Ungebremst durch Kermanschah. Maryam Djahani

Ungebremst durch Kermanschah - Maryam Djahani


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garantiert nicht, wie stolz einen die aufgerissenen Augen des Automechanikerlehrlings und seines Meisters machen, wenn man den Wagen über die Ölablasswanne manövriert. Oder die Beschämung eines Taxifahrers, der brüllend aussteigt, weil er denkt, dass der andere einfach nur eine Frau ist und dann, wenn er sieht, dass diese Frau den Zündschlüssel in der Hand hält, an sich halten muss, um nicht im Laufschritt in seinen Wagen zu flüchten. In unserer Stadt kennen die Frauen nur einen Gang. Den toten Gang. Mutter sagt immer: „Ich weiß nicht, was für ein Schnickschnack das schon wieder sein soll, ‚der tote Gang‘. Auf jeden Fall ist nicht der Gang tot, sondern du bist es…“

      Ihrer Ansicht nach bin ich gestorben und atme seit vier Jahren nur, weil ich es dem Todesengel verheimliche. Meine Mutter sagt, dass ich seit der Scheidung unter die Räder gekommen bin, und will, dass ich mich meines Leichtsinns schäme, der einer ledigen dreißigjährigen Frau unwürdig ist.

      Ich denke nicht daran, mich zu schämen. Stattdessen zerre ich jedes Mal, wenn ich zu ihr komme, mit einem langen Hup-Ton an den schwachen Nerven ihrer beiden Nachbarn, bis meine Mutter mit bloßem Haupt und Füßen an die Tür kommt und sich andeutungsweise das Gesicht zerkratzt, will heißen „Scher dich zum Teufel, schamloses Weibsbild. Warte, ich komm’ ja schon.“ Und wenn ich sie mitnehme, damit sie ihre wöchentlichen Einkäufe erledigen kann, fahre ich so, dass sie sich mit beiden Händen an allem Greifbaren festkrallt, dem Türgriff, dem Armaturenbrett, der Mittelkonsole… sodass ich auf dem Rückweg sicher sein kann, dass ihr Blut durchgespült ist und sie in den nächsten paar Tagen ohne Blutfett-Tabletten auskommt.

      Vielleicht hat alles mit einem schlichten Aufsatzthema in der Mittelschule begonnen. „Was wollt ihr gerne mal werden?“ Den ganzen Abend machte mich die Aufstellung möglicher Berufe schier wahnsinnig. Den ganzen Abend parkte neben jeder Berufsbezeichnung ein orangefarbenes Taxi. Den ganzen Abend über schaltete, hupte, fluchte ich und brachte die unterschiedlichsten Fahrgäste zu ihren Zielorten. Schließlich schlief ich mitten auf dem Weg ein, mit einem Taxi voller Fahrgäste, einem bunten Yazd-Halstuch und einer laufenden Schlager-Kassette von Yasari. Als ich am nächsten Tag vor der Tafel von meinem Aufsatzblatt ablas: „Ich möchte Taxifahrerin werden“, ging ein Raunen durch die Klasse. Die Lehrerin schlug mit dem Lineal auf den Tisch. Ich dagegen konnte mich kaum halten vor Freude. Als ob mit dem bloßen Vorlesen dieses Aufsatzes meine Eltern und das Taxigewerbe meinen Wunsch automatisch erfüllen würden…

      Als ich nach Jahren der Unterbrechung endlich Taxifahrerin wurde, war ich verheiratet und eine Spur schüchtern. Ein Jahr später war von beidem keine Spur mehr vorhanden, weder in mir, noch in meinem Personalausweis. Anfänglich streckte ich den Fahrgästen die hohle Hand entgegen und starrte auf die Münzen, die hineinfielen. Das also nannte man „Bettelhand“? War es dies, wonach ich mich mein Leben lang gesehnt hatte? Mit der Zeit war die Bettelfrage kein Thema mehr. Wenn ich es recht bedachte, wurde mir klar, dass ich mich beim Anblick des Haushaltsgeldes, das Hamed mir auf die Theke legte, bevor er ins Geschäft ging, sechs Jahre lang als armes Hascherl gefühlt hatte, gerade einmal mutig genug,

      Zuckerdosen und Blumentöpfe zu zerschlagen. Ich fragte mich, ob ich, die ich von früh bis spät das Dasein einer Küchenschabe führte, auch noch in diesem Punkt den Kürzeren ziehen sollte?

      Mein täglich wachsendes Interesse an meinem Beruf nahm eine philosophische Dimension an, als ich entdeckte, dass ich unumstrittene Herrscherin dieser schwankenden Kabine bin, deren grobe und feine Erschütterungen dir, egal, wie du‘s anstellst, das Hirn durchrütteln. Auch habe ich entdeckt, dass Elizabeth, beziehungsweise dieses mein gelbes Taxi, den Frauen ein besonderes und einzigartiges Vergnügen bereitet. Sie rufen, in welche Richtung sie fahren wollen. Ich trete auf die Bremse. Sobald sie hinter dem Steuer eine Frau erspähen, richten sie ihren Oberkörper auf und öffnen stolz die Beifahrertür. So als wollten sie mit dieser Du-kannst-mich-mal-Geste allen Männern zeigen, dass sie es als ihr ureigenstes Recht betrachten, ein Leben lang vorne zu sitzen. In meiner Stadt gibt es neuerdings Taxis, in denen nur Frauen die Vordertüre öffnen dürfen. Meine Stadt ist ein Dorf, umgeben von schneebedeckten Bergen. Die Männer dort haben eine Bergbauern-Mentalität. Doch ganz allmählich streift meine Stadt ihre alte Haut ab. Aus dem Tank läuft Benzin, auf meine Turnschuhe.

