Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth
Wirt so frisch und besonnt zu sehen. Er fand gewohnten Platz am Rundtisch. Schon blickte er mit glaubensstarker Muße auf sein von fern herbeieilendes Bier …«
Quatsch! Klar. Sowohl als auch. Logisch
Es gibt nicht einen Grund, nach Berlin zu fahren. »Berlin, das nichts ausläßt und alles bewilligt, sofern es sich um Schwachsinn und Ausschweifung handelt« (Thomas Kapielski), kann mir gestohlen bleiben – und zwar nicht erst, seit alle naslang jeder warum auch immer dazu Berufene seinen Blödsinn zur bombig brummenden Berliner Kultur- und Partyszene von sich gibt.
Man muß jedoch ab und zu beruflich nach Berlin, und dann treffe ich mich, wenn es irgend geht, mit Thomas Kapielski in der Gastwirtschaft Wilhelm Hoeck. Da sitzen wir dann in diesem gestaltgewordenen »Berliner Zillestubenideal« (Eckhard Henscheid), plaudern und trinken Bier, zügig eins nach dem anderen (»Arne, mach noch eins! Nee, zwei!«), bis ich zum Flughafen aufbreche und mich dabei bereits aufs nächste Mal freue.
So. Mehr nicht.
Nein, schon, zum Beispiel wenn unsere Freunde Barbara Kalender und Jörg Schröder beschwingt mitzechen und unser Quartett in funkelnder Uneinigkeit die Zeit damit zubringt, darüber zu »diskutieren« (Wowereit), ob Andreas Baader schlicht ein arrogantungebildetes Arschloch war. Jörg: »Quatsch!« Thomas: »Klar.« Barbara: »Sowohl als auch.« Ich: »Logisch.«
Oder wenn die Rede auf Eckhard Henscheid kommt. Thomas hält ihn für ein Genie, ich halte ihn für ein Genie, und obwohl bei soviel Einigkeit gemeinhin wenig Gesprächsbedarf besteht, finden wir kein Ende. Daß Kapielskis Bemühungen, Henscheids neues Buch bei Merve unterzubringen, keinen Erfolg hatten, ist schade. Diese beiden Fixsterne der deutschsprachigen Literatur im selben Haus beheimatet zu sehen, wäre gar zu schön gewesen.
Heute feiert Eckhard Henscheid seinen siebzigsten Geburtstag, übermorgen feiert Thomas Kapielski seinen sechzigsten Geburtstag. Wir erheben uns und wünschen beiden das denkbar Beste.
Daß ich Thomas Kapielski ebenso verehre wie Eckhard Henscheid, muß ich vielleicht nicht gesondert hervorheben. Mache ich aber. Und weil ich mit Eckhard Henscheid auch mal im Gasthaus Fuchsbeck in Sulzbach-Rosenberg ein paar Seidla getrunken habe, möchte ich, die geistige Verwandtschaft beider Dichter weder beschwörend noch herbeifaselnd (obschon ich als Gewährsmann etwa Stephan Wackwitz nennen könnte, der 2009 in der taz schrieb: »Die literarische Karriere Thomas Kapielskis, das wird erkennbar, je länger sie dauert und sich ausdifferenziert, weist Parallelen auf zu derjenigen Eckhard Henscheids«), aus Kapielskis Buch Mischwald (Frankfurt/Main 2009) zitieren:
»Dann eilte ich weiter hinauf in den Ort, der trotzig wider Amberg auf einem Berge ansitzt, zum Fuchsbeck, dem Hausbräu hin […]. Der Wirt […] fabuliert welt- und weitläufig. […] Dann im Zug nach Amberg, das mich enttäuschte: Weder ANO noch Bayrischen Hof gibt es noch; alles sehr schick insgesamt (Café Colomba und so die Richtung; der übliche Café-Mulatte-Unfug mit langen Weißschürzen an Germanistikstudentin) […]. Eine Absturzkaschemme, die sich gleichwohl auch als Speisegaststätte gerierte (im Raume Steinhofgasse?), besuchte ich dennoch instinktsicher. (Nee, eher befand ich sie.) Auffällig ein Holzschild mit solcher Inschrift: ›Der Kopf tut weh / Die Füße stinken / Jetzt müssen wir / Ein Bierchen trinken!‹«
Und ein paar Absätze weiter: »Und noch ein Amberger Schnapsschuß: Einer bauchfreien, gepiercten als auch gearschadlerten, dicklichten, jungen, gleichsam schon alt aussehenden Oberpfälzerin will so ein Rollkoffer am Amberger Bahnhof nicht recht gehorchen; da flucht sie laut: ›Fuck! Oldä!‹ (Und meint sowohl sich, maskulin adressiert!, als auch ihr Ungeschick. Und den Koffer och noch!)«
Wie heißt es in Eckhard Henscheids »kleinem Stadtführer« Unser liebes Amberg (bibliophile Neuausgabe 2003)?
