Gefährlich gute Grooves. John Taylor
römisch-katholisch.
Man hinterfragt solche Dinge nicht, wenn man klein ist. Ich fragte nie, warum Mum und ich fast jeden Tag zur Kirche gingen, oder warum Dad, wenn er uns sonntags hinfuhr, uns einfach absetzte und nachher wieder abholte.
Meine Eltern sind in der Innenstadt von Birmingham aufgewachsen. Mum war in Liverpool zur Welt gekommen. Als sie noch ein Kleinkind war, zog ihre Familie, die Harts, nach Birmingham in die Colemeadow Road, wo sie ein großes, freistehendes Eckhaus bezog. Sie brauchten den Platz: Mum war eine von fünf, bis ihre Schwester Nora Trevor zur Welt brachte, der mit in der Familie aufwuchs. Das machte sechs. Ihr Vater Joseph, der vor meiner Geburt starb, widmete sein Berufsleben der Gewerkschaftsarbeit; er hatte ursprünglich eine Stelle in Liverpool bei der Gewerkschaft der Werftindustrie, zog aber für einen besseren Job nach Birmingham um. Der Bürgermeister von Birmingham kam zu seiner Beerdigung. Ging man die Straße, in der die Harts wohnten, ein Stück hoch, wurden die Behausungen kleiner; enge, solide gebaute viktorianische Reihenhäuser, klein aber fein, die Toilette nach hinten raus.
In einem davon, in der Nummer 10, lebten die Taylors.
Mein Vater Jack – eigentlich John – wurde 1920 geboren. 1939 war er also neunzehn, was ihn zu Frischfleisch für den Zweiten Weltkrieg machte. Er wurde nach Ägypten verschifft, wo er einen Posten in der Verwaltung erhielt; er war Bürogehilfe, kutschierte aber auch Trucks und Offiziere über den Standort. Als er für ein freies Wochenende, das er eigentlich in Kairo verbringen wollte, den Dienst mit einem anderen Soldaten tauschte, sollte das nicht ungestraft bleiben. An diesem Wochenende besetzte die deutsche Armee den Stützpunkt, an dem Dad stationiert war, und nahm ihn und viele andere gefangen. Die britischen Kriegsgefangenen wurden dann über Italien nach Deutschland gebracht und im Stalag 344 interniert.
Dad verbrachte dort die restlichen drei Kriegsjahre. Er musste von rohen Kartoffeln, wässriger Suppe und gelegentlichen Lebensmittelpaketen des Roten Kreuzes leben. Immerhin rauchte er nicht und konnte seine Tabakrationen gegen ein paar zusätzliche Kartoffeln eintauschen.
Mum pflegte zu mir im Vertrauen zu sagen: „Dein Vater hatte eine schreckliche Zeit im Krieg, aber er würde nie darüber reden.“ Dads Kriegserfahrung, das war der kakifarbene Elefant in unserem Wohnzimmer. Niemand konnte darüber sprechen, aber wir lebten alle damit, immer noch, zwanzig Jahre danach.
Heute ist mir klar, dass Dad an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt und eine Therapie gebraucht hätte, wie er sie heutzutage auch bekommen würde. Das Äußerste, was man zu dem Thema aus ihm herausbekam, wenn man ihn drängte, war: „Ich hatte es leicht verglichen mit George.“
George war Dads Bruder. Ihr Vater war gestorben, als Dad fünf und George zehn war, so wurde George so etwas wie ein Ersatzvater. Dad verehrte ihn. George leistete seinen Militärdienst in Burma und geriet in japanische Gefangenschaft. Er war in einer Mine in der Nähe von Nagasaki, wenige Meilen von der Stelle entfernt, wo die Atombombe fiel, und er spürte die Explosion.
Als Dad nach dem Krieg inmitten der Siegesfeiern zurück nach Birmingham kam, waren seine Mutter Frances und seine ältere Schwester Elsie natürlich überglücklich. Aber noch immer war die Sorge in der Familie groß, denn von George hatte man noch nichts gehört. Man wusste nicht einmal, ob er noch lebte. Das warf einen Schatten auf Dads Heimkehr.
Fast ein Jahr später ereignete sich eine Szene wie aus einem Steven-Spielberg-Film. Dad wartete auf einen Bus, der ihn zur Arbeit bringen sollte, als er mit Mühe eine Gestalt erkannte, die aus dem Morgennebel heraus die Straße herunter auf ihn zukam. Es war sein Bruder George. Er war seit dem Sieg über Japan frei, aber ausgemergelt und erschöpft, nicht nur von seiner Gefangenschaft, sondern auch von seiner langen Heimreise über den Pazifik und dann mit dem Zug durch die USA.
Ich bin sicher, dass auch Dad für George verändert aussah. Aber diszipliniert und stoisch wie sie waren, werden diese beiden Männer keine Tränen vergossen haben. Ein Handschlag, sicher, vielleicht eine Umarmung. Dad mochte ein paar Busse fahren gelassen haben, aber ich bezweifle, dass er sich den Tag frei nahm. Zu weinen, das wäre etwas für Frauen gewesen.
Diese Geschichte war so schwer für meinen Vater, dass er mir erst davon erzählte, als er in seinen Achtzigern und ich über vierzig war.
