Fettnäpfchenführer Norwegen. Julia Fellinger
mit den breiten Schultern, der sich vom Küchentisch erhebt, als sie eintreten.
»Herr Friedland« ist einen Augenblick perplex und weiß nicht recht, ob er verwirrt sein oder lieber loslachen soll. Stephan Derrick, alias Horst Tappert, ist nach wie vor der beliebteste Ermittler im norwegischen Fernsehen. Die Krimiserie »Derrick« zählt zu den ersten deutschsprachigen Serien, die in Norwegen ausgestrahlt wurden, und ist auch heute noch – mehr als 20 Jahre nach ihrer Einstellung – Kult. Wie alle Filme und Serien wurde auch diese in Originalsprache mit norwegischen Untertiteln gezeigt.
»Äh, ich bin Henrik, ja, Cecilies Mann. Aber ich heiße nicht Friedland. Ich heiße Sundnes. Henrik Sundnes.« Die forsche Begrüßung hat ihn ein wenig überrumpelt.
»Wer heißt denn dann Friedland?«, fragt Stefan irritiert und muss dann doch eingestehen, dass er Cecilies Namen vergessen hat.
»Das Klingelschild. Ich heiße Vigland, wie früher auch. Cecilie Vigland Sundnes.«
Schleudergefahr
Gut erzogen, wie Stefan nun mal ist, hat er die wichtigste Regel im Umgang mit fremden Menschen sogleich in die Tat umgesetzt: begrüßen und sich vorstellen. Das ist in München-Schwabing nicht anders als in Oslo-Vinderen. Was aber hat er falsch gemacht? Zunächst einmal hat er Henrik gnadenlos unhöflich einfach auf Deutsch angesprochen, ohne vorher sicherzustellen, dass sein Gegenüber ihn überhaupt versteht. Außerdem hat er ihn gesiezt, eine Form, von der Norweger schon mitbekommen haben, dass sie in Deutschland üblich ist, jedoch bei ihnen völlig fehl am Platz. Herr und Fru (Frau) hat man zu einer Zeit noch verwendet, als Kronprinz Olav im Trondheimer Stiftsgård auf dem Holzfußboden spielte. Heutzutage duzen sich alle von Lindesnes bis Hammerfest, vom Staatsminister bis zum Fischer, nur bei der Königsfamilie macht man eine Ausnahme. Die gesiezte Form, also das De (Di gesprochen), findet man fast nur noch in amtlichen Schreiben. Selbst die ältere Generation, die eine gesiezte Anrede noch im alltäglichen Gebrauch erlebt hat, erschrickt nicht, wenn sie mit einem Du angesprochen wird. Wobei dieses Du wie Dü ausgesprochen wird, ansonsten würde es in der deutschen Aussprache nämlich Klo bedeuten, was in diesem Zusammenhang wohl eher unangebracht wäre.
Und drittens war Stefans Annahme falsch, dass der Mann wie seine Frau heißt. Das ist mittlerweile ja auch in Deutschland nicht mehr ganz so selbstverständlich und in Norwegen vor allem deshalb nicht gebräuchlich, weil neben dem gemeinsamen Familiennamen auch immer wieder der Mädchenname der Mutter oder der Name des Hofes verwendet wird. Dieser sogenannte mellomnavn (Zwischenname) oder auch erster Nachname ist nach öffentlichem Recht Teil des Vornamens und kann nicht auf Ehepartner und Kinder übertragen werden. Der Nachname des Mannes und der Nachname der Frau können dann wiederum den gemeinsamen Familiennamen bilden – als Doppelname ohne Bindestrich (slektsnav, etternavn). Für welchen Familiennamen man sich am Ende entscheidet, ob für den vom Mann oder der Frau, bleibt den Paaren selbst überlassen. Viele Frauen benutzen auch nach ihrer Hochzeit ihren ursprünglichen Namen, was in dem kleinen Norwegen auch darauf zurückzuführen ist, dass Nachnamen hervorragende Türöffner sein können und auf die geografische Herkunft ebenso schließen lassen wie auf einen eventuell dänischen oder kaufmännischen Ursprung. Über 400 Jahre (1380–1814) war Norwegen in einem Staatenbund mit Dänemark zusammengeschlossen, doch die in der Regel dänischen Kaufleute standen gesellschaftlich über den norwegischen Bauern und Fischern.
Ähnliches gilt es bei den Vornamen zu beachten: Stellt sich jemand mit zwei Vornamen vor, dann möchte er diese auch verwenden. Es ist nicht unbedingt höflich, wenn man bei der ersten Begegnung der Einfachheit halber aus einem Lars Fredrik gleich einen Lars macht. Ebenso wie Sverre Magnus und Ingrid Alexandra nicht einfach nur Sverre und Ingrid genannt werden wollen. Kennt man sich näher oder bietet es der mit zwei Namen Ausgestattete direkt an, kann man gerne auf den zweiten Namen verzichten. In diesem Fall kann es hilfreich sein, einfach nachzufragen.
