Ungebremst durch Kermanschah. Maryam Djahani

Ungebremst durch Kermanschah - Maryam Djahani


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die Arme dich liebte.“

      „Sie war verrückt. Sie haben sie mir aufgebunden.“

      „Haben sie nicht. Es war deine Entscheidung. Danach ist die Arme nur ein bisschen zwanghaft geworden. Das war heilbar.“

      „Ihr Heilmittel war das, was ich mit ihr gemacht habe.“

      Mutter besiegelt Babaks Worte.

      „Es ist ihr recht geschehen.“

      Vor vier, fünf Monaten, als sie hörte, dass Babak sich nach acht Jahren Ehekrach von Fateme hat scheiden lassen, war es, als wäre ihr ein Sohn geboren worden. Das verschüttete Wasser war in den Krug zurückgekehrt. Sie konnte wieder dasitzen und sich daran weiden, wie Babak mich anstarrte. Jetzt möchte sie auf keinen Fall, dass ich den einzigen Mann fallen lasse, den nach ihren Worten der Esel gezwickt haben muss, dass er nach Jahren immer noch in mich verliebt ist.

      Beide sind sie eingeschnappt. Ich dagegen fühle mich erleichtert. Nach fünf Monaten hatte ich endlich Gelegenheit zu sagen, was bis jetzt in mir gebrodelt hatte. Ich gebe Gas. Der Wagen hebt sich kurz und senkt sich dann wieder. Mir fährt es in den Rücken. Mutter klappt nervös das Handschuhfach auf und wühlt in dem Ramsch darin.

      „Wo ist meine Quittung?“

      Sie blickt um sich. Schließlich sieht sie die Quittung unter ihrem Tschadorzipfel hervorlugen.

      Sie faltet ihn zusammen und steckt sie ihn die Klappe des Handschuhfachs. Das Geraschel ebbt ab. Sie atmet geräuschvoll aus. Ich blinke rechts, um in die Gasse einzubiegen. Ein beigefarbener Peykan überholt mich. Ein junger Kerl, der neben dem Fahrer sitzt, steckt seinen Kopf heraus und ruft: „ Das Gas ist in der Küche, Madame!“

      Wenn er wüsste, dass der, der auf der Rückbank sitzt, ein Verwandter ist, zudem einer, dessen Nerven zum Zerreißen gespannt sind, hätte er sich das nie und nimmer herausgenommen. Nur da er dachte, es sei ein x-beliebiger Fahrgast, hat er gewagt mich derart anzupflaumen.

      Babak richtet sich auf und steckt seinen Kopf zwischen den Sitzen durch.

      “Gib Gas, hol ihn ein, damit der Mutterf…“

      Mutters Anwesenheit zwingt ihn, seinen Kraftausdruck herunterzuschlucken.

      “Mach schon, gib Gas, dieser alte…“

      Ich biege in die Gasse ein und sage: „Was soll das, Babak? Man kann doch nicht wegen jeder Lappalie gleich ausrasten.“

      Aber das tue ich ja selbst. Wenn die beiden nicht mit im Wagen säßen, hätte ich denen mindestens den Seitenspiegel zertrümmert. Damit sie sich hinter die Ohren schreiben, dass ich sehr wohl weiß, wo das Gas ist und mir vielleicht nur insofern etwas fehlt, als ich allein bin. Babak lehnt sich zurück und kaut an seinem Schnurrbart. Er ist stinksauer. Mutter presst die Lippen zusammen. Sobald Babaks schwarzer Santa Fe vorne in der Gasse in Sicht kommt, halte ich an.

      Mutter sagt: “Kommst du nicht mit rein?“

      “Nein. Vielleicht schaue ich heute Abend oder morgen bei dir vorbei. Ruf mich an und sag, was dir fehlt und was du brauchst.“

      Sie steigt aus und schlägt die Tür so zu, dass das gefaltete Papier aus dem Handschuhfach fällt. Im Gehen winkt sie mit der türkisberingten Hand. Das heißt soviel wie „Mach‘s gut!“ oder „Vergelt‘s Gott!“ oder „ Du Würmchen“ oder...

      Babak steigt nicht aus. Ich mache mich am Steuerradbezug zu schaffen. Beide schweigen wir. Man hört nur den Regen auf das Wagendach trommeln. Schließlich sagt Babak:

      „Was war das heute? Schämst du dich nicht? Du weißt ganz genau, was mich aufregt und tust es erst recht?“

      Ich schweige, um der Verwandtschaft willen und des Restes eines Gefühls für ihn, das ich mal empfunden habe. Alles hätte anders kommen können. Statt Ja zu Hamed zu sagen, hätte ich Babak in die Augen sehen und freudig Ja sagen können... Was hätte das aber geändert? Nichts. Nichts Außergewöhnliches wäre passiert, außer dass ich keine Taxifahrerin geworden wäre und Fateme keine geschiedene Frau. Eine blasse junge Frau mit blaugeäderten Händen, die immerfort zitterte und einmal zu mir sagte: „Du bist überall in meinem Leben, Shohre.

