Rausrieselnde Holzwolle. Martin Z. Schröder


Rausrieselnde Holzwolle - Martin Z. Schröder


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      Martin Z. Schröder

      Rausrieselnde Holzwolle

      6 Miniaturen

      Mit Illustrationen von

      Barbara Wrede

      SuKuLTuR

      2013

      DAS ROLLEN DER TRÄNEN

      Drei Herren schlossen am zehnten Jahrestag der Maueröffnung, abends, kurz nach zweiundzwanzig Uhr, ihre Velozipeds an der Bornholmer Brücke fest. Man stierte in die städtische Nacht. „So richtig steppt der Bär noch nicht“, nörgelte das anwesende Mitglied der vor geraumer Zeit von der Zeitschrift „Die Zeit“ ausgerufenen „Generation Berlin“, der Intellektuelle Gustav S., angesichts der gelassenen Stimmung. Der Deutschland-Korrespondent des Londoner Daily Telegraph, Mister Andrew G., lächelte britisch. Man zog sich in ein deutsch dekoriertes indisches Restaurant zurück und bestellte Bier.

      Erst kamen die Getränke, dann kam Uli Zelle. Das ist der Mann vom Lokalfernsehen, der den früheren Abend im Nieselregen damit zugebracht hatte, Leute zu interviewen, die vor zehn Jahren anläßlich des Grenzübertritts im Fernsehen ungefähr sprachen: Hurra, die Mauer ist auf! Dis kann ja ne wahr sein! Ick kann et nich fassen! Isch bün ja so glücklisch! Deß isch des noch erlähm darf! Dis is ein Wunder! Ick hab jeweent, ick bin janz fassungslos! Aber ick komme zurück, ich jeh och wieder nach Hause, aber es soll jetzt alles eins werden. So ein Tag, so wunderschön wie heute (Landowsky, singend). Wahnsinn! Die Mauer muß weg, die Mauer muß weg, die Mauer muß weg. Die Situation im Kontrollpunkt ist unkontrollierbar. Ein ganz neues Gefühl von Mauertourismus.

      Und heute bei Uli Zelle sagten dieselben Leute, älter aussehend: Und dis soll jetzt mal aufhörn mit den Ost-West und alles. Deß wir alle eins sind. Die Tränen sind jerollt. Da findet sich ja keen Mensch in seine Biographie wieder, die Ostler sind ja jetzt janz rausjedrängt. Dieses Gegeneinander. Wir haben den Westdeutschen eine unblutige Revolution geschenkt, und was machen die da draus? Wir werden beschümpft. Ich bin kein Jammerossi, ich bin zufrieden, ich bin dankbar, aber ich bin für eins zu eins. Laß uns doch einmal an so nem historischen Tag dabei sein, haick zu mein Mann jesacht. Die Reisefreiheit, das Sagen-können-was-man-möchte. Ich sehe vor allem das Menschliche. Nicht so in das negative Klischee reingehen.

      Uli Zelle versäumte nun aber, sich in die anwesende Gesprächsrunde beim Inder einzuschalten und verpaßte so, wie einer der Herren das Glas erhob und deklamierte: „Jetzt trinken wir die Kleinigkeit auf die deutsche Einigkeit.“ Nach den ersten Schlucken erinnerte sich der Korrespondent der Londoner Zeitung an damals und an den Regierenden Momper: „Er war so unauffällig. Er hat gesagt, man soll die U-Bahn benutzen.“ Jemand berichtete, daß die übergewichtige zugelaufene Katze einer Pankower Schriftstellerin seit dem Auftritt des Mannes mit dem roten Schal auf den Namen Momper hört. Uli Zelle hatte derweil Stühle umgeräumt und den kleinen Inder nach Bier gejagt. Was soll da werden aus dem Lokalfernsehen? Zuhören muß man schon.

      Nach der Talkrunde gingen die drei Radler wieder auf die Bornholmer Brücke. Dort verteilten zwei junge Männer vom Weddinger Bezirksamt Gratishaushaltskerzen und einen Gratispappdeckel mit mittigem Loch, damit kein Wachs auf die Hände tropft. Die „Generation Berlin“ antwortete auf den Hinweis der englischen Presse, nur halbherzig Signale der Freude auszusenden: „Ick hab doch vorhin schon fröhlich jekuckt.“

      Nun trug auf einer kleinen Bühne ein Herr Lund „Worte zum Tage in Gedichtform“ vor, beispielsweise: „Vor einem Dezennium fiel die Mauer um.“ In Rom wäre an dieser Stelle eine tote Katze auf die Bühne geflogen, aber hier hatte niemand eine dabei, was dem Herrn auf der Bühne ermöglichte, die Leute aufzurufen: „Freut euch auf Veränderungen, denn ihr habt sie gewollt. Greift zu, nicht nur im KaDeWe; fragt nach, nicht nur bei Gauck; erklärt, nicht nur im Finanzamt.“ Der Intellektuelle Gustav S. (Generation Berlin) erklärte, ihm sei nicht feierlich zumute. Der Herr vom Daily Telegraph lächelte höflich. Beide hielten brennende Kerzen in der Hand und illuminierten mit den anderen Gästen planmäßig die Brücke. Ab und zu fuhr eine von Polizisten eskortierte Straßenbahn zwischen den Leuten hindurch. Bis auf einen dicken, die Zeitung lesenden Herren lächelten und winkten alle aus dem hellen Glaskasten heraus zu den Kerzenträgern, am nettesten die Türken.

      Im Getümmel gesichtet: Oxford-Historiker Timothy Garton Ash, ohne Kerze. (1999)

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