Tempo drosseln!
Machen Sie sich locker! Ein Verzicht auf Ihre gesiezte Anrede bedeutet noch lange nicht, dass Ihr Gegenüber sich als Nächstes auf Ihren Schoß setzen wird. Distanz ist schön und gut, vor allem in Norwegen mit seinen Entfernungen und Weiten weiß man davon ein Lied zu singen. Durch die Anrede mit Du aber kommt man sich auf formlose und unkomplizierte Art einen Schritt näher und wahrt dennoch den Respekt und einen angemessenen Abstand. Apropos Abstand: Auch in Norwegen gibt man sich zur Begrüßung die Hand, das immerhin hat Stefan nicht falsch gemacht. Wer sich näher kennt, der drückt sein Gegenüber kurz an sich beziehungsweise legt Wange an Wange – allerdings nur für einen kleinen Moment, denn allzu viel Nähe ist dem Norweger wiederum unangenehm. In Deutschland völlig unüblich, weil maximal respektlos, für Norweger aber gebräuchlich ist die Kombination von Du und Nachname, wie etwa »Halvorsen, jetzt bist du dran«.
Und noch eine kleine Information zum Namen Friedland: Ginge es nach dem Klingelschild, dann hieße ungefähr die Hälfte aller Norweger Friedland. Friedland ist aber nur der Hersteller dieser typisch norwegischen Klingel. Weil die Norweger manchmal zu faul sind, das Firmenschild darin gegen ihren eigenen Namen auszutauschen, weist das Schild eben immer mal wieder einen Friedland aus, obwohl der dort gar nicht wohnt.
2
NORWEGISCH VON A BIS Å
KLEINE SPRACHKUNDE KANN NICHTSCHADEN
Kilometer 30
»Mann, habe ich einen Hunger«, sagt Stefan laut. »Ich könnte glatt einen ausgewachsenen Elch verdrücken.«
Er ist zu Fuß unterwegs in der Osloer Innenstadt. Seine Gastgeber Cecilie und Henrik haben am frühen Morgen gemeinsam mit ihren Kindern Linn und Trygve das Haus verlassen. Stefan hat beschlossen, erst einmal auszuschlafen und dann ein bisschen Sightseeing zu machen, bevor er sich bei seinem Chef melden wird.
Jetzt ist er zunächst mal auf der Suche nach einem Frühstückscafé. Auf der Karl Johans gate, nicht weit entfernt vom Schloss, lockt ihn schließlich das Angebot der Kaffebrenneriet. Als er das Café betritt, riecht es verlockend nach Zimt und Kaffee, denn in Norwegen serviert man einen Kaffee mit aufgeschäumter Milch gerne mit einer Prise Zimt und/oder Kardamom. Stefan studiert das Angebot an einer Tafel hinter der Bar und entscheidet sich neben einem Caffe latte enkel (enkel = einfach) noch für einen rosinbolle aus der Auslage. ›Das ist ja total easy hier‹, denkt er. Wenn man sich das Norwegische laut vorliest, dann versteht man ziemlich viel. Und dann sind ja viele Dinge mittlerweile so global, dass man einen Milchkaffee von Palermo bis Hammerfest wohl überall auch als Caffè latte bekommen kann. Nur die Preise sind ziemlich heftig. Der kleine Kaffee kostet vier Euro, das Hefestück sogar 5,30 Euro. Das muss er darum jetzt umso mehr genießen, beschließt er und testet, während er isst, seine noch frischen Norwegischkenntnisse sogleich an einer dort liegenden Zeitung.
Gleich auf der ersten Seite ist ein Bild von einem Mann hinter Gittern abgedruckt, die Überschrift lautet »Sitter i fengsel«. Stefan schließt daraus folgerichtig, dass es sich bei Fengsel wohl um das Gefängnis handeln muss. Niedlich, diese Sprache. Er muss fast unweigerlich vor sich hin schmunzeln. Und dann auch noch diese komischen Buchstaben: ein A mit einem Kringel obendrauf, ein durchgestrichenes O und so ein A und ein E, die unnatürlich zusammenkleben. Nee, so ganz ernst kann man die ja nicht nehmen, mit dieser Sprache. Das klingt alles so ein bisschen wie smörrebröd, smörrebröd, röm, pöm, pöm, pöm, wie beim dänischen Koch aus der Muppet Show.
Bevor er sich wieder auf den Weg macht, will er sein Norwegisch gleich mal am lebenden Objekt testen: »Rosinenboller var en Knüller«, sagt er zu der Frau, die neben ihm gerade ein Kind stillt. Dann legt er gut gelaunt noch zwei Kronen Trinkgeld auf den Tisch und verlässt das Café. Hätte er sich vor dem Gehen noch einmal umgedreht, wäre ihm nicht entgangen, dass die junge Mutter ihm entgeistert hinterherschaut.