Fußball! Vorfälle von 1996-2007. Jürgen Roth
sein zweites Fußballbuch, Die heiße Luft der Spiele (Frankfurt/Main 1980), hat der Mehrfachverwerter Wolf aus den mit der Nr. 11 geführten Interviews den Prosatext »Rohrbachs Geschichte« destilliert, ja einen monologischen Block gefertigt, der gegenüber der filmischen Montage der Brechung durch andere Stimmen und damit der kaleidoskopartigen Auffächerung entbehrt. In Keep Out werden die Konflikte zwischen Spieler, Mannschaft, Trainer und Publikum deutlicher betont. Zwar gilt Rohrbachs repetitiver Klagerede – »Also, ich fühl’ mich beschissen und allein«, »Ich leide unter dem Druck«, »Es gibt Samstage, da kotzt es mich total an«, »Das ist ein sehr harter Kampf, da ist man einsam«, »Diese Gemeinschaftsfahrten waren schlimm« – Wolfs ungeteilte Sympathie, und bisweilen wirkt Rohrbach, »satt vom Rollenspiel«, in seiner tiefen Kümmernis wie ein Bruder des von Wolf verehrten legendären Kornettisten Bix Beiderbecke; doch die Konfrontation von Subjektivität oder Innenwelt und Außenwelt oder Fremdwahrnehmung nimmt breiteren Raum ein. Der Rentner Heinz, dem man etwa in den Hörspielen Heinz, wie ist deine Ansicht? und Expertengespräche wiederbegegnen wird, bringt diesen Zustand der perspektivisch zersplitterten, kakophonischen Wahrheitsartikulationen aus dem Off unwillentlich prägnant zum Ausdruck: »Ich steh’ uff dem Standpunkt, er is’, wollemal sagn, man meint grad, er wär’ wetterbedingt.«
Rebell und Reservist – die Collage Keep Out wird dem Wetterwendigen, Windigen ihres Objekts auch formal gerecht, indem Wolf Bild- und Tonspur asynchron anlegt. »So jagen sich pausenlos Jump-Cuts auf Bild- und Tonspur«, erläutert Jan Tilman Schwab, »fragmentarisierte Ausschnitte aus Fußballspielen und Trainingseinheiten wechseln mit sich überschlagenden Wort- oder Satzfetzen aus Interviews und Radioübertragungen, die mitunter auch stehendes Bild und Zeitlupenaufnahmen begleiten.« Allerdings werden die assoziativ oszillierenden Bild-Ton-Kompositionen durch diverse (Spiel-)Szenen kommentiert, die allzu plakativ sinnbildlich und symbolisch aufgeladen Interpretationen präjudizieren – etwa wenn Rohrbach im Paternoster abwärts und sein Nachfolger aufwärts fährt oder eine zum Abbruch freigegebene Villa unter dumpfen Schlägen zu zerfallen beginnt. Die einen gemahnte das an Buñuel, andere, wie beispielsweise der ZEIT-Kritiker Momos (i. e. Walter Jens), bemängelten die »Happening-Beliebigkeit« derartiger manieristischer »Mätzchen« aus einer »Kitsch- und Traum- und Fluchtwelt«.
Vollends überzeugend bleibt dessenungeachtet die Exposition von Keep Out. Die Kamera linst von schräg unten durch ein marodes Glasdach, das sich in den Himmel schiebt. Dazu rezitiert eine Off-Stimme »Hinaufsteigen« aus Punkt ist Punkt – Fußball-Spiele (Frankfurt/Main 1971), eine schwingend lakonische gleichwie euphorische Meditation – »plötzlich über der Erde flach traumhaft fliegen, der Wind ist verstummt, plötzlich das Blei aus den Beinen schütteln und prachtvoll über den Flügel kommen, dem Schatten entwischen, unheimlich schnell heranbrausen […], ganz allein eine Zeit in der Luft liegen, eiskalt ohne Sorgen hinaufsteigen« –, an die sich, nachdem ein herunterfallender Ball das Glas durchschlagen hat, langsame Close-Up-Schwenks über leere, bemooste Tribünen anschließen. Nun, im Sog der Erdenschwere, ist der Fußball nur mehr Zeichen von Morbidität und Verlassenheit, eiskalt, mit Sorgen, Inbegriff zerstäubter und verschütteter Träume.
