mit Jimmy Hogan und dessen Landsmann Teddy Duckworth wird er die Schweizer Fußballer auf das olympische Turnier 1924 in Paris vorbereiten. Dort erreicht die Nati das Finale und lässt sich nach einer 0:3-Niederlage gegen Uruguay als »erster Europameister« feiern. Mit dem Grasshopper-Club Zürich, der unter seiner Leitung zu einer der stärksten Mannschaften auf dem Kontinent avanciert, gewinnt Kürschner im Zeitraum von 1925 bis 1934 dreimal die Meisterschaft und viermal den Pokal.
In München ist inzwischen Jim McPherson eingetroffen. Der Trainer kommt aus Schottland, dem Land, das für sich das Urheberrecht in Sachen Flach- und Kurzpasses reklamiert und bei der Entwicklung des Donaufußballs Pate stand.
Als es mit McPherson zunächst nicht nach Wunsch läuft – Anfang Januar 1925 schließen die Bayern die Bezirksliga nur mit einem vierten Platz ab –, bemüht sich Kurt Landauer um den Ex-MTKler (und »Nicht-Juden«) Imre Pozsonyi. Dieser war an gleich zwei Premieren beteiligt gewesen: als Spieler beim ersten Auftritt einer ungarischen Nationalelf am 13. Oktober 1902 in Wien und als Trainer beim ersten Auftritt einer polnischen Nationalelf am 18. Dezember 1921 in Budapest. Zum Zeitpunkt der Landauer-Bemühungen führt Pozsonyi beim FC Barcelona das Kommando, mit dem er in der Saison 1924/25 die katalanische Meisterschaft und den spanischen Pokal gewinnt. Pozsonyi sagt ab und entscheidet sich für ein Angebot des DFC Prag. Zum Bedauern von Walther Bensemann, da der Ungar »nicht nur Sportlehrer, sondern auch ein vollendeter Küchenchef« sei.
So arbeitet der FC Bayern mit McPherson weiter und dies mit Erfolg. Unter dem Schotten erringt der Klub 1926 seinen ersten süddeutschen Meistertitel. Auf McPherson folgt 1927 Leo Weisz, der zuvor Schwaben Augsburg und Wacker München betreut hat. Mit Weisz gewinnt der FC Bayern 1928 seine zweite süddeutsche Meisterschaft.
Kálmán Konrád trainiert die Bayern die beiden Spielzeiten 1928/29 und 1929/30. Den nachhaltigsten Eindruck wird aber Richard »Little« Dombi hinterlassen, der den FC Bayern im Sommer 1930 übernimmt. Er wird den Verein in die Spitze des deutschen Vereinsfußballs führen.
*Berühmte VAC-Spieler waren die Nationalspieler Lajos Fischer, Dezso Grosz und Miklós Singer, die auch für die ungarische Nationalelf aufliefen. Fischer spielte ab 1926 auch noch in New York für die Brooklyn Wanderers und Hakoah Allstars sowie ab 1930 für Hakoah Wien.
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