Virginia und der ehescheue Graf. Barbara Cartland
er vor sich hin.
»Ich muß unbedingt herausfinden, was hier gespielt wird!« sagte er halblaut vor sich hin und gab seinem Rapphengst die Sporen.
II
Lady Genevieve Rodney warf einen Blick auf das Kleid, das Madame Madeleine, die Besitzerin des elegantesten Modesalons von London, ihr zeigte. Sie stieß einen hellen Entzückensschrei aus.
»Es ist hinreißend!« rief sie aus.
»Ich war sicher, daß Eure Ladyschaft davon begeistert sein würden«, erwiderte Madame Madeleine. »Es kam gestern erst von Paris, und als ich es auspackte, wußte ich sofort, daß es für Eure Ladyschaft wie gemacht ist. Für mich war es klar, in ganz London gibt es einfach keine Frau, die es besser tragen könnte als Sie.«
»Ich nehme an, es ist sehr teuer, nicht wahr?« bemerkte Lady Genevieve ein wenig unschlüssig.
Sie wußte, daß die Spitzen an dem schulterfreien, nach Art des griechischen Chitons geschnittenen Kleides feinste venezianische Klöppelarbeit waren.
Und außerdem war sie sich der Tatsache bewußt, daß der Earl erst in der vergangenen Woche mehrere Rechnungen in schwindelerregender Höhe bei Madame Madeleine für sie beglichen hatte.
Madame Madeleine schwieg klugerweise auf Lady Genevieves Frage. Statt dessen drehte sie das Kleid herum, damit Ihre Ladyschaft auch das mit Samtbändern kunstvoll geschmückte Rückenteil in Augenschein nehmen konnte.
Dann legte sie das Kleid auf Lady Genevieves Bett und holte aus einer großen Pappschachtel ein weiteres Traumgebilde hervor.
Diesmal handelte es sich um eine Création aus wertvoller Chinaseide in einem tiefen Rubinrot.
Weite, gepuffte Ärmel, eine betont eng geschnittene Taille und der reich mit Falten versehene, glockig fallende Rock erzielten eine Silhouette von ungewöhnlicher Raffinesse.
»Etwas für ganz besondere Gelegenheiten, Eure Ladyschaft«, bemerkte Madame Madeleine mit verführerischem Unterton in der Stimme. »Vielleicht für einen der drei Staatsbälle, die Ihre Majestät anläßlich ihrer Krönungsfeierlichkeiten geben wird.«
Lady Genevieve schwieg, und Madame Madeleine fügte hinzu: »Ich hoffe, Eure Ladyschaft erweisen mir die Ehre und lassen das Kleid, das Sie bei der kirchlichen Zeremonie tragen werden, in meinem Atelier arbeiten. Ich verspreche Ihnen, daß Sie damit in der Kathedrale größtes Aufsehen erregen! Mylady, mir schwebt ein Traum von einem Kleid vor, nicht nur was den Schnitt, sondern vor allem auch was die Farbe betrifft!«
Eine Pause entstand, und schließlich sagte Lady Genevieve: »Welche Farbe würden Sie denn für passend halten?«
»Soviel ich erfahren habe, sind für die Schleppenträgerinnen alles unverheiratete junge Ladys weiße Kleider vorgesehen, dazu mit pinkfarbenen Rosenblüten besetzte Silberkränze«, antwortete die Schneiderin. »Ich würde sagen, eine äußerst geschmackvolle und zutreffende Wahl. Allerdings für Sie, Mylady . . .« Sie machte eine Pause, und als sie sah, mit welcher Aufmerksamkeit Lady Genevieve ihren Worten lauschte, fuhr sie eindringlich fort: »Für Sie, Mylady, denke ich an hauchzarten Tüll. Das Oberteil in Pfauenblau mit tief ausgeschnittenem Dekolleté, um den herrlichen Busen Eurer Ladyschaft voll zur Geltung zu bringen. Dazu einen weitschwingenden Rock, grün und blau schattiert und endend in einer langen Schleppe. Den Saum der Schleppe mit einem dunklen Hermelinbesatz, genau abgestimmt auf die Haarfarbe Eurer Ladyschaft.«
»Das klingt ja himmlisch«, rief Lady Genevieve hingerissen.
»Ich habe mir erlaubt, eine kleine Skizze anfertigen zu lassen, um Eurer Ladyschaft eine Idee von dem zu geben, was mir vorschwebt«, sagte Madame Madeleine.
Während sie sprach, legte sie die Skizze auf den Ankleidetisch. Der Zeichner hatte Lady Genevieve genau getroffen. Die nach der neuesten Mode betont abfallenden weißen Schultern, die eng geschnürte Taille und die glockig abstehenden Röcke, die in einer sehr langen Schleppe endeten, schienen für ihre Figur wie geschaffen. Es bestand gar kein Zweifel, daß Lady Genevieve in diesem Kleid den Neid und die heimliche Bewunderung sämtlicher Peersfrauen in der Kathedrale erregen würde.