»Diese Stadt ist eine einzige, langdurchzogene, lästerliche und alles in den Bann ziehende Natur- und Intellektualgemeinheit. In den Köpfen der Bürger nisten Brutalität, Infamie und der hundertprozentige Wille zu nichts. […] Unverschämtheit und Unzurechnungsfähigkeit gehen Hand in Hand in dieser aufs äußerste gemeingefährlichen, heruntergekommenen, durch Hinterhalt und Lüge kriminell heruntergewirtschafteten Stadt.«
Und, um es nicht zu unterschlagen: »In den Gastwirtschaften ertönt, so die tägliche Erfahrung, der beherrschendste und niederreißendste Wurstesser- und Biertrinkerlärm. Der Gedanke an ein Glas Bier führt oft zu den allergrößten Überschätzungen. Kaum haben sie ein Glas Bier, wollen sie noch eins und schütten auch noch vollkommen hingerissen und verblendet Schnaps drauf. Die Parteien begrüßen es.«
Wir auch.
Vom Sinnlichkeitsvorreiter zur Sushibarbegeisterung
Im Gespräch mit Eckhard Henscheid.
Roth: Wie gestaltete sich dein erster Aufenthalt in Frankfurt?
Henscheid: Der hatte schon mit einem bestimmten Frankfurt-Bild zu tun. Am Tag nach Adornos Tod, es muß also am 7. August 1969 gewesen sein, hat es der Zufall gefügt, daß ich Adornos Nachfolge angetreten habe, indem ich mich bei pardon vorstellte, der damals noch dominierenden satirischen Zeitschrift. Und meiner Erinnerung nach war bei mir tatsächlich so eine Art Bild von Frankfurt mit Satire, mit Komik, mit Intelligenz verschwistert. Das hat sich zum Teil hergeleitet – wie ich das später beschrieben habe – vom Spielwitz der Frankfurter Eintracht, aber auch von pardon, deren mehr oder weniger hingegebener Leser ich seit einigen Jahren gewesen war. Ich hab’ mir aber auch eingebildet – nicht ganz zu Unrecht –, daß die alte Frankfurter Schule, also die Kritische Theorie, mit dieser Art von Satire doch auch einiges zu tun hatte. Es gibt zum Beispiel von Adorno ein paar kleinere Texte, die in ihrer Anlage ausgesprochen satirisch sind – etwa ein Stück über einen amerikanischen Konzertführer, ein Lieblingstext von mir, an dem man Adornos satirisches Talent ebenso erkennt wie die Karl-Kraus-Schule. Dieser Eindruck hat sich allerdings später sehr stark verändert. Habermas zum Beispiel ist ein komplett humorfreier und komikunfähiger Mensch, dem die Idee, daß die Neue Frankfurter Schule mit der alten was zu tun haben könnte, wesensfremd ist. Er fällt aus allen Wolken, wenn er mit solchen Dingen konfrontiert wird. Insofern hat sich mein Frankfurt-Bild bestätigt und zugleich relativiert. Daß Frankfurt eine besonders satirenahe Stadt ist, das waren zum Teil halt Flausen in meinem Kopf. Frankfurt ist mindestens im gleichen Maße natürlich eine Bürger- und Grattler- und Spießerstadt.
Eine Brücke zwischen Neuer Frankfurter Schule und Kritischer Theorie wäre zumal der erwähnte alte Wiener Karl Kraus.
Ja. Allerdings gilt das mehr oder weniger nur für Adorno. Bei den sonstigen Standesvertretern der Kritischen Theorie findet man Kraussche Spuren erst bei äußerst genauem Hinschauen, sei’s bei Horkheimer oder Löwenthal, sei’s bei der zuletet als Erbverwalter tätigen Professorenschaft am Institut für Sozialforschung.
Wien ist ja, zumindest im Ersten Bezirk, eine ausgesprochen schöne, fast zu schöne Stadt. Geht es dir, Krausens Wien mit Frankfurt konfrontierend, ähnlich wie Martin Mosebach, der des öfteren sein unausgesetztes Leiden an Frankfurt zum Ausdruck gebracht hat, sein Leiden an der obwaltenden »Monumentalverhunzung« und »lauten Häßlichkeit«?
Mosebach gehört ein bißchen einer anderen Generation an. Er ist gewissermaßen immer vor Ort gewesen. Mein Bild verdankt sich eher einer kleinen Suggestion, die lange Zeit aufrechterhalten und sogar forciert worden ist, nämlich daß Frankfurt zwar häßlich, aber – das waren damals schon etwas inflationär mißbrauchte Lieblingswörter – eine besonders »aufregende« und »ehrliche« Stadt sei. Das las und schrieb man auch in unseren Kreisen noch in den achtziger, neunziger Jahren. Das war meines Erachtens nun seinerseits wieder eine Mythisierung, die darüber hinweggetäuscht hat, daß diese Häßlichkeit zum Teil bereits eine strukturelle war. Um einen Punkt nachzutragen: Als ich nach Frankfurt kam, war Frankfurt noch gut in sozialdemokratischer Hand, angeblich sogar unter linker sozialdemokratischer Kontrolle. Das hat sich in den achtziger Jahren geändert und ging dann immer hin und her, mit eigentlich dominierenden CDU-Magistraten und -Bürgermeistern. Das war mehr oder weniger eine Rückkehr vom Mythos zur Realität – daß Frankfurt vielleicht in Spuren noch so etwas wie ein Ausdruckscharakter von Kritik, von Theorie,