Wenn man in den 1960ern in England aufwuchs, war der Zweite Weltkrieg allgegenwärtig. Er war ein gewaltiges Ereignis, von dem jeder betroffen war. Während Dad sich nur widerstrebend auf das Thema einließ, konnten alle anderen nicht aufhören, darüber zu sprechen. Es beherrschte das Fernsehen und das Kino.
Meine Mutter Jean, ihr Taufname ist Eugenie, hatte ihre eigenen Erfahrungen aus der Kriegszeit. Damals arbeitete sie in Longbridge in einer Fabrik für Austin-Automobile, die auf die Fertigung von Teilen für die wuchtigen Lancaster-Bomber umgestellt hatte. In den 1940ern war auch Mum in ihren Zwanzigern, und sie genoss die Kameradschaft in der Spätschicht.
1946 ging das Leben weiter, das durch den Krieg unterbrochen worden war, und die Gedanken kehrten zur Normalität zurück: Jobs, Heirat und Familiengründung. Es gab wieder Hoffnung. Als Nachbarn hatten Mum und Dad sich schon seit Jahren wahrgenommen, aber es war bei einer schüchternen, zurückhaltenden Bekanntschaft geblieben. Dad verstand sich gut mit Mums Brüdern Sid und Alf, und eines Abends heckten die drei im Billesley Arms einen Plan aus.
An dem darauf folgenden sonnigen Samstagmorgen schritt Dad den Häuserblock hinunter zu den Harts und klopfte an die Haustür. Da er für die Familie ein vertrautes Gesicht war, wurde er sofort hereingebeten. Aber er war nicht da, um zu fragen, ob Sid morgen mit zum Fischen käme, oder ob Alf später Lust auf eine Partie Bowling im Billesley hätte. Er war gekommen, um den alten Joe Hart zu bitten, mit seiner jüngeren Tochter Eugenie ausgehen zu dürfen.
Ich glaube nicht, dass meine Eltern große Erwartungen mit Liebe und Ehe verbanden. Sie waren beide praktisch veranlagte Leute, die eine Familie haben und nicht allein alt werden wollten. Vermutlich verspürten beide eine tiefe Dankbarkeit, vom anderen gewollt und angenommen zu sein, aber sie hätten das nie so ausgedrückt.
Vom ersten Date an wussten sie, dass sie zusammenpassten, und ihre Freunde und Familien wussten es auch. In ihrem Umfeld war ihre Partnerschaft ein Symbol des Überlebens in der Zeit nach dem Krieg: Zwei Arbeiterfamilien gaben einander ihr jüngstes Kind. Ihre Heirat erfüllte viele mit Stolz.
Die zweiundvierzig Hochzeitsgäste lebten alle in einem Umkreis von wenigen Meilen. Als ich zehn war, spielten fast alle eine Rolle in meinem Leben; sie bildeten das Gefüge, das mich geformt hat. Es waren gute, ehrliche und liebevolle Leute. Ich wuchs auf in dem Gefühl, sie zu lieben, wie sie mich liebten – vorurteilsfrei und bedingungslos. Die Hochzeit meiner Eltern brachte das Beste an der englischen Arbeiterklasse und ihren Vorstellungen von Familienleben zum Vorschein.
In den 1950ern waren neue, bezahlbare Wohnungen knapp. Auch das war eine Folge des Krieges. So zogen Mum und Dad, nachdem sie geheiratet hatten, vorübergehend bei den Eltern meiner Mutter ein.
Sie wurden bald Teil einer Diaspora der Arbeiterschaft, die aus den Innenstädten in die Neubausiedlungen und Gartenstädte zog, die gebaut wurden, um die ausgebombten Stadtzentren zu entlasten und Wohnraum für die explodierende Bevölkerung zu schaffen. Oft wurde die Geschichte erzählt, wie mein Vater 1954 an einem Montagmorgen um sieben Uhr im Verkaufsbüro einer neu errichteten Siedlung auftauchte und darum bat, das letzte verfügbare Haus kaufen zu dürfen.
Das neue Haus war perfekt. Es hatte vier Zimmer, zwei oben und zwei unten, sowie ein Kieselputz-Relief zwischen dem Erdgeschoss und den oberen Erkerfenstern. Das Wohnzimmer, in dem wir aßen, fernsahen und so ziemlich alles machten, war neun Quadratmeter groß. Das andere Zimmer im Erdgeschoss war das Vorderzimmer. Hier wurden die Hochzeitsgeschenke und der Alkohol aufbewahrt. Hier nahmen wir drei jeden Sonntag unseren Lunch ein, und hier wurde jedes Jahr der Weihnachtsbaum aufgestellt. Abgesehen davon blieb der Raum ungenutzt.
Die Simon Road Nr. 34 hatte eine eigene Garage, wo mein Vater ganze Wochenenden an seinem Auto herumbastelte. Es gab einen kleinen Vorgarten und einen etwas größeren hinten.
Im Juni 1960 brachte meine Mutter mich ohne Komplikationen im Sorrento Maternity Hospital in Solihull zur Welt. Ich machte nie Schwierigkeiten, wie sie mir später erzählte. Bald