»Es ist in der Tat sehr originell«, gab sie verzückt zu. »Und wie Sie schon sagten, es wird zweifellos die Sensation des Tages werden.«
»Das Grün des Kleides würde sehr gut zu einem Diadem aus Smaragden und Brillanten passen, woraus ja auch, der Haarschmuck Ihrer Ladyschaft besteht«, sagte Madame Madeleine schmeichelnd. »Grün verleiht den Augen Eurer Ladyschaft etwas Geheimnisvolles und zugleich Aufreizendes.«
Lady Genevieve ließ ein dunkles Lachen hören.
»Madame Madeleine, Sie sind überzeugender als die Wahrsagerin, die ich vergangene Woche in der Maddock Street aufsuchte.«
»Ich kann Ihnen die Zukunft lesen, ohne auch nur einen Blick auf Ihre Handlinien zu werfen, Mylady«, erwiderte Madame Madeleine. »Ihre Zukunft steht in Ihrem Gesicht geschrieben. Denn niemand von den Damen der Londoner Gesellschaft kann Ihnen das Wasser reichen.«
Wieder lachte Lady Genevieve.
»Das Kleid wird sicher sündhaft teuer sein, nicht wahr? Aber die Vorstellung, daß sämtliche Damen in der Kathedrale bei seinem Anblick vor Neid erblassen werden, genügt, um es bei Ihnen in Auftrag zu geben.«
Madame Madeleine lächelte.
»Und was ist mit den anderen Kleidern?« fragte sie leise.
»Ich behalte sie beide!« erwiderte Lady Genevieve. »Aber schicken Sie mir die Rechnung bitte nicht in den nächsten drei Wochen. Und machen Sie sich darauf gefaßt, daß die Bezahlung noch später erfolgen wird.«
»Ich bin sicher, Eure Ladyschaft sollten sich deswegen kein Kopfzerbrechen machen. Geld dürfte gewiß kein Problem für Sie sein.« Der Doppelsinn in den Worten der Schneiderin war unmißverständlich.
Madame Madeleine kannte sehr wohl den Namen des Mannes, der die Rechnungen Ihrer Ladyschaft beglich. Und sie war lebenserfahren genug, um zu wissen, daß eine Frau immer den richtigen Augenblick abwarten mußte, bevor sie dem Liebhaber ihre Kleidersünden beichtete. Vor allem, wenn es sich dabei um eine Verschwenderin wie Lady Genevieve Rodney handelte.
»Die Kleider werden Eurer Ladyschaft wie angegossen sitzen«, fuhr Madame Madeleine fort. »Die kleinen Änderungen, die meiner Meinung nach notwendig sind, werden in den nächsten Tagen erledigt. Sollten Sie sonst noch irgendwelche Wünsche haben, Sie wissen ja: Eine kurze Nachricht, und ich bin zur Stelle.«
»Sie sind stets von äußerster Zuvorkommenheit, Madame Madeleine«, entgegnete Lady Genevieve mechanisch.
Madame Madeleine wußte, daß sie entlassen war. Mit einem tiefen Knicks verließ sie den Raum. Die beiden Kleider blieben auf der roten Seidenbettdecke zurück.
Lady Genevieve stand vor dem hohen Wandspiegel. Ein feines Lächeln lag auf dem schönen Gesicht.
Seit Wochen schon quälte sie die Frage, welches Kleid sie bei den Krönungsfeierlichkeiten tragen sollte. Es mußte ein Kleid sein, daß alle Blicke auf sich zog. Sie hatte sich vorgenommen, daß ihre Anwesenheit in der Kathedrale nicht unbeachtet bleiben sollte.
Die Leute, dachte sie gehässig, sprechen mir schon viel zu viel und viel zu begeistert von diesem unauffälligen und ziemlich reizlosen jungen Ding, das, noch nicht ganz neunzehnjährig, bereits den englischen Thron bestiegen hat.
Trotz der Abneigung gegen die junge Königin konnte Lady Genevieve nicht übersehen, daß diese sich bei ihren Untertanen allergrößter Beliebtheit erfreute. Die Minister waren entschlossen, die Krönung zu einem Ereignis zu machen, das für immer unvergeßlich bleiben würde.
Was Lady Genevieve besonders ärgerte, war die Tatsache, daß man für das Gelingen der Feierlichkeiten keine Kosten und keine Ausgaben zu scheuen schien. Wie sie erfahren hatte, war vom Parlament eine Summe von sage und schreibe 200.000 Pfund für die Krönung Königin Viktorias bewilligt worden, während man bei der Krönung ihres Vorgängers mit nur 50.000 Pfund ausgekommen war.