Ungebremst durch Kermanschah. Maryam Djahani

Ungebremst durch Kermanschah - Maryam Djahani


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“Was hat der Gasherd mit dem Gaspedal zu schaffen?“

      Hinter den drei Ampeln, neben dem Handkarren eines Weiße-Rübchen-Verkäufers, der unter einer kahlen Kastanie parkt, fahre ich an den Straßenrand. Elizabeth bleibt mit einem Ächzlaut stehen. Ihr Ächzen ist voller Empörung. Ich streichle über das Steuerrad. Ich bin nahe daran zu rufen: Elizabeth... Dieser Name ist die Errungenschaft eines Abends, als sie mit offenen Türen auf ihrem Parkplatz schlief und in allen Ehren wieder herauskam. Die Nachbarn hatten Gäste, so dass der eigentliche Parkplatz voll war.

      Elizabeth blieb in der engen, dunklen Gasse stehen. Erst am anderen Tag, als ich ihre Diebstahlsicherung aufmachte, bemerkte ich, dass die Türen bis zum Morgen offen gewesen waren. Ich klopfte ihr auf’s Dach und sagte: “Ein Hoch auf deine Wehrhaftigkeit, Chefin! Keiner wagt, sich dir zu nähern, wie bei einer Prinzessin. Lässt du überhaupt jemanden außer mir an dich heran?“

      Dann dachte ich, es wäre nicht schlecht, wenn ich sie manchmal vertraulicher als schlicht mit Taxi, Wagen oder Pride ansprechen würde. So gelangte mein Wagen an jenem Tag in den Besitz eines Namens und einer Persönlichkeit. Prinzessin schien mir zu gewöhnlich. Elizabeth dagegen lässt einen an etwas Hochklassiges denken.

      Mahbube sagt: “Warum Elizabeth? Nimm doch einen anderen Namen... Anahita zum Beispiel…“

      Der Regen trommelt auf den Schirm des Weiße-Rübchen-Verkäufers. Aus seinem Kessel steigt Dampf auf. Neben ihm hat sich ein Leber-Spießchen-Verkäufer aufgestellt. Er öffnet abends. Hierhin komme ich immer, wenn ich erschöpft und ausgelaugt bin. Der Alte kennt mich. Da er denkt, ich wolle ihm gekochte Rübchen abkaufen, holt er einen Teller unter seinem Karren hervor. Heute habe ich aber keine Lust, auszusteigen. Stattdessen steige ich mit brennenden Füßen aus meinen Turnschuhen. Vater sagte immer: “Ein Mann zieht die Schuhe, die er morgens anzieht, erst abends wieder aus. Wenn nicht, ist es eine Frau. Kein Mann. Sondern ein Stubenhocker…“

      Er sprach diese Worte zur Wand oder zum Tee-Tablett oder zum Fernseher... Vater hatte die Gewohnheit zu sprechen, indem er seinen Blick auf etwas anderes als die Augen seines Gesprächspartners richtete. Er wählte deshalb

      Gegenstände aus, weil sie nichts erwidern konnten. Er hasste es, Antworten zu hören. Er hasste Gesprächigkeit. Mutter aber füllte sich noch vor dem Mittag mit Worten, wie ein Gefäß, das man unter den tropfenden Samowar stellt. Wenn Vater von der Arbeit kam, stellte sie ihm sein Mittagessen und seinen Tee hin und sprach dabei unentwegt. Wir alle wussten, dass Mutter nur Vaters Ohren ihrer Worte für würdig hielt. Wir alle wussten, dass Vater, wenn er auf den Fernseher starrte und sagte: “Dreht den Ton ab!“, damit meinte, dass Mutter die Klappe halten sollte... Das hieß, Vaters Fassungsvermögen war erschöpft...

      Wenn das Steuerrad nicht wäre, könnte ich meine Knie unter‘s Kinn ziehen, den Kopf darauf legen und in den Winkeln meines Gedächtnisses kramen, um eine meiner schönen Erinnerungen hervorzuziehen und zum tausendsten Male durchzukauen. Mich sehen, hinter dem Steuer von Vaters BMW, Baujahr 1980. Er ist voller Fahrgäste, die ich zu ihrem Fahrtziel bringen will, aber wie sehr ich mich auch anstrenge, das Steuerrad dreht sich nicht. Da taucht Vater in der Gasse auf. Er entdeckt mich, kommt näher, in Schlappen und kurdischen Pluderhosen, und setzt sich neben mich in den Wagen. Ohne mich anzusehen. Er knüllt sein Taschentuch zusammen und fährt damit über das Armaturenbrett.

      “Fährst du gern Auto?“

      Ich blicke auf das Schwarze unter seinen Fingernägeln.

      “Sehr gern.“

      Er wischt die Seitenscheibe sauber.

      “Wieso? Bist du etwa ein Junge?“

      Ich gebe ihm eine Antwort nach seinem Geschmack.

      “Ja, ich bin dein Junge.“

      Er dreht das Taschentuch und steckt es in den Schlitz des Luftausströmers.

