Archäologie als Naturwissenschaft?. Stefanie Samida
Stefanie Samida / Manfred K. H. Eggert
Archäologie als Naturwissenschaft? Eine Streitschrift
Reihe Pamphletliteratur, Bd. 5
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-86408-223-8
Korrektorat: David Hönscher
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2017
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Inhaltsverzeichnis
Archäologie und Naturwissenschaften
Von der Erbinformation zum Kosmos
Archäologie heute – Ein neuer Positivismus?
Zum Geist der Zeit
Unsere Streitschrift fällt in eine Zeit, die – so unser Eindruck – von einem gewissen Szientismus geprägt ist, der in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinreicht. Dazu zählen etwa die Politik und die sie seit Jahren begleitende ‚Umfrageritis‘ beziehungsweise ‚Demoskopitis‘. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit den neuesten Umfragewerten zu sogenannten ‚Spitzenpolitikern‘, zur Stimmungslage der Nation oder zu neuesten ‚Sonntagsfragen‘ konfrontiert werden, mit denen man versucht, uns die aktuelle Lage im Land in Balken- und Kreisdiagrammen zu erklären. Gleiches gilt auch für ökonomische Prozesse: Wir vernehmen regelmäßig einmal im Monat die Nachrichten über die Entwicklung der Inflationsrate und mindestens einmal im Jahr die Daten zum Bruttoinlandsprodukt, die uns vermitteln sollen, wie gut oder wie schlecht es dem Land und seiner Bevölkerung geht. Und auch für die Wissenschaft kann man in den letzten zwei Jahrzehnten eine zunehmende szientistische Grundhaltung beobachten. Das Beispiel der Hirnforschung zeigt dies recht gut. In den letzten Jahren begegnet man vermehrt ‚Bindestrichwissenschaften‘ wie etwa ‚Neuro-Soziologie‘, ‚Neuro-Ökonomie‘ oder ‚Neuro-Didaktik‘. Die Hirnforschung dringt also in wissenschaftliche Felder der Kultur- und Sozialwissenschaften vor, deren genuiner Forschungsgegenstand nicht etwa das Gehirn des Menschen, sondern der Mensch in seiner Totalität als sozial lebendes Kulturwesen ist. Sie ‚erobert‘ aber nicht nur andere Fächer, sondern ist auch schon länger medial auf dem Vormarsch.
Erst kürzlich hat Felix Hasler, der mehrere Jahre lang an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich in der Halluzinogenforschung tätig war, mit seinem Buch „Neuromythologie: Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ weit über die Wissenschaft hinaus für Aufsehen gesorgt. Er wendet sich darin gegen den aktuellen und allgegenwärtigen „Neuro-Hype“, der den „fundamental falschen Eindruck“ erwecke, die „Hirnforschung wisse genau Bescheid über die biologischen Vorgänge, die unserem Erleben, Denken und Handeln“ zugrunde lägen.1 Die „modernen Neuro-Mythen“ seien zwar in der gesellschaftlichen Wahrnehmung angekommen – nicht zuletzt, weil die auf den ersten Blick eingängigen, durch bildgebende Verfahren sichtbar gemachten „Neuro-Thesen“ recht anschaulich wirkten. Doch die hochtechnischen Messverfahren, die „fotoähnliche Abbildungen des Geistes bei der Arbeit“ generierten, seien äußerst „stör- und irrtumsanfällig“ und bedürften mehr denn je einer Deutung.2
Die im Folgenden behandelte Thematik ‚Archäologie und ‚Naturwissenschaft‘ birgt unserer Meinung nach ein weiteres Indiz für den wachsenden Szientismus – auch oder gerade in den Wissenschaften.
Archäologie – Was ist das?
In weiten Kreisen unserer Gesellschaft, der gern zitierten ‚Öffentlichkeit‘, erfreut sich die Archäologie einer großen Beliebtheit. Ausgrabungen faszinieren – denn mit dem Ausgraben wird meist die Auffindung von kostbaren oder zumindest sensationellen Objekten verbunden. Archäologinnen und Archäologen gelingt es offenkundig immer wieder, an unscheinbaren Orten, dort, wo niemand unter der Erde auch nur das Geringste von Interesse vermutet hätte, ungewöhnliche Dinge einer meist fernen Vergangenheit aufzuspüren und freizulegen – Dinge, die auch jenseits der Fachwelt große Aufmerksamkeit erregen.3 Nur wenige Wissenschaften können sich einer derart breiten Aufmerksamkeit erfreuen.
Der international renommierte amerikanische Archäologe Lewis R. Binford (1931–2011) hat einmal einen älteren Herrn bemüht, der ihm in einem Bus gegenübersaß, um das populäre Bild von Archäologie zu charakterisieren. Kaum hatte Binford ihm auf eine entsprechende Frage seinen Beruf genannt, geriet sein Gegenüber ins Schwärmen: „Das muss wunderbar sein. Da brauchen Sie nur Glück, und schon sind Sie ein gemachter Mann!“4 Atemberaubende Schätze sowie höchst befremdliche Sitten und Gebräuche unbekannter Kulturen, nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in vertrauter Umgebung, heutzutage mit allen technischen Mitteln des Computerzeitalters aufgespürt, ausgegraben und analysiert – das ist ein verbreitetes Klischee. Aber was ist Binfords älterer Herr gegen Lara Croft aus der Computerspielserie und dem Kinofilm Tomb Raider oder gegen den in Filmen gefeierten Indiana Jones? Gar nichts, mag man getrost antworten. Denn auch bei Lara Croft und Indiana Jones geht es nicht zuletzt sehr wesentlich um Archäologie oder – was dafür herhalten muss.
Doch auch die Archäologie selbst trägt einen beträchtlichen Teil Schuld daran, dass sie mit Klischees überfrachtet ist. Schließlich werden die Ergebnisse von Ausgrabungen nach Jahren intensiver Forschung in großen Ausstellungen der Öffentlichkeit in medientechnischer Perfektion präsentiert. Viele, zu viele dieser Ausstellungen suchen das Spektakuläre, denn da sie teuer sind, spielen kommerzielle Gesichtspunkte von vornherein eine wichtige Rolle. Und spektakuläre Ausstellungen ziehen nun einmal entschieden mehr Besucher an als solche, bei denen weder Gold noch Schädelkult, weder Mumien noch Kannibalismus oder in Grubenringen gefundene klein gehackte Knochen von vielen hundert Menschen im Mittelpunkt stehen. „Die Welt der Kelten: Zentren der Macht – Kostbarkeiten der Kunst“, so lautete das Thema der jüngsten Landesausstellung in Baden-Württemberg (2012/13), und auch in diesem Titel stecken – so wenig sensationell er sich verglichen mit anderen Titeln archäologischer Ausstellungen gibt – doch alle entscheidenden Ingredienzen für einen Publikumserfolg: ein in Mitteleuropa und nicht zuletzt im südwestlichen und südlichen Deutschland in der populären Imagination sehr bekanntes ‚Volk‘ – dessen Welt, Machtzentren und natürlich dessen kostbare Kunst. Die Ausstellung wurde sechs Monate gezeigt und von 185 000 Besuchern gesehen; man darf daher zweifellos sagen, dass sie „mit vollem Erfolg“ zu Ende ging.5
Das Problem so mancher Ausstellungen liegt natürlich nicht darin, dass sie gezeigt werden – im Gegenteil.