Die verbannte Prinzessin. Heinrich Thies

Die verbannte Prinzessin - Heinrich Thies


Скачать книгу
der Gesamtbevölkerung bildeten. Und nahezu jeder Handwerker und Händler lebte vom Hof und seinen Bedürfnissen; ebenso die 29 Herbergen, die in jener Zeit in der hannoverschen Altstadt gezählt wurden.

      Doch auch der Glanz des Fürstenhofs konnte nicht über den üblen Gestank hinwegtäuschen, der über der Stadt hing. Von einer Kanalisation war Hannover noch weit entfernt. Die menschlichen Ausscheidungen flossen ungeklärt auf die Straßen, mischten sich mit Küchen- und Schlachtabfällen, Müll und Unrat. Der Herzog hatte zwar schon vor einiger Zeit zwei »Dreckwagen« eingeführt, doch einmal abgesehen davon, dass diese Müllabfuhr bei weitem nicht ausreichte, waren die Bürger auch nicht geneigt, Gebrauch davon zu machen. Sie warfen ihren Unrat lieber weiter vor die Tür.

      Wer auf sich hielt, vermied es daher nach Möglichkeit, die Stadt zu Fuß zu durchqueren. Da nicht immer eine Kutsche bereit stand, erfreuten sich Tragesänften großer Beliebtheit. Der umtriebige Hofkurier Otto Lochmann schaffte es schließlich sogar, sich von Herzog Ernst August ein »Portechaisenprivileg« ausstellen zu lassen. Die Lochmanns waren somit nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, fünf Sänften mit zehn Trägern in der Zeit von acht Uhr morgens bis Mitternacht vor der Hofküchenstube in der Schlossstraße für das vornehme Publikum bereit zu halten. Die Taxe pro Stunde betrug sechs Mariengroschen, für den Tag einen Taler. Für das gemeine Volk war diese Beförderungsart daher unerschwinglich. Ein Maurermeister zum Beispiel musste einen ganzen Tag lang arbeiten, um sieben Mariengroschen zu verdienen.

      Doch ob arm oder reich, Bürger oder Edelmann: Niemand hielt es in jener Zeit für nötig, sich täglich zu waschen, manch einer kam sogar wochenlang ohne Körperreinigung aus. Wer es sich leisten konnte, ersetzte Wasser und Seife einfach durch reichlich Puder und Parfüm – den Luxusartikeln der stinkfeinen Gesellschaft.

      In dem Dorf Linden, wenige Meilen abseits der Residenz, stand ein Schlösschen, in dem andere Gesetze galten als in dem sittenstrengen Leineschloss: die lockeren Regeln des kultivierten Vergnügens. Hier führte die Mätresse des Fürsten Ernst August das Regiment: Klara Elisabeth von Platen. »Monplaisir«, hatte die Hausherrin ihr Haus getauft, in dem sie am liebsten Herren als Besucher sah. Die Gäste konnten in den hübschen Salons ihre Tabakspfeifen rauchen oder Champagner trinken, Tricktrack (Backgammon) und Tarock spielen oder sich mit ausgesuchten Damen vergnügen. Bisweilen riss man sich nach einem ausgedehnten Souper auch die Kleider vom Leib und tanzte Polonaise. Splitternackt und ausgelassen.

      Einen Tag vor seiner Abreise nach Ungarn kam Georg Ludwig wieder einmal nach Linden. Oft schon hatte er sich hier mit Katharina Maria von dem Bussche getroffen, der Schwester der Schlossherrin. Diesmal war er gekommen, um sich von der Geliebten zu verabschieden. Auf unbestimmte Zeit. Die Ungewissheit hing nicht nur mit dem bevorstehenden Kampf gegen die Türken zusammen, sondern hatte auch einen privaten Grund: Seine Schwiegermutter Eleonore d’Olbreuse. hatte bei seiner Mutter darauf gedrängt, dass Maria ihre Suite im Leineschloss räumen und aus seinem Blickfeld verschwinden sollte.

      »Was diese Madame sich herausnimmt«, schimpfte er. »Das ist eine bodenlose Unverschämtheit. Ich hätte nicht übel Lust, diesem Weib Rattengift in die Suppe zu streuen.«

      »Ich verstehe dich ja«, erwiderte Maria. »Aber du musst vorsichtig sein. Du schadest dir selbst am meisten. Und das lohnt sich wirklich nicht wegen dieser aufgeblasenen Pute.«

      »Weißt du, was die Madame in meinen Augen ist? Ein parfümierter Misthaufen! Mäusedreck! So hat sie meine Mutter doch selbst genannt. Bei jedem Türken, den meine Leute aufspießen, werde ich an meine Schwiegermutter in Celle denken.«

      »Jetzt übertreibst du aber. So schlimm sind die Türken auch wieder nicht.«

      Sophie Dorothea saß zur gleichen Zeit mit ihrem Kammerfräulein bei einer Tasse Schokolade im blauen Salon und ließ sich den neuesten Hofklatsch erzählen. Da Eleonore von dem Knesebeck nicht nur mit Hofdamen, sondern auch mit Mägden sprach, erfuhr sie viel mehr als ihre Herrin. An diesem trüben Februartag des Jahres 1683 kam die Rede auch auf die Schwestern Maria und Klara Elisabeth, das »Duo diaboli«, wie Sophie Dorothea sie nannte.