In Rohrbachs Geschichte wird gesoffen, da wird um Verträge gefeilscht, da wird ausgeteilt und eingesteckt, da herrscht der Schrecken der Tristesse, der Demütigung und der Ignoranz. In Joachim Krecks No 1 gleicht Rohrbachs Mannschaftskamerad Kunter trotz der durch Abgeschiedenheit geprägten Stimmung dagegen eher jenem souveränen »Dr. Kunter, de[m] Herr[n] der Lage«, den Ror Wolf in seiner Prosacollage »Alles auf einen Blick« (und in etlichen seiner Hörspiele) auftreten läßt. Beide Figuren indes verbindet – Kunter als den scheinbar Unangefochtenen, Rohrbach als den schicksalhaft in die Verhältnisse Verstrickten – in der filmischen Inszenierung die Entfernung vom Sartreschen Ideal des nicht-entfremdeten Gruppenhandelns. »Was ist denn eigentlich mit der Mannschaft los?« fragt Rohrbach. »Wenn eben plötzlich die Gruppe einen nicht will, der gut spielt? Und weil einer hintenrum andauernd arbeitet. – Sie kriegen den Platz am Fenster, und einer kriegt ihn nicht.«
In »Rohrbachs Geschichte«, der Prosafassung, bekundet Thomas Rohrbach seinen Respekt vor Helmut Rahn: »Er war der erste, der aus dem Rahmen brach. Er machte Geschichten. Er fuhr besoffen Auto, er hatte ’ne Schlägerei, er saß mal im Knast; das war’n alles Sachen, die mir gefielen. […] Die andern war’n alle irgendwie niedergemacht.« In Keep Out wird die verzweifelte Anstrengung ausgeleuchtet, Herr seiner selbst und zugleich Teil eines Teams zu sein. Deshalb korrespondiert mit der Ehrbezeugung vor dem autonomen, unerschütterbar eigensinnigen »Boß« schließlich ein zentraler Satz: »Ich kann die ganzen Gesichter oft nicht mehr seh’n.«
Joachim Kreck und Ror Wolf haben im toten Winkel der Filmindustrie mit filmischen Mitteln auf das geblickt, was der tägliche Fußballfilm verdeckt oder absichtsvoll zum Verschwinden bringt – das, was den Fußball ausmacht, in seiner Schönheit wie in seiner Schäbigkeit. Sie haben der Illusion mißtraut, das »Total-Theater Fußball« (Wolf) in seiner vorgetäuschten organischen Gesamtheit abbilden oder darstellen zu können.
Nur in der Collage, in der Dekonstruktion und partiellen Rekonstruktion, nur im montierten Fußballfilmbild erhält sich eine Ahnung davon, welchen Sitz der Fußball als Kunst, zumeist jedoch als Kampf und Krampf in der Wirklichkeit hat. Kaum anzunehmen obendrein, daß in einer zeitgenössischen Kinoproduktion ein Satz wie jener von Thomas Rohrbach fiele: »Dieser Scheißberuf. Guck dir die Idioten an.«
Zwischen Hansch und Potofski
Man schreibt ein Buch. Man schreibt es nicht mal. Man gibt’s heraus. Man ist in der Talkshow. Und dann in noch einer.
Der Fußballmedialbagage und ihren Darbietungen widmeten sich zwei Titel, für die ich als Co-Herausgeber bzw. Co-Autor geradestand und -stehe, Wieder keine Anspielstation und So werde ich Heribert Faßbender, und sofern die Hauptvertreter des Fernsehunheils verstanden, daß die Autoren für Besinnung und Zurückhaltung plädiert hatten, machten sie freilich weiter, als sei nichts gewesen.
Genaugenommen war ja auch nichts gewesen, denn die an Wahn grenzende Annahme, es ließe sich irgend Einfluß nehmen aufs laufende Geschäft, gereicht der Polemik selten zum Vorteil. Irgendwann kommt dessenungeachtet jedoch die Zeit, da man endlich dabeisein darf. Sie bietet unsereinem eine Chance, wie sie das Leben selten bereithält: Buch hochstemmen, Buchtitel ausplaudern, den Spottpreis nennen und mit Verkaufszahlen prahlen.
Im März 1996 ruft das DSF zum sonntäglichen Journalistenfrühschoppen, zu Doppelpaß, dem Warsteiner-Fußballstammtisch. Ehre und Ruhm vor Augen, fliege ich hin und treffe auf einen attackierlustigen, schelmischen Werner Hansch, der mich u. a. des Jungzynikertums bezichtigt und behauptet, ich sei ein »Lümmel«. Was man sich nicht alles sagen lassen muß! Doch der Mann hat recht und soll von Kollege Holzschuh (kicker-Chefredaktion) nochmals recht bekommen und Flankenschutz erhalten.
Doppelpaß reicht bisweilen ans Parodistische heran, liegt seltsam quer zur allgemeinen aufgescheuchten Talkperformance und bietet wenig Raum für bedingungsloses Krakeelen und Greinen. Moderator Rudolph Brückner verhält sich freundlich, nimmt insonderheit die Fraktion der Großsprecher zuweilen nicht allzu ernst, gaukelt weder Einfühlungsvermögen noch gieriges Interesse vor und gibt zu erkennen, daß Fußball wohl schwerlich zu den fünf beachtlichsten Weltgeschehnissen zählt. Werner Hansch, durch ran als Vielschwatz zu zweifelhaftem Ansehen gelangt, tritt nach der Show respektvoll und liebenswürdig in Erscheinung und stellt unter Beweis, daß zuhören kann, wer auf einen Artgenossen trifft. Ähnliches gilt für Jörg Dahlmann.
Warum man allerdings just auf der Talkshowtribüne die journalistische Verwertung des Fußballs meint verhandeln zu müssen, bleibt rätselhaft. Möglicherweise sind Spartenkanäle, denen die Segnungen der Erstrechte verwehrt bleiben, gezwungen, sich als Medien zu präsentieren, die die Reflexion dulden oder – kultivieren. Gegen ein solches Kalkül aber spricht die Hegemonie der symbolischen Vermittlungen, die unter dem Begriff »Diskussionskultur« zusammengefaßt sind. Während ran keine Skrupel vor dem hemmungslosen Starsystem mehr kennt und die eigenen Moderatoren unablässig ins Rampenlicht rückt, dominieren auch andernorts Gekäse und Gekrähe, zumal in Häusern des Springer-Kirch-Agglomerats, etwa im