Seewölfe - Piraten der Weltmeere 213. Burt Frederick
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Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-549-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Die plötzliche Helligkeit traf ihn wie ein Schlag.
Es war, als hätte ihn die dichte grüne Wand des Dschungels ausgespien – eher aus einer Laune heraus wie einen Fremdkörper, mit dem die Natur nichts anzufangen wußte.
Joaquin Cavaqués kniff die Augen zusammen. Seine salzverkrustete Gesichtshaut brannte wie Feuer. Er taumelte auf die weite weiße Fläche des Strandes, spürte den frischen Hauch der Meeresluft und empfand ein berauschendes Freiheitsgefühl, nachdem er schon geglaubt hatte, der Dschungel würde ihn für immer und ewig umklammert halten.
Ja, er war ein Gefangener dieser grünen Fieberhölle gewesen. Während er jetzt mit unsicheren Schritten dem kristallklaren Wasser der Lagune zustrebte, betrachtete er es nicht als sein eigenes Verdienst, dieses Ziel erreicht zu haben. Es mußte eine Fügung des Schicksals sein, eine höhere Macht zeigte sich ihm gegenüber gnädig, davon war er überzeugt.
Die Glut der Sonne ließ feurige Kreise vor seinen gemarterten Augen tanzen. Er spürte nicht, wie seine Kräfte schwanden, und bemerkte nicht einmal mehr, daß seine abgemagerten Beine unter der Last seines Körpers wegknickten. Er sank in sich zusammen und hatte das Bewußtsein verloren, noch bevor er auf den leuchtendweißen Sand schlug.
Das seichte Uferwasser umspülte die langen schwarzen Haare des Mannes, der ein Spanier war und doch nicht aussah wie jemand, der der abendländischen Kultur entstammte.
Er lag auf der Seite, und seine Lippen, strichdünn zwischen verfilztem Bartgestrüpp verborgen, waren halb geöffnet. Nur flach ging sein Atem, unnatürliche Blässe entstellte sein eingefallenes Gesicht. Seine jetzt geschlossenen Augen lagen tief in den Höhlen, von dunklen Rändern umgeben.
Der Körper des Mannes, vor Jahren noch hochgewachsen und breitschultrig, sah wie ausgemergelt aus. Lederartig und fahl spannte sich die Haut über hervorstehenden Schulter- und Rippenknochen. Bekleidet war er nur mit den Resten einer Hose, die mehr einem Lendenschurz glich und über der Hüfte mit einem Strick aus geflochteten Lianen zusammengehalten wurde.
Einen fast lächerlich wirkenden Kontrast bildeten dazu die Stulpenstiefel, verwittert und rissig. Er hatte sich dieses seemännische Schuhwerk aber trotz aller widrigen Umstände bewahrt, bildete es doch einen wirkungsvollen Schutz gegen Schlangen und anderes giftiges Kriechgetier, mit dem man in diesen tropischen Breiten rechnen mußte.
Ein nur mäßiger auflandiger Wind strich über die leicht gekräuselte Wasserfläche der Lagune. Die Sonne brannte erbarmungslos vom wolkenlosen Blau des Himmels und ließ die Luft über dem weißen Sandstrand in flirrenden Schwaden aufsteigen.
Erst nach geraumer Zeit, als sein Bewußtsein zurückkehrte, spürte Joaquin Cavaqués die Gluthitze, die der Boden unter seinem Körper ausstrahlte. Er fühlte die Nässe, die sein schulterlanges Haar benetzt hatte. Während er blinzelnd die Augen aufschlug, rollte er sich instinktiv in das seichte Wasser, das ihm sofortige Abkühlung verschaffte. Jetzt erst öffnete er weit die Augen, blieb auf dem Rücken liegen und starrte zum Himmel auf. Die Sonne mit ungehindertem Blick zu sehen, war in diesem Moment das schönste Geschenk seines Lebens. Noch vor wenigen Stunden hatte er befürchtet, dem endlos scheinenden Dach jahrhundertealter Baumkronen niemals mehr entrinnen zu können.