      “Dann merk dir gut, was ich dir sage. Wenn du mal Autofahren lernst, dann lern es richtig... Stell deinen Fuß aufs Gaspedal und lass ihn drauf...“

      Ich starre auf den bibbernden Rübchen-Verkäufer, der den Teller wieder zurückstellt. Von seinem Atem entsteht ein Dampfgebilde um seinen Kopf. Mein Blick fällt auf meine Schuhe, die neben Kupplungs-, Brems- und Gas-Pedal liegen. Ich ziehe sie an und mir ist, als ob im selben Moment Vater vom Nebensitz auf die Frontscheibe starren, lächeln und sagen würde: „Wenn du etwas kannst, dann leg auch richtig los…“

       3

      Ein bisschen Regen und ich fahre meine gesamten Routen vollbesetzt hin und zurück. Mir reicht es schon. Ich habe vier durchnässte Fahrgäste, mit denen ein Kältehauch ins Wageninnere gezogen ist. Zwei Männer und ein kleiner Junge sitzen hinten, eine alte Frau vorn. Sie hält eine Tüte Orangen in der Hand. Ich fahre die Scheiben auf ihrer Seite hoch und muss daran denken, dass das Schicksal mich immer wieder mit alten Frauen zusammenführt. Meine Fahrgäste sind zu fünfzig Prozent ältere Frauen. Wohin ich auch steuere, überall tauchen alte Frauen mit hennagefärbten Haaren auf. Zwischen Taxis und Privatwagen bahne ich mir den Weg zum Fahrtziel. Einer der Männer hört nicht auf zu quasseln, in breitestem Kermanschaher Dialekt.

      “Tanzen im Wasser? Bei Imam Ali, diese Ausländer kommen auf Sachen, da staunst du Bauklötze. Sieben, acht junge Frauen haben im Wasser so getanzt wie unsere Frauen es nicht mal auf dem Erdboden fertigbringen…“

      Der Mann neben ihm hingegen schweigt. Nur seine Augen sind aktiv. Sobald ich den Kopf hebe, richten sie sich auf mich, wie die eines Raubvogels.

      “Und vor einigen Abenden haben sie gezeigt, wie eine Frau mit einem Krokodil gekämpft hat. Das sind Frauen, unsere Frauen dagegen...“

      Ich werfe einen Blick auf den schlammigen See, der durch den Regen in der Senke der Silu-

      Kreuzung entstanden ist. Mein Rücken sticht wieder. Mahbube sagt, das kommt vom Sitzen hinter dem Steuer und vom Schlafen im Bett statt auf dem Boden. Ich gebe Gas und sehe aus den Augenwinkeln, dass die alte Frau mich ein um das andere Mal anguckt, die Henkel ihrer Plastiktüte von den Fingern löst und dann wieder herumwickelt. Wo mag sie der Schuh drücken?

      Ich frage: “Mutter, ist dir kalt, soll ich die Heizung aufdrehen?“

      Sie schlägt den Tschador zurück.

      “Nein, Kindchen, Gott sei Dank ist es warm.“

      Sie trägt ein bräunlich verfärbtes Stirnband. Plötzlich platzt sie heraus: “Einmal bin ich wo eingestiegen. Als wir in Rashidi ankamen, hab‘ ich gesagt: ‚Ich hab’ kein Fahrgeld.‘ Er hat geantwortet: ‚Dann hast du eben keins.‘ ’Was machst du nun mit mir?’ Da hat er gesagt ‚Bleib sitzen, ich zeig’ dir, was ich mache.‘ Und dann hat er mich dahin zurückgebracht, wo ich eingestiegen war.“

      In der Taxikabine ist es einen Moment lang still. Während mein Blick über die nassen Buchsbäume des Platzes und den aufgeweichten Rasen gleitet, höre ich den Schweigsamen sagen: “Überall gibt es Menschen ohne Ehre im Leib, Großmütterchen.“

      Als ob sie nur mit mir spräche, setzt sich die Alte schräg hin und starrt mich an.

      “Meine Tochter, ich hab’ auch jetzt kein Fahrgeld. Falls du mich von Rashidi wieder zurückbringen willst, spar’ dir die Mühe, ich steige gleich hier aus.“

      Der Schweigsame kichert.

      “Ist sie etwa dein Laufbursche, Großmutter?“

      Der Geschwätzige lacht. Der Junge, der bis dahin aus dem Fenster geguckt hat, dreht sich um und lacht ebenfalls. Ein langgezogenes Hupen, von dem nicht klar ist, welchem Fahrer es gelten soll, zerrt mir an den Nerven. Die Alte sagt: “Alles, was ich zusammenkratzen konnte, habe ich für das Fahrgeld von Dizelabad bis hier ausgegeben.“

      Der Mann grinst wieder.

      “War es schön in Dizelabad, Großmutter?“

      “Von wegen. Geht man etwa zum Gefängnis, wenn man etwas Schönes sucht?“

      “Sicher


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