      Sogar in meinem Bett.“

      “Brauchst du nichts? Geld?“

      Ich sehe ihn durch den Rückspiegel an. Absichtlich klappe ich das Handschuhfach auf.

      “Nein. Ich habe welches. Schau.“

      Er atmet aus. Ich bin kurz davor, die Fassung zu verlieren. Er sagt: “Komm doch gelegentlich mal vorbei und bitte Papa um Verzeihung... Dein Verhalten ist nicht richtig. Weißt du, wie lange du ihn nicht gesehen hast? Weißt du überhaupt noch, wie er aussieht?“

      “Ja soweit ich mich erinnere, war er glatzköpfig, dick und schlecht gelaunt. Sobald er mich sah, sagte er ,Gott bewahre!’ Als würde er dem Tod ins Auge sehen.“

      Babak kommt aus seinem Schneckenhaus und lächelt. Unter seinen kohlschwarzen Augen, die mit den dunklen Kopf- und Barthaaren und der schwarzen Kleidung harmonieren, bilden sich Fältchen. Er zieht seine Gebetskette mit den dicken Perlen aus afghanischem Schah-Maqsud-Edelstein aus der Jackentasche.

      “Ich geh dann…Kann ich noch was für dich tun?“

      “Nein danke, geh nur.“

      “Also dann…“

      Er steigt aus und schlägt die Tür ebenfalls so zu, dass die arme Elizabeth zittert. Bei seinem Anblick zieht eine nasse Katze den Kopf aus einem Müllsack und flüchtet ans Ende der Gasse. Als ob sie wüsste, dass dieser kräftige, schwarz gekleidete Mann ein Katzenmörder ist. Babak läuft unter dem Regen genauso gemessen wie bei schönem Wetter. Mit großen und festen Schritten geht er zu seinem Wagen. Als er die Wagentür öffnet, dreht er sich einen Moment lang um und unsere Blicke treffen sich. Die ganzen Jahre, in denen er verheiratet war, hat er mich genauso angesehen. Mit einem Blick voller Liebe und Grausamkeit.

      Ich mache mich davon Richtung Hauptstraße. Aber wie immer dauert es einige Minuten, bis das Bild von Babaks letztem Blick vor meinem geistigen Auge erlischt. Gerade solange, bis ich eine Frau im Tschador und einen grimmig aussehenden Mann einsteigen lasse, die einen halben Meter voneinander entfernt am Straßenrand stehen. Wenn du neu in der Branche bist, zweifelst du, ob so ein Paar Ehemann und Ehefrau sind. Aber wenn du ein alter Hase bist und die Ecken und Winkel der Stadt und ihrer Bewohner dir so vertraut sind wie die Linien deiner Handfläche, merkst du, dass gerade die, die sich in einigem Abstand voneinander hinstellen, eine legitimierte Beziehung haben. Ich bringe sie bis zur Abzweigung Maskan. Für tausend Toman erwarten sie auch noch, dass ich sie bis vor die Haustüre bringe, damit sie nicht nass werden. Der Mann steigt mit unverändert grimmiger Miene aus. Bis die Frau ihren Tschador zusammengerafft hat, ist er schon auf dem Bürgersteig und biegt in die Gasse ein. Ein junger Mann, die Hände in den Taschen, mit aufgesetzter Anorakkapuze, steckt den Kopf in den Wagen.

      “Geradeaus?“

      “ Bis wohin?“

      “Bis ans andere Ende von Maskan.“

      “Das sind zwei Fahrten, macht tausend Toman.“

      Er fährt mich an: „Was soll das? Soll das ein Witz sein? Denkst du, weil du eine Frau bist, kannst du die Leute ausnehmen? Gottchen, sieh mal einer an, wer jetzt in unserer Stadt alles Taxifahrer ist…“

      Ich ziehe die Handbremse. Der Typ stammt von hier und weiß, was das bedeutet. Er schluckt den Rest nicht herunter. Das wäre erniedrigend für ihn. Aber im Weggehen murmelt er so leise vor sich hin, dass ich nicht hören kann, was er sagt.

      Ich fahre zurück Richtung Stadtzentrum. Das Verhalten des jungen Mannes hat mir den Spaß am Taxifahren gründlich verdorben. Obwohl ich inzwischen eine dicke Haut habe. Anfangs genügte ein solcher Vorfall, um mir den Nachtschlaf zu rauben. Aber neuerdings habe ich ein Heilmittel gefunden. Ein kurzer Halt auf der Strecke.

      Während dieses kurzen Haltes versuche ich mich, wie eine Eidechse, der man den Schwanz abgerissen hat, wieder aufzubauen.


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