Abermals begannen feurige Ringe vor seinen Augen zu tanzen. Er wälzte sich weiter in das Wasser, bis nur noch sein Gesicht herausschaute und er eben noch zu atmen vermochte. Das kristallklare Naß hatte zwar annähernd Körpertemperatur, war damit jedoch immer noch kühler als die Luft und der heiße Sand.
Erst als die Glut der Sonnenstrahlen seine Gesichtshaut unerträglich brennen ließ, rappelte er sich mühsam auf. Schwankend und triefendnaß gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben. Er wandte sich schwerfällig landeinwärts. Das rissige Leder seiner Stulpenstiefel hatte sich rasch mit Wasser vollgesogen und ließ jeden Schritt zur Qual werden. Trotzdem war immer noch eiserne Willenskraft in ihm, die ihn vorantrieb. Er hatte gelernt, die lebensbedrohenden Gefahren der Natur niemals zu unterschätzen. Und er kannte dieses Gefühl unendlicher Trägheit, dieses Verlangen, einfach liegenzubleiben, keinen Muskel mehr zu regen, zu schlafen.
Bis zum elendiglichen Verdursten war es dann nur noch ein kleiner Schritt.
So sehr es ihm auch widerstrebte, er mußte noch einmal zurück in die grüne Hölle, in der es Pflanzen gab, die ihn am Leben erhalten würden – Wurzeln, aber auch Blätter, dermaßen prall vollgesogen mit Feuchtigkeit, daß sich ein Mensch angesichts solcher Naturkraft klein und hilflos fühlen mochte.
Während er dem Palmendickicht entgegenwankte, dachte Joaquin Cavaqués an die Zeit vor fünf Jahren zurück. Damals, als sie hier von der Galeone „Felicidad“ an Land gesetzt worden waren, hatten sie sich für stolz und unbezwingbar gehalten. Geradezu versessen waren sie darauf gewesen, jenen besonderen Auftrag auszuführen, den ihnen der König von Spanien erteilt hatte.
Nichts von all dem war geblieben.
Das menschenfeindliche Land hatte sie besiegt.
Von dreißig kampferprobten Männern war Joaquin Cavaqués der einzige, der sein Erinnerungsvermögen und seine Willenskraft bewahrt hatte. Dies schrieb er aber nicht etwa besonderer charakterlicher Anlagen zu. Wie seine Gefährten hatte er die grausamsten kriegerischen Auseinandersetzungen zur See erlebt und überlebt. Doch der Kampf gegen die unerbittliche Macht einer mörderischen Natur war etwas, das sie zuvor alle noch nicht gekannt hatten.
Jene anderen, die zurückgeblieben waren, hatten sich in ihr Schicksal ergeben und sich den Umständen angepaßt, die es ihnen erlaubten, wie Tiere zu vegetieren.
Nur er, Joaquin Cavaqués, hatte sich darauf besonnen, daß dies das fünfte Jahr war. Und in diesem Jahr, im Monat nach dem Monsunregen, sollte wiederum eine spanische Galeone die Kokkilai-Lagune anlaufen.
Er hatte Zeit, darauf zu warten.
Im Schatten der Palmen würde er dasitzen, sobald er seinen Hunger und seinen Durst gestillt hatte. Er entschloß sich schon jetzt, die verbleibende Zeit bis zur Ankunft der Galeone zu nutzen:
Er würde für die armen Seelen seiner Kameraden beten. Denn das war das einzige, was er noch für sie tun konnte.
Sie hatten es nicht anders gewollt. Andererseits stand aber für Cavaqués fest, daß sie allesamt wirr im Kopf waren. Der Zwiespalt in seinem Denken, der ihn während des langen Marsches durch den Dschungel bewegt hatte, bahnte sich erneut an. War man nicht verpflichtet, ihnen zu helfen? Denn so besehen, waren sie eigentlich nicht verantwortlich für ihren Entschluß, zu bleiben.
Doch er war sich darüber im klaren, daß er eine Entscheidung jenen überlassen mußte, die ihn hier aufsammeln