      »Sie kommen ganz nach ihrem Herrn Vater«, sagte Eleonore. »Das war ein rechter Glücksritter, dieser Graf Philipp von Meysenburg. Er hat sein Glück im Kriegsdienst gesucht. Aber obwohl er nie nach Treue und Gesinnung gefragt und ganz verschiedenen Herren gedient hat, hat er das Glück nie gefunden. Mochte er sich selbst auch noch so aufblasen, sein Geldbeutel war meistens leer. Und sein Schloss war mehr eine Hundehütte.«

      »Die arme Frau, die verdammt war, mit diesem Kerl zu leben«, warf Sophie Dorothea ein. »Was weiß man eigentlich über die gnädige Madame von Meysenburg?«

      »Herzlich wenig. Es heißt, dass sie bei der Geburt ihrer jüngsten Tochter Maria im Kindbett gestorben ist.«

      Sophie Dorothea schmunzelte. »Entschuldige, dass ich lächle. Aber wenn das stimmt, was du sagst, dann hatte dieses Luder ja schon ein Menschenleben auf dem Gewissen, bevor es selbst die Sonne gesehen hat.«

      »Gnädigste Durchlaucht«, entgegnete Eleonore mit gespielter Entrüstung. »Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass Ihr zu derartiger Bosheit fähig seid.«

      »Da will ich gar nicht widersprechen, ich bin ungerecht. Dabei sollte ich der Dame dankbar sein. Wer sollte sich sonst meines Gemahls annehmen, wenn nicht die liebe Maria.«

      Eleonore kicherte. Sophie Dorotheas Lächeln wirkte gequält. »Eigentlich waren die Schwestern Meysenburg doch höchst bemitleidenswerte Geschöpfe, wenn sie ohne Mutter aufwachsen mussten«, fuhr sie fort.

      »Wie man’s nimmt. Sie haben auf jeden Fall viel gesehen von der Welt. Sowie sie aus dem Gröbsten heraus waren, soll sie ihr alter Herr schon mitgeschleppt haben. Und wie der Vater waren sie bei diesen Reisen stets auf der Suche nach einem gut gepolsterten Nest.«

      »Am Ende haben sie damit ja auch Erfolg gehabt.«

      »Wohl wahr. Aber es hat lange gedauert. Wenn es stimmt, was mir die Zofe der Gräfin Platen zugeflüstert hat, dann hatten sie manche Pleite hinzunehmen auf ihrem Weg nach oben.«

      »Du machst mich neugierig.«

      »Na ja, es scheint, sie wollten einfach zu hoch hinaus. Sogar beim Sonnenkönig in Versailles haben sie es versucht, sogar Ludwig XIV. haben sie umgarnt. Aber eine seiner Hofdamen hat rechtzeitig spitzgekriegt, worauf ihr Gegurre hinauslaufen sollte. Die Madame soll die deutschen Fräuleins mitsamt ihrem noblen Vater eines Tages vor die Tür gesetzt haben. Rausgeworfen, und mit nicht sehr freundlichen Worten, wie erzählt wird.«

      »Die Ärmsten!«

      »Ach was! Glaub nicht, dass sie damit kuriert waren. Sie sind einfach zum nächsten Königshof weitergezogen. Auch beim englischen König sollen die Meysenburgs es versucht haben, auch Karl II. haben sie umgarnt. Aber auch am englischen Hof gab es eine aufmerksame Mätresse, die das Spiel der deutschen Fräuleins durchschaut hat.«

      »Und sind sie danach, wie soll ich sagen, bescheidener geworden?«

      »Es hat den Anschein. Irgendwann haben sie bei ihrer Weltreise jedenfalls auch Station in Osnabrück gemacht, wo, wie Ihr wisst, vor gar nicht so langer Zeit noch ein gewisser Herzog Ernst August als Fürstbischof residierte. In diesem kleinen, aber feinen Hofstaat soll es so viele Kavaliere gegeben haben, dass die Meysenburg-Schwestern leichte Beute hatten. Und die Gelegenheit war günstig. Denn während ihres Besuchs in Osnabrück waren die beiden ältesten Söhne des Fürstbischofs gerade aus dem Ausland heimgekehrt: Georg Ludwig und Friedrich August, begleitet von ihren Erziehern, Ihr kennt sie: Albrecht Philipp von dem Bussche und Franz Ernst von Platen.«

      »Wie haben sie sich denn an die Herrschaften herangepirscht?«

      »Oh, nichts einfacher als das. Es war ihnen ein Leichtes, eine Einladung zu dem Festessen zu erhalten, das zum Empfang der Heimkehrer gegeben wurde. Und Katharina Maria und Klara Elisabeth haben dieses Souper durch eine künstlerische Darbietung bereichert, wenn man das so nennen darf. Sie haben ein Schäferspiel aufgeführt. Ihr könnt Euch vorstellen, in welchen Rollen! Sie sollen ihre weiblichen Reize voll ausgespielt


Скачать книгу