       2

      Die Scheibenwischer können dem Regenschauer nichts entgegensetzen. Hingegen braucht es nur einen Fingerdruck, damit sich der Wagen um sich selbst dreht, so als ob das Steuer plötzlich hydraulisch wäre. Als würde es nicht Wasser, sondern Öl regnen. Genau das richtige Wetter, um die Enden der Stadt zusammenzunähen. Um meine übelst gelaunten Fahrgäste abzusetzen und wieder Alleinherrscherin über diesen Schlitten zu sein. Ich nähere mich dem Hause meiner Mutter. Wir lassen den Vaziri-Platz hinter uns, dessen vier Ecken auch nach dreißig Jahren immer noch von welkem Gemüse, verfaulten Früchten und den Karren der Obstverkäufer bedeckt sind. An jedem Monatsersten bringe ich meine Mutter zur Bank, damit sie ihre erklecklichen Zinsen abheben kann. Gestern Abend rief sie an, um mich an heute zu erinnern und daran, dass in den nächsten Tagen Abtins Beschneidung gefeiert werden soll. Als ich heute früh ankam, sah ich Babaks Santa Fe an der Einmündung der Gasse stehen. Er wurde vom Regen gewaschen. Mehrmals in der Woche schaut Babak bei Mutter vorbei, bevor er zur Arbeit geht. Er gibt sich leutselig und freigiebig, nimmt an Beerdigungen, Gedächtnisfeiern zum vierzigsten Todestag und jährlichen Todestagen der Familie, Freunde und Bekannten teil, um beachtet zu werden. Und das wird er. Was er tut, ist gern gesehen. Selbst wenn es nicht von Herzen kommt.

      Ich werfe einen Blick auf Babak, der sich in seinem schwarzen Anorak verkriecht und wütend auf die Straße starrt. Heute habe ich seine Männlichkeit und sein Platzhirschgebaren in Frage gestellt. Weil ich in seinem Beisein ausgestiegen bin und selbst getankt habe. Er sagte: „Bleib sitzen. Ich werde aussteigen.“

      Ich habe die Autotür geöffnet und gesagt: „Mein Wagen ist ein Hätschelkind. Er trinkt sein Benzin nur aus der Hand seiner Besitzerin.“

      Ich frage Mutter: „Heute gehst du nicht einkaufen, oder?“

      Sie zieht die auf den Arm hochgerutschten Goldreifen auf ihr Handgelenk. Sie haben sich ins Fleisch gedrückt und kneifen sie.

      „Ich weiß nicht. Lass mich überlegen, was mir fehlt. Bei diesem Wetter brauchst du sowieso nicht Taxi zu fahren. Lass uns zusammen Mittag essen. Abends kannst du dann wieder auf der Straße herumlungern.“

      Dickfelligkeit ist eine Gnade, die einem nicht über Nacht zuteil wird. Diese Art Sprüche musst du oft und oft gehört haben, bis deine Haut sich mit der eines Nashorns messen kann. Am liebsten würde ich sagen, Ich brenne darauf, euch abzusetzen und sofort wieder an meine Arbeit zu gehen. Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen, dass ich mich in dein Haus drängele? Und das bei diesem Wetter?

      Babak wirft ein: „Die Tante hat recht. Bleib bei ihr. Lass sie wenigstens heute einmal nicht allein.“

      Ich entgegne: „Babak, wie kommt es bloß, dass du neuerdings so mitfühlend bist? Wenn du tatsächlich soviel Mitgefühl hast, bleib doch selber bei ihr.“ Kann Mutter etwa an sich halten, wenn jemand ihrem Bruder oder dessen Sohn mit dem Zaunpfahl winkt? – „Du hackst auf ihm herum, du unverschämtes Gör?“

      Ich erwidere: „Herumhacken, wieso? Ich wundere mich einfach, dass Babak mit jemandem Mitgefühl hat.“

      „Hat er sich etwa jemals irgendjemandem gegenüber auch nur das Geringste zuschulden kommen lassen?“

      „Wie schnell ihr alle Fatemes Bitten und Flehen vergessen habt.“

      Babak schüttelt den Kopf.

      „Mein Gott, war es denn nicht genug, dass ich diese Verrückte acht Jahre lang ertragen habe? Und jetzt spielst du auf einmal ihre Anwältin?“

      „Hat sie nicht alles getan, was du von ihr wolltest? Aus ihrem Mantel und Kopftuch wurde ein Tschador plus eng anliegendes Schlupfkopftuch, weil du es wolltest. Ihre Schminksachen hat sie weggegeben, weil du diese, wie du es nanntest, lockeren Sitten verabscheutest. Sie hat nur noch mit deiner Erlaubnis das Haus verlassen, weil dir Frauen, die mit dem Feuer spielen, nicht gefallen... Hat sie nicht komplett nach deiner Pfeife getanzt?“


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