Werner Sombart - der rückwärtsgewandte Zukunftspessimist?. Lars Diedrich
Lars Diedrich
Werner Sombart – der rückwärtsgewandte Zukunftspessimist?
Impressum
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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ISBN: 978-3-86408-105-7 (epub) // 978-3-86408-106-4 (pdf)
Korrektorat: Alexander Schug
Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2012
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Inhalt
Werner Sombart, Versailles und das Deutsche Reich
Kapitalismusforschung und die Gründung der deutschen Soziologie
Höhepunkt der Karriere und Niederlage im Krieg
„Vom Menschen“ – Ende einer wissenschaftlichen Karriere
Nur ein rückwärtsgewandter Zukunftspessimist?
Lebenstationen
Einleitung
„Fragen wir […], was wir denn nun an sicherem Wissen von den Vorgängen der Vererbung beim Menschen und damit von dem Verhältnis zwischen Geist und Natur beim Aufbau der Persönlichkeit besitzen, so kann die Antwort nur lauten: herzlich wenig.“1
Diesen Satz schreibt Werner Sombart 1938 in seinem Buch „Vom Menschen“. Er richtet sich damit gegen den Rassenwahn und die Herrenvolk-Ideologie der Nationalsozialisten. Die Idee, ein auserwähltes Volk zu sein, führt er auf menschlichen Eigendünkel und Eigennutz zurück, die jeglicher Objektivität entbehrten. Zwar werden die Nationalsozialisten mit keinem Wort erwähnt, doch ist diesen klar, auf wen sich der Autor bezieht. Sie zensieren das Buch und versuchen dessen Auslieferung zu behindern. So darf „Vom Menschen“ nicht in Buchhandlungen ausgestellt und nur auf Nachfrage verkauft werden. Auch Genehmigungen für öffentliche Vorträge werden Werner Sombart nun immer öfter verweigert.2
Dem Verbot des Buches steht wohl die Bekanntheit des Autors entgegen. Der 75-jährige Werner Sombart ist damals einer der berühmtesten Wissenschaftler Deutschlands. Seine Bücher erscheinen im In- wie im Ausland mit hoher Auflagenzahl und seine Vorträge erreichen in der Weimarer Republik und im Kaiserreich ein Massenpublikum. Er gehört wie Max Weber, Ferdinand Tönnies und Georg Simmel 1909 zu den Gründungsmitgliedern der heute noch immer einflussreichen Deutschen Gesellschaft für Soziologie (http://www.soziologie.de).
Dennoch gilt Werner Sombart heutzutage als Proto-Nazi, als einer der Wissenschaftler, der dem Nationalsozialismus mit seinen Schriften und Reden den Weg geebnet hat. Der Mitbegründer der modernen Soziologie ist heute weitestgehend unbekannt, während seine damaligen Freunde, Kollegen und Mitstreiter wie Max Weber, Georg Simmel oder Ferdinand Tönnies als deren Gründerväter gerühmt werden. Auch die Qualität seiner wissenschaftlichen Arbeit ist umstritten. Der Historiker Rolf Sieferle ist beispielsweise der Meinung, Werner Sombarts eigentliche wissenschaftliche Leistung wäre nicht umsonst in Vergessenheit geraten, denn sie sei widersprüchlich, platt und oberflächlich. Andere, wie der Sombart-Biograph Friedrich Lenger, fragen sich hingegen, ob nicht vor allen Dingen Sombarts Ruf als Proto-Nazi dazu geführt hat, dass sein Anteil an der Gründung der modernen Soziologie unterschlagen wird.3
Diese unterschiedliche Wahrnehmung der Person Werner Sombart wird erst verständlich, wenn man einen Blick auf dessen in weiten Teilen widersprüchliches Leben wirft. Denn Werner Sombart war sowohl ein innovativer und vom Fortschritt faszinierter Sozialwissenschaftler, als auch gleichzeitig ein vehementer, unreflektierter Gegner der modernen Welt.
Dieser Widerspruch ist interessant und zeittypisch dazu. Denn Werner Sombart lebt in einer Zeit, in der die Grundlagen der modernen Welt, wie sie uns heute vertraut ist, gelegt werden. Dinge, die unser heutiges Leben prägen, beginnen sich zu Sombarts Lebzeiten zu etablieren. Dazu gehören beispielsweise die Elektrizität, Straßen- und U-Bahnen, Autos, Flugzeuge, Filme, der Rundfunk, Telefone, die industrielle Massenproduktion von Gütern oder Kaufhausketten. Die Welt, in der Werner Sombart stirbt, unterscheidet sich grundlegend von der, in die er geboren wurde. Die Menschen reagieren ganz unterschiedlich auf diese Veränderungen, teils mit großem Zukunftsoptimismus, teils mit einer radikalen Ablehnung der Moderne. Das Leben Werner Sombarts spiegelt eine mögliche Reaktion wider, die in dem fatalen Wunsch nach einer Rückkehr in die vorindustrielle Zeit und nach einem starken Führer gipfelt.
Die Wurzeln des Widerspruchs aus Faszination und Ablehnung der modernen Welt, der Werner Sombarts Leben prägt, werden bereits früh in dessen Kindheit gelegt. Denn er wird in einem Land geboren, das zwar wirtschaftlich innovativ und erfolgreich ist, gleichzeitig aber von Kaisern regiert wird, die ihre Herrschaft als gottgegeben betrachten …
Werner Sombart, Versailles und das Deutsche Reich
Die Proklamation des Deutschen Reiches in Versailles 1871 erlebt Werner Sombart als Kind im Alter von acht Jahren. Sein Vater Anton Ludwig Sombart ist ein angesehener preußischer Politiker und erfolgreicher Unternehmer. Er gehört zu den 30 Abgeordneten, die der Proklamation des neuen Deutschen Reiches in Versailles persönlich beiwohnen und dem preußischen König die Kaiserkrone überreichen. Es ist diese Zeit der großen Umwälzungen, die den Weg des berühmten Sozialwissenschaftlers prägen wird. Die Industrialisierung beginnt sich in den deutschen Einzelstaaten voll zu entfalten. Dampfmaschinen verändern die Gesellschaft grundlegend. Sie revolutionieren das Verkehrswesen und ermöglichen die Massenproduktion industrieller Güter, indem sie Webstühle, Druckerpressen oder Dampfhämmer antreiben. Lokomotiven oder Stahlschiffe befördern Personen und Güter in noch nie dagewesener Geschwindigkeit. Die Entfernungen verlieren an Bedeutung. Strecken, die man vor ein paar Jahren noch mühsam in mehreren Wochen zu Fuß oder Pferd bereiste, können nun bequem in wenigen Tagen zurückgelegt werden.4
Die alten Gesellschaftsstrukturen werden aufgebrochen. Traditionsreiche Handwerke, wie z.B. das der Weber, werden aufgrund der neuen, gnadenlos effizienten Webstühle obsolet.